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VORWÄRTS/1488: "Das wunderbare Gefühl von Solidarität"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 21/22 vom 27. Juni 2019

"Das wunderbare Gefühl von Solidarität"

Interview von Sabine Hunziker


Frauen* und ihre Anliegen waren am Frauen*streik vom 14. Juni im Zentrum und öffentlich sichtbar. Trotzdem gab es solidarische Männer*, die an diesem Tag den feministischen Kampf unterstützten. Was genau war ihre Aufgabe? Auf diese Frage und mehr geht ein Aktivist der Soligruppe "Männer* für den Frauen*streik Bern" im Interview mit dem vorwärts ein.


Viele Männer* waren solidarisch und wollten sich am Frauen*streiktag aktiv beteiligen. Im ersten Moment schien aber einigen unklar zu sein, in welcher Form ihre Solidarität eine wirkliche Hilfe für den Frauen*kampf darstellen könnte. Auch in der Bewegung selber waren die Aktivist*innen uneinig, was Männer* an diesem Tag machen sollen. "Bleibt daheim, tut gar nichts und seid still - die Strasse gehört uns", so war die Vorstellung von einigen Frauen*. Andere gaben an, dass wenn Männer* die Arbeiten von Frauen* machen, die "Unterstützer" Streikbrecher wären. Diese und andere Kommentare fanden sich im Netz oder auf Flugblättern.

Detaillierter dazu äusserte sich die Koordinationsgruppe in Bern: "Eine Teilnahme von Männern* am Demo-Umzug ist für die Frauen* der Koordinationsgruppe Bern willkommen, sofern keine Frau* die Unterstützung anderweitig benötigt". Aus Respekt sollen sich Männer* am Tag vom Frauen*streik nicht in den Vordergrund stellen und deshalb sich nicht in den ersten Reihen der Demo mitlaufen. Wenn sie trotzdem demonstrieren möchten, dann bitte nur weiter hinten im Demo-Zug in der Masse der Frauen*, so der Hinweis. Veranstaltungen, die explizit "non-mixed" sind, galt es am 14. Juni für Männer* zu meiden. Direkte Solidarität konnten sie zeigen, indem sie bei den kollektiven Arbeiten mithalfen und sich so beispielsweise beim Auf- und Abbau der Stände, Bühnen und anderer Infrastruktur beteiligten. Auch bei der Verpflegung waren Männer* mit dabei und betätigten sich in Streikküchen oder backten Kuchen. In anderen Städten gaben Koordinationsgruppen ähnliche Vorschläge für die männliche Mitarbeit an wie in Bern.


Höre mehr zu und sprich weniger

Vorbilder für den Frauen*streik in der Schweiz waren unter anderem die letzten Kämpfe am 8. März im spanischen Staat. Aktivist*innen aus beiden Ländern tauschten sich über feministische Streiks aus und auch darüber, in welcher Form die Genossen* die Frauen* und den feministischen Kampf unterstützen könnten.

Aus dem Austausch entstand eine umfangreiche Liste, auf der Anregungen sowie Aufforderungen festgehalten wurden: Väter* kümmern sich um ihre Kinder und alle anderen Männer* übernehmen die Kinderbetreuung am Streik. Arbeitskollegen sollen die Schicht mit Kolleg*innen tauschen, damit diese am Streik teilnehmen können. Ohne Probleme und Repressalien anzukündigen, müssen Chefs* den Frauen* am Streiktag frei geben. Lehrer machen an diesem Tag keine Präsenzkontrolle. Weitere Ideen fanden sich: Übernimm als Mann* die Unterstützung eines Familienmitglieds, wenn diese Arbeit sonst eine Frau* macht. Wenn du in einer Beziehung bist, mach alles, was nötig ist, damit deine Freundin* oder Frau* am Streik teilnehmen kann. Männer* im Medienbereich müssen über den Streik und alle damit verbundenen Aktionen und Demonstrationen berichten. Als feministischer Aktivist* sollst du Informationen verbreiten, die möglichst viele Frauen* zum Mitmachen bewegt und auch Männer* zur solidarischen Arbeit motiviert. Falls du als Mann* bei einer Demonstration mit dabei sein willst, dann höre mehr zu und sprich weniger. Stelle dich nicht in den Vordergrund, gib keine Befehle und akzeptiere, dass bei bestimmten Aktionen keine Männer* teilnehmen dürfen. Suche nach Veranstaltungen, bei denen Männer willkommen sind.


Männer* helfen am Frauen*streik

Nach dem Frauen*streik am 14. Juni 2019 wurde klar: In dieser Bewegung sind nicht nur erneut bei vielen Frauen* feministische Perspektiven aufgefrischt worden und jüngere Frauen* politisiert, sondern auch Männer* haben ein neues Bewusstsein erhalten. Männer* sind sensibel geworden bezüglich Gleichstellung aller Geschlechter und Geschlechteridentitäten und einige haben sich zu Gruppen über den Streik hinaus zusammengeschlossen, um normkritische und emanzipatorische Arbeit zu leisten. So eine Soli-Gruppe ist die "Männer* für den Frauen*streik Bern". Im Interview mit dem vorwärts berichtete ein Aktivist* über ihre Motivation, ihre Rolle und wie es nach dem Streik nun weitergehen soll:


vorwärts: Wie setzte sich eure Gruppe zusammen, wie viele seid ihr und aus welchem politischen Spektrum genau kommt ihr?

Aktivist: Die Zusammensetzung der Gruppe ist relativ heterogen, meist aber kommen die Männer* aus dem* ausserparlamentarisch-linken, linksalternativen bis hin zum gemässigt linken Milieu. Es gibt Väter*, die schon 1991 mitgeholfen hatten, junge Studenten*, Filmemacher*, Sozialarbeiter* usw. An den Plenumssitzungen nahmen zwischen 15 und 30 Menschen teil, in den AGs waren es zwischen drei und sieben. Wir haben uns als Gruppe von Individuen aufgestellt, die zwar ihre politischen Affiliationen transparent machen dürfen, aber nicht als Vertreter* von denselben mitmachen sollen. Vom politischen Spektrum, her sind wir heterogen. Es gibt Leute sowohl aus der ausserparlamentarischen als auch parlamentarischen Linken oder aus den Gewerkschaften. Einige waren bisher auch nicht politisch aktiv und möchten sich einfach solidarisch engagieren.


vorwärts: Was war eure Motivation am Frauen*streik 2019 mitzumachen?

Aktivist: Es gibt verschiedene Motive dazu. Hier werden einige Beispiele aufgezeigt, die auch die Heterogenität in der Gruppe betonen. Es gab die Motivation solidarisch die Frauen* in ihrem Streik zu unterstützen, weil sich momentan im politischen Klima einiges an Backlash gegen die feministischen Anliegen aufgebauscht hat. Auch in Social Media und überhaupt online macht sich eine eigentliche misogyne Stimmung breit, bei der wir auch als u.a. cis-hetero Männer Gegensteuer geben wollen. Der Frauen*streik geht uns alle etwas an, weil die patriarchale Struktur in unserer Gesellschaft in vielerlei Hinsicht als selbstverständlich angesehen wird. Um das zu hinterfragen und zu ändern, braucht es solidarische Männer*, die sich einbringen und sich am Streiktag solidarisch beteiligen - auch darüber hinaus.


vorwärts: Männer* und Frauen*streik: Was ist aus eurer Sicht die Rolle der Männer* in der Frauen*streikbewegung?

Aktivist: Primär eine unterstützende, solidarische Rolle, die einiges an Reflektiertheit und bewusst gewählter Diskretion bedingt. Es besteht zum Beispiel die Gefahr, dass sich die Medien auf Geschichten von solidarischen Männern* stürzen werden. Dazu gibt es bereits Beispiele. Dies darf aber nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Frames und Setzungen geschehen. Wenn es zum Beispiel der Mobilisierung dient. Es geht hier um den Streik, um die Frauen* und um ihre Anliegen. Nicht um uns. Dazu haben wir aber innerhalb der Gruppe keine einheitliche Meinung. Die Diskussion dreht sich vor allem darum, wie die Männer* in der Frauen*streikbewegung sichtbar sein sollen. Gewisse wollen primär im Hintergrund sein. Andere finden es wichtig, auch die Perspektive der solidarischen Männer* sichtbar zu machen. Einig sind wir uns aber alle, dass es beim Streik nicht um uns, sondern um die Frauen* und ihre Anliegen gehen soll. Dementsprechend achten wir auch darauf, medial wenig Raum einzunehmen.


vorwärts: Wie habt ihr zusammengefunden? Was waren sonst noch wichtige Themen bei euren Treffen?

Aktivist: Das erste Treffen fand im Dezember 2018 statt. Es wurde von der Berner Frauen*streik-Koordinationsgruppe und einigen Gewerkschaftern organisiert. Am Treffen haben wir mögliche Formen von Unterstützungsarbeit gesammelt und diskutiert und auch über die Rolle von Männern* im Streik gesprochen. An der "Tour de Lorraine" im Januar gab es dann einen sehr gut besuchten Workshop zum Thema. Dort sind dann Einige zur Gruppe dazu gestossen.


vorwärts: Jetzt ist Halbzeit im Frauen*streikjahr: was sind wichtige Schritte, die ihr bis jetzt gemacht habt?

Aktivist: Bisher ging es hauptsächlich darum, eine Struktur aufzubauen, verschiedene AGs zu formieren und uns zu einer grundsätzlichen Haltung zu einigen. Es wurde auch früh bereits konkrete, infrastrukturelle Hilfe geleistet wie die Kinderbetreuung während der Sitzung in Biel. Wir kochten für die Retraite der Berner Frauen*streik-Hochschulgruppe und betreuten die Kinder bei den Treffen der Berner Koordinationsgruppe. Bisher ging es hauptsächlich darum, eine Struktur aufzubauen, die verschiedenen Arbeitsgruppen zu formieren und uns auf grundsätzliche Haltungen zu einigen. Dann gab es auch die Soli-Arbeit während dem Frauen*streik.


vorwärts: Was hattet ihr am Frauen*streik konkret gemacht?

Aktivist: Bis hin zum Streiktag machten wir Fundraising, Mobilisierung und Sensibilisierung. Sensibilisierung fand vor allem innerhalb der Unterstützungsgruppe statt, aber auch in den sozialen Medien. Am Streiktag machen wir die Organisation und Betreuung des "Vätertreffs". Zusätzlich kamen dazu: Kinderbetreuung oder Kochen für die Helfer*innen und Organisator*innen und Dokumentation. Und wieder Onlinepräsenz in den Kommentarspalten und auf Social Media. Fundraising. Mobilisierung. Sensibilisierung.


vorwärts: Was habt ihr jetzt nach dem Frauen*streik vor, bleibt eure Gruppe bestehen?

Aktivist: Die Arbeitsgruppe Sensibilisierung hat damit begonnen, sich mit der Unmenge an Informationen und wissenschaftlichen Publikationen zu verschiedenen Themenbereichen auseinanderzusetzen. Dies auch konkret bezüglich der Rolle von solidarischen Männern* im Hinblick auf den Frauen*streik oder allgemein verschiedenen Formen von Männlichkeit und deren Auswirkungen auf Verhalten und Psyche. Einige unter uns sind sehr motiviert und wir können uns gut vorstellen, dass aus diesen Erfahrungen und den Ideen, welche dabei entstehen, auch nach dem Frauen*streik konkrete Aktionen und Projekte folgen werden. Allgemein besteht in der gesamten Unterstützungsgruppe ein wunderbares Gefühl von Solidarität, verbunden mit einem gewissen Tatendrang im Wissen um die dringende Notwendigkeit für Veränderung.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22 - 75. Jahrgang - 27. Juni 2019, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
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Internet: www.vorwaerts.ch
 
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2019

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