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VORWÄRTS/1558: Dezentrale Aktionen gegen 50 Jahre WEF


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 03/04 vom 31. Januar 2020

Dezentrale Aktionen gegen 50 Jahre WEF

von Sabine Hunziker


Zum 50jährigen "Jubiläum" des World Economic Forum (WEF) gab es schweizweit eine breite Protestbewegung: Kritisiert wurde die Behauptung des Treffens der Mächtigen in Davos, "den Zustand der Welt verbessern" zu wollen. Auch Kriegswirtschaft und ihre Folgen oder der Klimawandel standen im Fokus.


"Wir tragen den weltweiten Protest dahin, wo er hingehört", sagten Aktivist*innen, welche sich an der Winterwanderung für Klimagerechtigkeit vom 19. bis 21. Januar 2020 beteiligten. "Wir wandern nach Davos, um sichtbar zu machen, was uns wichtig ist. Wir wollen Druck von unten aufbauen, um eine politische Veränderung zu erwirken und setzen nicht auf den Dialog mit den Teilnehmer*innen vom WEF", stand in einer Erklärung. Die Wanderung selber dauerte drei Tage und ging von Landquart über Schiers und Klosters nach Davos. Ziel war, am Eröffnungstag vom WEF am 21. Januar in Davos anzukommen und unter anderem an der Kundgebung der Juso Graubünden teilzunehmen. Allerdings war die Winterwanderung nur teilweise bewilligt. Einige Teilnehmer*innen nahmen nach einer gemachten Etappe den Zug nach Davos, andere gingen auf verschneiten Wanderwegen bis nach oben. Es war körperlich anstrengend und man brauchte gute Kleidung für den Marsch, so erzählte eine Aktivistin.


Vielfalt der Kämpfe

Keine warmen Jacken brauchten Aktivist*innen in Bern, Basel und Zürich. Im Vorfeld zum WEF fand in beiden Städten das Smash-WEF-Winterquartier statt. Politische Veranstaltungen und Filme bildeten vom 3. bis 5. Januar in Bern, am 10. in Basel und vom 10. bis 12. Januar in Zürich eine Vorbereitung zu den WEF-Protesten. Zusätzlich fand in Bern im Rahmen der Tour de Lorraine (TdL) Politisierung und Aufklärung statt. Die "Klimahalle" in Bern mit Workshops, Diskussionen und anderen Veranstaltungen rund um "Klimagerechtigkeit" war ein weiterer Höhepunkt. Zum inhaltlichen Auftakt der TdL gab es schon am 16. Januar eine erste Demonstration in Bern. Payal Parekh, eine internationale Klimaaktivistin, und Vorstandsmitglied von Campax, Niko Paech von der Universität Siegen sowie eine Aktivistin aus der Bewegung des Klimastreiks gaben Inputs dazu, wie die Zivilgesellschaft Weichen stellen kann: "Die Dringlichkeit der fundamentalen Veränderung unserer Lebensweise ist grösser denn je und der Weg steil und steinig. Jetzt ist es Zeit, unsere Ideen, Konzepte und Forderungen mit Nachdruck zu verfolgen. Welche Ansätze sind vielversprechend und welche aktivistischen Handlungsspielräume haben wir dabei?". Das schrieben die Organisator*innen.

Am 18. Januar wurde für eine weitere Demonstration durch die Bundeshauptstadt unter den Stichworten "No WEF - weltweiter Widerstand im Klassenkampf vereint" mobilisiert. Hier stand nicht - wie bei anderen Aktionen - der Klimawandel im Zentrum, sondern klassische Themen wie Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen, kapitalistische Herrschaft und Klassenkampf. In den kritischen Fokus genommen wurde dieses Jahr das WEF als Plattform für Diskussionen zu den "Problemen in der Welt", bei dem vordergründig mit allen Interessengruppen diskutiert und Lösungen gefunden werden sollen.


Zustand der Welt verschlechtert

"Klar ist hier, dass die Bevölkerung als un-er-drückte Mehrheit keine 'Interessengruppe' ist, mit der in einem Dialog gestanden werden kann. Das WEF wird einer scheinbar lösungsorientierten Fassade nicht gerecht: Denn es werden nicht Lösungen gesucht, sondern aktiv Probleme geschaffen", schrieb das Bündnis, das die Demonstration organisierte. Das WEF hat den Anspruch, "den Zustand der Welt zu verbessern" und ist damit seit 50 Jahren kläglich gescheitert. Die Klimakatastrophe wird massgeblich von den weltweit 1.000 grössten Unternehmen verursacht, die oft mit ihren Spitzenmanger*innen am WEF teilnehmen. Die Hauptgäste des Forums sind die Verursacher von Unterdrückung überhaupt. Im Rahmen eines Workshops im "No-WEF Winterquartier" in Bern wurde die Weltanschauung des WEF-Gründers Klaus Schwab kritisch analysiert. Thesen zur WEF-Ideologie stellte der Referent bei der Diskussion auf: Hier wird eine Harmonisierung von gesellschaftlichen Widersprüchen betrieben. Beim Beispiel der Flüchtlingsfrage sucht man einen Kompromiss von der "Erhaltung der eigenen Kultur" und der "Solidarität nur für jene, die wirklich Hilfe brauchen".

Es findet sich in der Ideologie ein naiver Fortschrittsglaube und technologischer Determinismus. Das heisst, es wird angenommen, dass technische Entwicklung sozialen und kulturellen Wandel zur Folge hat und insbesondere Technik soziale, politische und kulturelle Anpassungen fördern kann. Neben diesen Grundsätzen blendet die Ideologie, die im Forum aufgebaut und verbreitet wird, Gewalt, Ausbeutung, Imperialismus und Grenzen aus. So können Missstände nicht aktiv diskutiert und keine wirklichen Lösungen gefunden werden. Diese WEF-Ideologie fassten Aktivist*innen an der Demonstration mit den Stichwörtern "Eispalast der sozialen Kälte" zusammen.


Krieg als Gewinn

Auch Kriegsgeschäfte waren Thema. Anfang Oktober gab es einen neuen und zugleich alten Kriegsschauplatz in der Welt: Rojava wurde vom türkischen Regime Erdogans angegriffen. Das Nato-Mitglied bombardierte dabei Wohnhäuser, Spitäler, Schulen und die Wasserversorgung. Dschihadistische Milizen, welche für Erdogan Drecksarbeit erledigten, kämpften gegen die in Rojava lebenden Zivilisten*innen mit dem Ziel der Schaffung einer ethnisch gesäuberten "Sicherheitszone" an der Grenze Syriens. Allein mit Kriegsmaterial wurden und werden Millionen Franken erwirtschaftet. Eine wichtige Profiteurin dabei ist die Ruag Holding AG aus der Schweiz. Auf Kundenliste der Rüstungsindustrien stehen unter anderem kriegsführende Staaten. So profitieren diese Firmen von Konflikten und heizen sie mit ihren Waffenlieferungen zusätzlich ein. Trotz der schwierigen Situation regte sich schon bald Widerstand vor Ort in Rojava: Kämpfer*innen der Frauen- und Volksverteidigungseinheiten (YPJ/YPG) und ihre Verbündeten wehrten sich. Aktivist*innen rund um das Projekt der Selbstorganisation und der Frauen*befreiung in Rojava gaben die Hoffnung nicht auf. Die Jahre, in denen die Demokratische Föderation Nord- und Ostsyrien aufgebaut wurde, hatte die Gesellschaft geprägt. Der Fortschritt wird - egal was passiert - bestehen bleiben.


50 Jahre sind genug

Der Zeitpunkt war günstig, um den Widerstand gegen das WEF wieder aufzunehmen, verschiedene Bewegungen zu verbinden und sich für antikapitalistische Ziele einzusetzen. 50 Jahre WEF ist genug, um festzustellen, dass dieses Treffen der Klassenmächtigen nur kapitalistische Macht stärken kann, und dies mit gravierenden Auswirkungen sowohl im ökologischen, sozialen und ökonomischen Bereich. Wirtschaftsführer*innen vertreten Interessen des Konzerns - egal sind dabei gesellschaftlich relevante Bedürfnisse. Faktisch zerstören Firmen, die am WEF vertreten sind, Lebensgrundlagen aller Menschen. Der Zeitpunkt zu handeln ist jetzt.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 03/04 - 76. Jahrgang - 31. Januar 2020, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
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vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2020

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