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VORWÄRTS/1577: Frauenfeindliche Vandalen am Werk


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 27. März 2020

Frauenfeindliche Vandalen am Werk

von Sabine Hunziker


Immer wieder wird in Genf das Strassenbild "feminisiert". Dies stösst aber auch auf Widerstand: Unbekannte beschädigten Anfang März Strassenschilder mit Frauen*namen und zeigten damit auf, dass es weiterhin eine Notwendigkeit ist, gegen Diskriminierung zu kämpfen.


Im Frauen*streikjahr 2019 wurden bei Aktionen bestehende Schilder von Strassen mit "Männernamen" ausgetauscht und Strassenschilder "feminisiert". Sichtbar waren Frauen*namen. Als erste Stadt in der Schweiz nahm Genf diese Ideen aktiv auf und gestaltet jetzt ihr Strassenbild neu. 100 Strassen wurden fix von der Stadtregierung mit Namen von berühmten Frauen beschriftet. Seit Beginn des Jahrs werden 250 Strassenschilder, die "Strichmännchen" beim Überqueren der Strasse zeigen, abmontiert und durch neue Piktogramme ersetzt. So sieht man neu Frauen* mit Babybauch, ältere Frauen* mit Gehstock oder "dickere" Frauen* auf den Tafeln. Ziel der Stadt ist eine ausgewogene "Gender-Beschilderung": 50 Prozent mit "männlichen" und 50 Prozent mit "weiblichen" Darstellungen.


Die Norm durchbrochen

Grundgedanke ist neben der Gleichberechtigung auch die Darstellung der Vielfältigkeit der internationalen Bevölkerung in Genf. Bereits bei der Vorstellung des Projekts zu einem früheren Zeitpunkt unter anderem durch die Stadtpräsidentin Sandrine Salerno gab es hitzige Diskussionen. Dabei ging es nicht nur um die Kosten der Neuanschaffung, für welche die Stadt rund 56.000 Franken bezahlt. Man störte sich auch an den neuen Darstellungen. An "männliche" Piktogramme ist die Bevölkerung gewöhnt. Männlichkeit wird da zur Norm und Weiblichkeit ist eine Abweichung davon und provoziert. Altbekannte Argumente fielen in Gesprächen: Je mehr vielfältige Darstellungen die Strassen zieren, desto mehr Menschen schliesst man dabei aus. Unter den sechs "weiblichen" Sujets, die entworfen wurden, findet sich keine Frau* mit einer Behinderung - so lautet auch ein Vorwurf.


Reaktionär*innen schlagen zu

Dass Gleichberechtigung ein Baufeld mit hunderten von Einzelplätzen ist, ging bei diesem Argument wohl vergessen. Ziel der ersten Beschilderung war die Forderung nach einem "gerechten" Verhältnis zwischen "Männern und Frauen". Weitere Baustellen zur Gleichberechtigung könnten in Genf durchaus folgen und andere "vergessene" Gruppen abgebildet werden. So übermalten Aktivist*innen im Sommer 2019 während des "Geneva Pride"-Festivals der LGBTI*-Community zahlreiche Zebrastreifen mit Regenbogenfarben. Es braucht für Veränderungen Kämpfe der Betroffenen. Solche Aktivitäten rufen auch immer Reaktionär*innen auf den Plan. Anfang März 2020 beschädigten Unbekannte die neuen Strassenschilder mit "Frauennamen" und eine Plakatausstellung im öffentlichen Raum, die dem vor 60 Jahren eingeführten "Frauenstimmrecht" der Genfer*innen gewidmet ist. Die Vandalen verschmierten Plakate mit diskriminierenden Tags und rissen Schilder von den Wänden. Eine Strafanzeige gegen Unbekannt wurde eingereicht. Fazit hier ist, dass die These von den "vielfältigen Darstellungen, womit Menschen ausgeschlossen werden" wenig Sinn macht. Vielmehr zeigt der Umgang mit "vielfältigen Darstellungen" in der Öffentlichkeit, wie offen eine Gesamtgesellschaft wirklich ist. Wenn bereits kleine Veränderungen wie Strassennamen solche Reaktionen auslösen, dann ist sicher, dass es noch ein langer Weg zur Gleichberechtigung aller Menschen ist. Die Wichtigkeit der Kämpfe gegen Diskriminierung wird aufgezeigt. Unklar ist aber, welche Reaktionen auf "feminisierte" Schilder schlimmer sind: die Zerstörung der Bilder oder die Argumente dazu im Salon.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12 - 76. Jahrgang - 27. März 2020, S. 10
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2020

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