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VORWÄRTS/1553: Pitguinz kämpfen für Kulturraum


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 01/02 vom 17. Januar 2020

Inland
Pitguinz kämpfen für Kulturraum

von Sabine Hunziker


Das Kollektiv der Pitguinz hatte in Olten ein Winterquartier besetzt, um unabhängigen Kulturraum zu schaffen: Frei, selbstbestimmt, antifaschistisch und antikapitalistisch. Sie starteten Ihre Vision mit einer gemütlichen Feuerstelle, warmem Essen, mit Punsch, Bier und guter Musik.


In der Nacht von Samstag, dem 21. Dezember auf Sonntag, dem 22. Dezember 2019 besetzten die Pitguinz erfolgreich ein "Iglu" in Olten. Bis Anfang Januar belebte das Kollektiv den Container neben der Fachhochschule Nordwestschweiz. Grund der Besetzung war insbesondere das fehlende Kulturangebot in Olten. das durch junge Menschen selbst verwaltet und belebt wird. Pitguinz schreibt: "Aus unseren Schnäbeln schallt folgende Botschaft: An die von uns gegangenen Jugend- und Kulturhäuser in Olten: Ihr habt bis zum Schluss gekämpft - und doch verloren."

Die Besetzer*innen hoffen, dass dieser Missstand bald ein Ende hat. An einigen Orten in der Schweiz gibt es Alternative Jugendzentren (AJZ) - doch nicht in Olten. So nahmen es die Pitguinz mit dem "Krebsgeschwür der nicht vorhandenen Motivation für unabhängige Kulturräume" auf. Auch die sinnlose Zerstörung und das Plattmachen von belebbaren Gebäuden und offenen Grünflächen ist ihnen ein Dorn im Auge. "Öffentlicher Raum muss offen begehbar sein", schreiben die Aktivist*innen. Beispielsweise wurde der um Jahresende besetzte Ort zuvor als Werbefläche missbraucht. Doch Öffnung der Plätze und Räume ist noch nicht alles. Die Besetzer*innen ergänzen: "Wir wollen zudem eine Alternative zum oberflächlichen Weihnachtsfest bieten und eine Form der freien und basisdemokratischen Gesellschaft vorleben. Ein wirkliches Zusammensein unter allen Lebewesen."


Hartes Jahr 2019

Wo sich soziale Kämpfe formieren, reagiert der Staat stets mit Repression. 2019 war diesbezüglich ein hartes Jahr. Andere Projekte mussten alle gezwungenermassen einen Schlussstrich ziehen. Das Projekt Fabrikool in Bern wurde im März geräumt. Weitere Versuche, neue Räume zu erkämpfen wie an der Brunnmattstrasse 46a in Bern, dem Betagtenheim in Zollikofen und an der Bitziusstrasse in Bern, wurden schnell im Keim erstickt. Auch das Hausprojekt der Familie Osterhase in Ostermundigen neigte sich im Herbst 2019 dem Ende zu, weil das Haus kurz darauf abgerissen wurde. Das sind nur Auszüge einer traurigen Chronologie der Kämpfe für freie Räume. Anklagen wegen angeblich begangenen Delikten wie Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Hinderung einer Amtshandlung, Hausfriedensbruch und noch viele mehr, sind die schlimme Folgen eines ereignisreichen Jahres. Mit neuen Polizeigesetzen erhält die Justiz noch mehr Macht. Die autoritären Züge des Staates werden immer klarer - und damit auch der Widerstand.

Es ist nicht so, dass in der Stadt Olten niemals antifaschistische Kultur gelebt worden wäre. Pitguinz solidarisiert sich mit der Anarchistischen Regionalgruppe Olten (ARGO) und der Anarchistischen Regionalgruppe Gäu (ARGG), die rechtes und nationalistisches Gedankengut aufgedeckt, angeprangert und angegriffen haben - das Kollektiv führte mit der temporären Besetzung die Tradition weiter. Und überhaupt: Pitguinz ist kämpferisch hinsichtlich seiner Ziele: "Pit ist abgeleitet von einem Moshpit. Wir wollen Platz schaffen, um uns zu verwirklichen. Währenddessen die Pinguine ihren Freiraum verlieren, haben wir unseren schon verloren und wollen ihn nun zurück erkämpfen", sagt ein Aktivist der Gruppe.


Gewaltfreie und offene Kommunikation

Willkommen waren alle zu Workshops, Konzerten, zum Diskutieren, Zusammensein, Trinken und Vernetzen. Für Menschen ohne Obdach bot das Kollektiv einen begrenzten Raum zum Übernachten. Für die Zeit der Besetzung galt: Das Kollektiv der Pitguinz setzt auf gewaltfreie und offene Kommunikation. Sachbeschädigungen so wie auch Gewalt gegen Polizist*innen, Sicherheitsdienste oder anderen Menschen schadeten in diesem Kontext der Sache. Wie waren die Events in der Zeit der Besetzung gelaufen? "Unser Filmabend mit dem Film "Do It" ist gutgelungen, und die Lagerfeuer am Abend waren mit 10 bis 20 Menschen gut besucht", sagte der Aktivist. Auf die Frage, ob die Besetzung vielleicht weiterläuft, erklärte er: "Wir werden vom Kanton bis am 2. Januar toleriert und werden auf jeden Fall bis zu diesem Zeitpunkt bleiben. Was danach passiert, ist noch nicht klar. Wir reflektieren dieses Projekt und entscheiden, was in Zukunft passieren soll." Solange sich die Besetzer ruhig und friedlich verhielten, gebe es bis zum gesetzten Termin auch keinen Grund, polizeilich einzuschreiten, meinte die Medienstelle der Polizei Kanton Solothurn, nachdem die Besetzung "entdeckt" worden war. Wenn der Termin aber abgelaufen ist, dann wird ein Team von Kanton und Polizei vor Ort sein und sich ein Bild von der Situation machen: "Sollte sich wider Erwarten das Bild nicht im ursprünglichen Zustand zeigen, behalten wir uns rechtliche Schritte vor", drohten sie.


Forderung: Alternatives Jugendzentrum

Pitguinz blieb bei ihrer defensiven und friedlichen Strategie - bis zuletzt. Sie meldeten auf Twitter: "Wir haben die Brache nun aufgeräumt verlassen. Unsere Feuertonne mussten wir aber leider zurücklassen, da zu heiss für den Transport. Wir werden sie bei Möglichkeit die Tage abholen." Das Gelände in ordentlichem Zustand zurückgelassen - Autonome sind abgezogen: das ist die vorerst letzte Meldung zur Besetzung von offizieller Seite. Die Forderung, ein AJZ zu schaffen, gestellt vom Kollektiv an die Stadt Olten, soll im Stadtrat diskutiert werden. Diese Besetzung der Brache bei der Fachhochschule in Olten war ein Erfolg. Aus welchem Grund das Kollektiv der Pitguinz die seit längerem unbenutzte Fläche schon Anfang Januar verlassen musste, bleibt wohl aber allen schleierhaft. "Vom Kanton Solothurn noch keine Stellungnahme, warum wir gehen mussten und der Platz nun wieder ungenutzt ist ...", so die Pitguinz.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 01/02 - 76. Jahrgang - 17. Januar 2020, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts,
PdAS und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis

veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2020

Die Besetzer*innen hoffen, dass dieser Missstand bald ein Ende hat. An einigen Orten in der Schweiz gibt es Alternative Jugendzentren (AJZ) - doch nicht in Olten. So nahmen es die Pitguinz mit dem "Krebsgeschwür der nicht vorhandenen Motivation für unabhängige Kulturräume" auf. Auch die sinnlose Zerstörung und das Plattmachen von belebbaren Gebäuden und offenen Grünflächen ist ihnen ein Dorn im Auge. "Öffentlicher Raum muss offen begehbar sein", schreiben die Aktivist*innen. Beispielsweise wurde der um Jahresende besetzte Ort zuvor als Werbefläche missbraucht. Doch Öffnung der Plätze und Räume ist noch nicht alles. Die Besetzer*innen ergänzen: "Wir wollen zudem eine Alternative zum oberflächlichen Weihnachtsfest bieten und eine Form der freien und basisdemokratischen Gesellschaft vorleben. Ein wirkliches Zusammensein unter allen Lebewesen."

Hartes Jahr 2019

Wo sich soziale Kämpfe formieren, reagiert der Staat stets mit Repression. 2019 war diesbezüglich ein hartes Jahr. Andere Projekte mussten alle gezwungenermassen einen Schlussstrich ziehen. Das Projekt Fabrikool in Bern wurde im März geräumt. Weitere Versuche, neue Räume zu erkämpfen wie an der Brunnmattstrasse 46a in Bern, dem Betagtenheim in Zollikofen und an der Bitziusstrasse in Bern, wurden schnell im Keim erstickt. Auch das Hausprojekt der Familie Osterhase in Ostermundigen neigte sich im Herbst 2019 dem Ende zu, weil das Haus kurz darauf abgerissen wurde. Das sind nur Auszüge einer traurigen Chronologie der Kämpfe für freie Räume. Anklagen wegen angeblich begangenen Delikten wie Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Hinderung einer Amtshandlung, Hausfriedensbruch und noch viele mehr, sind die schlimme Folgen eines ereignisreichen Jahres Mit neuen Polizeigesetzen erhält die Justiz noch mehr Macht. Die autoritären Züge des Staates werden immer klarer - und damit auch der Widerstand.

Es ist nicht so, dass in der Stadt Olten niemals antifaschistische Kultur gelebt worden wäre. Pitguinz solidarisiert sich mit der Anarchistischen Regionalgruppe Olten (ARGO) und der Anarchistischen Regionalgruppe Gäu (ARGG), die rechtes und nationalistisches Gedankengut aufgedeckt, angeprangert und angegriffen haben - das Kollektiv führte mit der temporären Besetzung die Tradition weiter. Und überhaupt: Pitguinz ist kämpferisch hinsichtlich seiner Ziele: "Pit ist abgeleitet von einem Moshpit. Wir wollen Platz schaffen, um uns zu verwirklichen. Währenddessen die Pinguine ihren Freiraum verlieren, haben wir unseren schon verloren und wollen ihn nun zurück erkämpfen", sagt ein Aktivist der Gruppe.

Gewaltfreie und offene Kommunikation

Willkommen waren alle zu Workshops, Konzerten, z'um Diskutieren, Zusammensein, Trinken und Vernetzen. Für Menschen ohne Obdach bot das Kollektiv einen begrenzten Raum zum Übernachten. Für die Zeit der Besetzung galt: Das Kollektiv der Pitguinz setzt auf gewaltfreie und offene Kommunikation. Sachbeschädigungen so wie auch Gewalt gegen Polizist*innen, Sicherheitsdienste oder anderen Menschen schadeten in diesem Kontext der Sache. Wie waren die Events in der Zeit der Besetzung gelaufen? "Unser Filmabend mit dem Film "Do It" ist gutgelungen, und die Lagerfeuer am Abend waren mit 10 bis 20 Menschen gut besucht", sagte der Aktivist. Auf die Frage, ob die Besetzung vielleicht weiterläuft, erklärte er: "Wir werden vom Kanton bis am 2. Januar toleriert und werden auf jeden Fall bis zu diesem Zeitpunkt bleiben. Was danach passiert, ist noch nicht klar. Wir reflektieren dieses Projekt und entscheiden, was in Zukunft passieren soll." Solange sich die Besetzer ruhig und friedlich verhielten, gebe es bis zum gesetzten Termin auch keinen Grund, polizeilich einzuschreiten, meinte die Medienstelle der Polizei Kanton Solothurn, nachdem die Besetzung "entdeckt" worden war. Wenn der Termin aber abgelaufen ist, dann wird ein Team von Kanton und Polizei vor Ort sein und sich ein Bild von der Situation machen: "Sollte sich wider Erwarten das Bild nicht im ursprünglichen Zustand zeigen, behalten wir uns rechtliche Schritte vor", drohten sie.

Forderung: Alternatives Jugendzentrum

Pitguinz blieb bei ihrer defensiven und friedlichen Strategie - bis zuletzt. Sie meldeten auf Twitter: "Wir haben die Brache nun aufgeräumt verlassen. Unsere Feuertonne mussten wir aber leider zurücklassen, da zu heiss für den Transport. Wir werden sie bei Möglichkeit die Tage abholen." Das Gelände in ordentlichem Zustand zurückgelassen - Autonome sind abgezogen: das ist die vorerst letzte Meldung zur Besetzung von offizieller Seite. Die Forderung, ein AJZ zu schaffen, gestellt vorn Kollektiv an die Stadt Olten, soll im Stadtrat diskutiert werden. Diese Besetzung der Brache bei der Fachhochschule in Olten war ein Erfolg. Aus welchem Grund das Kollektiv der Pitguinz die seit längerem unbenutzte Fläche schon Anfang Januar verlassen musste, bleibt wohl aber allen schleierhaft. "Vom Kanton Solothurn noch keine Stellungnahme, warum wir gehen mussten und der Platz nun wieder ungenutzt ist...", so die Pitguinz.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 01/02 - 76. Jahrgang - 17. Januar 2020, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts,
PdAS und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2020

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