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VORWÄRTS/1420: Holzsammeln verboten - Sparsame Kochherde in Guatemala vermeiden drastische Strafen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 37/38 vom 15. November 2018

Holzsammeln verboten!
Sparsame Kochherde in Guatemala vermeiden drastische Strafen

von Andreas Boueke (*)


Trockenes Holz ist ein wertvolles Gut, besonders in Guatemala, wo über die Hälfte der Bevölkerung ihre Mahlzeiten auf offenen Feuerstellen kocht. Hunderttausende Kinder machen sich Tag für Tag auf die Suche nach Feuerholz. Doch diese Aufgabe wird immer schwieriger und gefährlicher, weil immer weniger Wälder frei zugänglich sind. Jedes Jahr verliert das mittelamerikanische Land rund zwei Prozent seiner Waldfläche und die Besitzer großer Landflächen rüsten auf.


"Die Wärter der Plantagen schießen auf uns, wenn sie sehen, dass wir auf den Feldern Holz sammeln", erzählt der zehnjährige Estuardo. "Dann laufe ich weg, so schnell ich kann. Ich weiß nicht, ob sie auf uns schießen oder in die Luft. Jedenfalls renne ich um mein Leben."

Estuardos Mutter entfacht jeden Morgen ein offenes Feuer in ihrer Hütte. Schon ihre Eltern haben so Kaffee gekocht, genauso wie ihre Großeltern und Urgroßeltern, trotz der Brandgefahr, trotz des enormen Holzverbrauchs und trotz des gesundheitsschädlichen Rauchs, der in jede Ecke der Hütten dringt. Deshalb ist die Installation sparsamer Kochherde eine besonders sinnvolle Maßnahme der Gemeindeentwicklung. Zwar wird auch in den Herden Holz verbrannt, aber rund zwei Drittel weniger als auf offenem Feuer. Und die Schornsteine der Herde leiten den Rauch aus der Hütte, so dass die Lungen der Kinder sauber bleiben.


Weniger Feuerholz

Und noch ein Vorteil: Je mehr Familien sparsame Kocherde nutzen, desto weniger Kinder müssen sich auf der Suche nach Feuerholz in Gefahr bringen. Der 68-jährige José Molina erinnert sich, wie er selbst als Kind Holz gesammelt hat. Damals ging das schnell. Nie musste er besonders weit laufen. "Heute ist das anders", sagt José Molina. "Ich begleite oft meinen Enkel, weil er entweder sehr weit gehen muss, oder noch vor Morgengrauen heimlich auf den Feldern der benachbarten Kaffeeplantage nach Unterholz sucht."

Einmal sind die beiden um vier Uhr früh losgezogen. "Der Mond schien hell. Nach einer Stunde hatten wir eine ordentliche Menge kleiner Äste gesammelt und mit einem Seil zusammengebunden. Doch auf dem Weg zurück versperrte uns plötzlich ein bewaffneter Mann den Weg. Ich kannte ihn. Er wohnt nicht weit von uns entfernt. Aber seit er auf der Plantage arbeitet und eine Pistole trägt, glaubt er, er sei etwas besseres als wir."

Don José bat den Wächter, ihn und seinen Enkel laufen zu lassen. Der Mann richtete die Pistole auf den Jungen und antwortete: "Von mir aus könnt ihr gehen, aber das Holz bleibt hier."


Angst vor Pistolen

Auch die zwölfjährige Emna geht alle paar Tage Holz sammeln, oft zusammen mit ihrem älteren Cousin. "Einmal glaubte ein Aufpasser, wir würden Kaffee stehlen. Wir wollten weglaufen, aber dann fiel ein Schuss. Ich erschrak und konnte vor Angst keinen Schritt mehr machen. Mein Cousin blieb bei mir. Der Mann packte ihn und schleppte ihn fort. Er zog ihm all seine Kleider aus, schrieb mit Asche das Wort 'Dieb' auf seine Brust und jagte ihn nackt über die Straße. Das alles, nur weil meine Mutter kein Geld hat, um Holz zu kaufen."

Viele Familien haben keine andere Wahl. Sie müssen Holz kaufen, für rund zwanzig Euro im Monat. Das kann bis zu zehn Prozent des Familieneinkommens ausmachen. Auch deshalb ist Don José Molina froh, dass er seit einem halben Jahr einen sparsamen Kochherd hat. "Wir verfeuern jetzt viel weniger Holz und mein Enkel braucht sich nicht mehr beim Holzsuchen in Gefahr zur bringen."


Effiziente Hilfe durch Sparsame Kochherde

Unser Autor, Andreas Boueke, berichtet seit fünfundzwanzig Jahren als freier Journalist aus Mittelamerika. Zudem unterstützt er Mayagemeinden im Hochland Guatemalas in ihrer Menschenrechtsarbeit und bei der Durchführung von Entwicklungsprojekten. Die Installation sparsamer Kochherde hält er für eine der effizientesten Maßnahmen der Dorfentwicklung. Dafür verwaltet das Welthaus Bielefeld ein Spendenkonto. In Kooperation mit der deutschen Botschaft, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, dem 24-Gute- Taten-Adventskalender und der Aktion Weltkinderhilfe konnten bisher über 2400 Kochherde installiert werden.

In diesem Jahr hat das Welthaus Bielefeld Seminare durchgeführt, um mit einigen der begünstigten Familien über ihre Erfahrungen mit den Kochherden zu sprechen, und Möglichkeiten zu diskutieren, wie sie ihre Lebensbedingungen aus eigener Kraft verbessern können. Gerade die Frauen erwähnen immer wieder, dass es dank der Kochherde seltener zu Brandverletzungen und Feuerunfällen kommt. Sie und ihre Kinder leiden nicht mehr so häufig an Augeninfektionen und Erkrankungen der Atemwege. Der Holzverbrauch sinkt, so dass sie Geld sparen und der Wald geschont wird. Bei einem Seminar sprach ein Mann davon, dass sich seine Kinder seit der Installation des Kochherds in seiner Hütte sehr viel seltener beim Holzsammeln in Gefahr bringen müssen. Diese Problematik war neu für Andreas Boueke und er beschloss, darüber zu schreiben.

(*) Der Schattenblick veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors die Originalfassung des Artikels.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 37/38 - 74. Jahrgang - 15. November 2018, S. 9
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2018

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