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BERICHT/126: Friedensfilmpreis für Hana Makhmalbaf (IPPNWforum)


IPPNWforum | 110 | 08
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Buddha zerfiel vor Scham
Friedensfilmpreis für Hana Makhmalbaf

Von Ulla Gorges


"Gerade in diesem Moment, in dem der Friedensfilmpreis diesem Film verliehen wird, gibt es noch so viele Menschen, die nachts hungrig schlafen müssen. Gerade in diesem Moment gibt es viele Intellektuelle, die sich in den Gefängnissen befinden, da die Meinungsfreiheit nicht gegeben ist. Und gerade in diesem Moment gibt es viele Kinder, die wegen Krieg heimatlos werden. Mögen Preise wie dieser behilflich sein, Armut, Gefängnissen und Kriegen eine Ende zu setzen."


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Mit diesen Sätzen dankte die junge iranische Regisseurin Hana Makhmalbaf der Initiative Friedensfilmpreis für die Auszeichnung ihres Filmes "Buddha zerfiel vor Scham" mit dem 23. Friedensfilmpreis der Internationalen Berliner Filmfestspiele. Auch wenn die Filmemacherin an der Preisverleihungsveranstaltung am 17. Februar nicht teilnehmen konnte, geriet der Sonntagabend in der Akademie der Künste Berlin mit der Filmvorführung und der anschließenden Diskussion zu einem bewegenden und interessanten Ereignis für die mehr als 600 Anwesenden.

"Buddha zerfiel vor Scham" (Buda az aharm foru rikht) ist der erste abendfüllende Spielfilm der erst 19jährigen Regisseurin. Hana ist die jüngste Tochter der iranischen Filmemacherfamilie Makhmalbaf. Ihr Vater, Mohsen Makhmalbaf, ("Die Reise nach Kandahar") setzt sich seit Jahren für die Menschen Afghanistans ein: in den 90er Jahren erreichte er nach unzähligen Eingaben an die iranische Regierung, dass das Unterrichtsverbot für die Kinder der Millionen afghanischen Flüchtlinge im Iran aufgehoben wurde. In Afghanistan hat er eine Stiftung gegründet, die Bildungsprojekte initiiert und unterstützt. Auch Hanas Mutter Marzijeh und ihre Geschwister Samira und Maysam sind im "Makhmalbaf Film House" tätig, alle der großen Tradition des iranischen Films verpflichtet. Andere Werke von iranischen FilmemacherInnen zeugten auf der Berlinale von der Unerschrockenheit des unabhängigen iranischen Kinos, vom beharrlichen, klug-subversiven Trotzen der Zensur, so die Filme "3 Frauen" von Maijeh Hekmat und "The Song of Sparrows" von Majid Majidi, der alle Mitglieder der Friedensfilmpreis-Jury begeisterte. Die Familie Makhmalbaf ist aus politischen Gründen aus dem Iran emigriert und lebt und arbeitet heute in Kabul.

Schauplatz von Hana Makhmalbafs "Buddha zerfiel vor Scham" ist das Tal von Bamian in Afghanistan. In den steilen Felswänden, die das Tal einschließen, klaffen die Nischen, aus denen Taliban die berühmten Buddhastatuen herausgesprengt hatten. In diesen Felsen leben Dorfbewohner in Wohnhöhlen, unter ihnen auch die kleine Bakhtay und der Nachbarsjunge Abbas. Ihre resoluten, überarbeiteten Mütter müssen sich und die Kinder allein durchbringen - Väter treten nicht in Erscheinung. Abbas ist stolz, er geht schon zur Schule, und auch wenn ihm das Erlernen des Alphabets schwer fällt, gibt er vor Bakhtay damit an. Aus der Schule bringt er Geschichten mit. Bakhtay liebt Geschichten, sie will es dem Nachbarsjungen gleich tun und auch zur Schule gehen um Geschichten zu lernen. Die Mutter würde ihre Zustimmung nicht geben, sie braucht Bakhtay daheim zur Beaufsichtigung des kleinen Bruders, also will sich das Mädchen ohne Wissen der Mutter auf den Weg machen. Aber für den Schulbesuch braucht sie ein Heft und einen Stift, also gilt es zunächst, auf dem Markt Eier gegen Brot zu tauschen und dann Brot gegen ein paar Geldscheine, genug für das Schulheft. Zum Schreiben soll der Lippenstift der Mutter dienen. Aber aus der nahe gelegenen Schule, in die sie Abbas begleitet, wird sie verscheucht, diese ist nur für Jungen. Mädchen müssen zur weit entfernten Schule auf der anderen Seite des Flusses.

Wir begleiten Bakhtay auf ihren Wegen durch das Tal, dessen staubbraune Landschaft so archaisch erscheint wie die Menschen, denen das kleine Mädchen im Dorf und unterwegs begegnet. Nur ein Verkehrspolizist in seiner neuen glänzenden Uniform fällt aus diesem zeitlos-alten Bild, mit einer surrealen Szene, in der er mit der ganzen Würde seines Amtes ein paar vorbei trottende Schafe zu lenken versucht, die sich um seine Armschwenks nicht scheren. Vielleicht ein ironischer Seitenhieb auf so manche verfehlte Wiederaufbaupolitik? Bitter ernst gemeint sind dagegen die anderen Zeichen, mit denen die Bilder und das Geschehen im Film in unserem Jahrhundert verortet werden: neben den klaffenden Buddha-Nischen sind das die Hinweise auf herumliegende Landminen und ist es ein am Himmel kreisender Hubschrauber. Der jahrzehntelange Krieg, der dieses Land heimsucht, wird aber vor allem dargestellt im Verhalten einer Jungenbande, die Bakhtay und Abbas ständig auflauert und überfällt. Mal sind die Jungen "Amerikanos", die den wehrlosen Abbas in ein Schlammloch zwingen, mal schreien sie "Wir sind die Taliban", zefleddern Baktays Schulheft und drohen damit sie einzugraben und zu steinigen, weil sie einen Lippenstift bei sich hat. Diese Szenen sind schwer zu ertragen, aus dem Spiel könnte jederzeit Ernst werden und die erhobenen Steine würden auf das Mädchen fallen. Und als Zuschauer weiß man ja, dass das Spiel der Jungen im Film in ihrem Land bittere Realität ist - das lässt oft den SAtem stocken. Auf dem Rückweg vom missglückten Schulbesuch - Bakhtay wird auch aus der Mädchenschule verwiesen, sie ist zu jung - wird sie wieder Opfer der Bande. Diesmal gelingt es ihr nicht, der bedrohlichen Situation spielerisch und verschmitzt-naiv auszuweichen. Es hilft nicht, dass sie immer wieder beteuert, "Ich mag das Kriegsspiel nicht!" - sie muss sich der Übermacht beugen und nachgeben: "Stirb, dann bist Du frei". Ihre Sehnsucht nach Lernen und nach lustigen Geschichten wird auf dem Dreschplatz des Dorfes erstickt

Der Film zeigt deutlich, was für die junge Regisseurin Hana Makhmalbaf Bildung bedeutet. Sie war an den starren Inhalten und rigiden Lehrmethoden in Teheran gescheitert, wurde von ihrem Vater aus der Schule genommen und privat unterrichtet. Sein Eintreten für Schulunterricht für die Flüchtlingskinder hat sie als Jugendliche miterlebt. Und auch wir Zuschauer von "Buddha zerfiel vor Scham" wünschen den afghanischen Kindern mehr Schulen, Schulhefte und Bücher - den Mädchen wie Bakhtay, aber auch den Jungen.

Dr. Nicola Kaatsch, Kinderärztin in Hamburg, machte in der Podiumsdiskussion nach der Vorführung des preisgekrönten Films darauf aufmerksam, dass doch diese herumlungernden Bandenmitglieder eigentlich auch in die Schule gehören, anstatt Krieg zu spielen und die Kleinen zu quälen. Aber es gibt nicht genügend Schulen und wohl auch vielerorts keine Eltern, die ihre Kinder zum Schulbesuch anhalten. Und vor allem gibt es im besetzten Afghanistan keinen Frieden - die Kinder spielen was sie kennen: Krieg.

An der Diskussion nach dem Film nahm auch die Botschafterin Afghanistans in Deutschland teil, Professor Maliha Zulfacar. Sie zeigte sich deutlich ablehnend gegenüber der Auszeichnung von "Buddha zerfiel vor Scham" mit dem Friedensfilmpreis, denn sie war besorgt, dass der Film in Deutschland dazu beitragen könnte, das militärische Engagement in ihrem Land infrage zu stellen.

Diese Sorge ist berechtigt. Die Initiative Friedensfilmpreis verlautbarte anlässlich der Preisverleihung für "Buddha zerfiel vor Scham" in einer Presseerklärung: "Einen Tag vor Berlinale-Beginn wurde seitens der Bundesregierung die Entsendung von Kampftruppen nach Afghanistan beschlossen. Wenige Tage später folgte eine Debatte um eine weitere Aufstockung der deutschen Truppen und die Ausdehnung des Aktionsbereichs gen Westen. Heute verleihen wir einem Film den Friedensfilmpreis, der in Afghanistan spielt und er zeigt, wie Krieg auf Kinder wirkt. In Hana Makhmalbafs Film spielen Kinder "Taliban" und "Amerikaner" mit unerbittlicher Härte. damit diese Kinder in wenigen Monaten oder Jahren nicht auch "Deutsche" spielen müssen, muss sich der Schwerpunkt aktueller deutscher Politik wieder ändern: Die zivilen Strukturen der Gesellschaft müssen gestärkt und wieder hergestellt werden. Auch dazu ruft dieser Film auf."

Ebenfalls am Tag der Preisverleihung erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel über den Fall des afghanischen Studenten Sayid Pervez Kambaksch, der in Masar-i-Scharif, wo deutsche Truppen für Aufbau und Rechtsstaatlichkeit sorgen sollen, in der Todeszelle saß. Er hatte einen Artikel über Frauenrechte im Islam unter Kommilitonen verteilt. "(Karsai) hat die Hoffnungen, dass er das Land nach Jahrzehnten des Terrors und der Gewalt zu einem liberalen Gemeinwesen führen könnte, enttäuscht. (...) Wir müssen uns fragen, ob der Einsatz unserer Truppen in Afghanistan wirklich dem Aufbau einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft dient, oder ob wir ein Schergenregime unterstützen, das diese Werte mit den Füßen tritt."


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Quelle:
IPPNWforum | 110 | 08, S. 22-23
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2008