Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


VORWÄRTS/1564: Für eine sozial-ökologische Wende


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 05/06 vom 14. Februar 2020

Für eine sozial-ökologische Wende

von Damian Bugmann


Zwanzig Jahre nach dem Pogrom in Südspanien gegen marokkanische Landarbeiter*innen sind die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Landwirtschaft noch dieselben. Unter dem Titel "Zeit für Widerstand" berichteten basisgewerkschaftliche Aktivist*innen aus Südspanien, Süditalien, Österreich und der Schweiz in Bern. Der vorwärts war dabei.


Im Februar 2000 streikten und demonstrierten marokkanische Landarbeiter*innen in El Ejido gegen Dumpinglöhne, Rassismus und Unterdrückung. Schlägerbanden der Arbeitgeber*innen prügelten deshalb mit Baseballschlägern auf sie ein, plünderten und schlugen ihr bescheidenes Hab und Gut in Stücke.

Die Bedingungen in der Agrarproduktion verbesserten sich nicht - auch in der Schweiz nicht. Die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Macht der Supermärkte und Grossproduzent*innen nehmen weiter zu. Die von viel Publikum besuchte Versammlung "Zeit für Widerstand" wurde organisiert vom Europäischen Bürger*innenforum, von Solifonds, Uniterre, Brot-für-alle sowie weiteren Organisationen und Einzelpersonen. Philipp Sauvin von der "Plattform für eine sozial nachhaltige Landwirtschaft" und von der Westschweizer Bäuer*innengewerkschaft "L'autre Syndicat" hielt zu Beginn der Veranstaltung fest: "In der Deutschschweiz existiert bisher keine Gewerkschaft, die sich um die Rechte der Landarbeiter*innen kümmert, auch etablierte Gewerkschaften tun nichts in diesem Bereich."


Entwicklungsland Schweiz

Soziologin und Mitorganisatorin Sarah Schillinger betonte, man wolle mit dieser Veranstaltung eine Debatte lostreten zu den Produktionsbedingungen und den sozialen Bedingungen in der Landwirtschaft. Sie berichtete über Erfahrungen eines rumänischen Landarbeiters auf Höfen im Wallis und im Seeland. Sein Lohn war mager, die Arbeitszeiten waren sehr lang. Trotz anders lautenden Bestimmungen im Arbeitsvertrag wurde ein Leistungslohn ausbezahlt, Überstunden wurden nicht abgegolten. Arbeiter*innen wurden pauschal für verloren gegangene Werkzeuge und kaputte Maschinen verantwortlich gemacht. "Die Saisonarbeiter*innen sind isoliert, sprechen die Landessprache nicht oder schlecht", hielt sie fest. Und: "Die Schweiz ist in diesem Bereich ein Entwicklungsland."


Frauen* doppelt diskriminiert

Sónia Melo von Sezonieri.at in Österreich, Kampagne für die Rechte der Saisonlandarbeiter*innen, arbeitet mit Gewerkschaften zusammen. Im Tirol lässt man sie an sieben Tagen von sechs Uhr bis Mitternacht zu einem Lohn von 3.80 Euro schuften. Stattliche Abzüge werden von diesem kleinen Lohn gemacht, Nacht- und Wochenendzuschläge gibt es nicht. Der Kollektivvertrag interessiert die Patrons nicht. Sónia Melo: "Es geht hier nicht um schwarze Schafe, wie die Arbeitgeber*innen behaupten, sondern um praktisch alle Betriebe." Deshalb gab es auch Streiks in verschiedenen Regionen. Sezonieri (rumänisch für Saisonniers) und Gewerkschafter*innen klären die osteuropäischen Arbeiter*innen auf den Feldern über ihre Rechte auf, leisten Rechtshilfe und mobilisieren. Frauen* sind durch sexuelle Übergriffe doppelt diskriminiert. Oft muss man zufrieden sein, vor Gericht einen Vergleich zu erreichen, da Gerichtsverfahren aufwändig und langwierig sind.


Verbotene Pestizide

Hervé Faye arbeitet in der Casa Sankara in Süditalien. Die Institution ist nach dem 1987 in Burkina Faso weggeputschten und umgebrachten sozialistischen Präsidenten Thomas Sankara benannt. "Die Casa Sankara des Vereins 'Ghetto Out' engagiert sich, Arbeiter*innen aus den unhygienischen Barackenagglomerationen, aus Sklaverei, Prostitution und Drogenhandel herauszuholen und ihnen ein menschenwürdiges Zuhause zu geben", erklärte Hervé. "Wir bieten auch Rechtshilfe und Bildungsprogramme an". Im 40.000 Hektar grossen Plastikmeer von Almeria mit 80.000 afrikanischen Saisonarbeiter*innen herrschen laut Laura Góngora Pérez von der Andalusischen Arbeitergewerkschaft SAT (Sindicato Andaluz de Trabajadores) etwa die selben Bedingungen. "Arbeitsrechtsverletzungen kommen in biologischen und konventionellen Betrieben vor", sagte Laura. "Es werden verbotene Pestizide verwendet, die meisten Betriebe bohren illegal nach Wasser, das Grundwasser ist massiv übernutzt."

Die Demonstration "Essen ist politisch! Für eine soziale, bäuerliche und agrarökologische Landwirtschaft" vom Samstag, 22. Februar auf der Schützenmatte Bern wird das Engagement für eine sozial-ökologische Wende auf die Strasse tragen und öffentlich machen.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06 - 76. Jahrgang - 14. Februar 2020, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang