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BERICHT/136: Wissenschaftsjournalismus - eine außergewöhnliche Disziplin (research*eu)


research*eu Nr. 56 - Juni 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Porträt einer außergewöhnlichen Disziplin

Von Carlotta Franzoni


Wie macht man der breiten Öffentlichkeit die Wissenschaft schmackhaft? In ihrem Umgang mit einer Forschergemeinschaft, die sich mal hermetisch abschirmt, dann wieder von sich reden macht, müssen sich die Wissenschaftsjournalisten ständig Fragen stellen, um eine Kunst zu wahren, die unmittelbar mit der Welt zusammenhängt, die uns umgibt und uns so oft unbegreiflich ist. Tim Radford, ehemaliger Chefredakteur der wissenschaftlichen Abteilung des Guardian (Vereinigtes Königreich), hilft uns dabei, die Magie dieses Berufs, aber auch die Schwierigkeiten, die ihn prägen, besser zu verstehen. Wissenschaftsvermittler - ein Vollberuf...


In diesem Beruf sind ebenso viele auf Kommunikation umgesattelte Wissenschaftler wie forschungsbegeisterte Journalisten oder sogar Wissenschaftspädagogen anzutreffen, die ihr Publikum erweitern möchten. Ein Standardprofil gibt es nicht. Es ist sogar, wie manche meinen, eine Kunst, wie sie nur durch Praxis entstehen kann. Tim Radford, der durch Zufall zum Journalismus gekommen ist, nachdem er als Sechzehnjähriger von der Schule abgegangen war, ist der lebende Beweis dafür. "Wir lernen vor Ort. Auch wenn Sie an der Universität waren, um Wissenschaftskommunikation zu studieren - sobald Sie im wahren Leben stehen, ändern sich die Dinge. Man muss ständig alles neu erlernen."
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Mehr als ein bloßer Übersetzer oder Professor muss der Wissenschaftsjournalist die Wissenschaft vor allem spannend darstellen. "Unsere Arbeit besteht darin, Geschichten zu finden, die noch nie zuvor erzählt wurden, und dafür zu sorgen, dass die Leute sie lesen. Heutzutage entwickelt sich die Wissenschaft rasend schnell. Wir wurden vom Auftreten der Stammzellen, dem Klonen oder dem Internet geradezu überrascht. Wer weiß, was uns wohl an der nächsten Straßenecke erwartet? Vom journalistischen Standpunkt aus gesehen ist das faszinierend."

Der Wissenschaft einen angemessenen Stellenwert zu verschaffen, über hartnäckige Zweifel zu informieren und sie vor allem verfügbar und angenehm zu gestalten, ohne dabei jedoch ihre Subtilitäten zu deformieren - so lautet der Auftrag, der sich dem Wissenschaftsjournalisten stellt. Die Schlüsselfragen Wer? Was? Wo? Wann? Wie? Warum? erhalten hier ihre ganze Bedeutung.

Sehr schnell finden zwei Berufe mit einer sehr ausgeprägten Identität - sprich Ego - einen gemeinsamen Nenner: die Neugier. Denn genau wie jeder Wissenschaftler, der sich Fragen stellt (und zwar so lange, bis er die Lösung zu seinem Problem gefunden hat), stellt sich auch der Journalist ständig Fragen. "Mit dem Unterschied, dass ihm lediglich ein einziger Tag zur Verfügung steht, um eine Antwort zu finden, und dass er unbedingt einen Artikel verfassen muss, der seine Leserschaft berührt... Manchmal kommt es vor, (dass die Geschichte schon lange existiert, aber es hat sie noch niemand erzählt. Dann besteht die Herausforderung darin, sie zu aktualisieren, um sie umso besser aufleben zu lassen."


Eine heikle Angelegenheit

Leider gibt es kein Erfolgsrezept für diesen journalistischen Stil, der einer Vielzahl von oft schwer kombinierbaren Faktoren gerecht werden muss.

Wiederholen wir zunächst die Spielregeln. Während man darauf verzichten kann, die Fußballregeln oder die Feinheiten des politischen Spiels zu wiederholen, muss die Wissenschaft dem Publikum ständig wieder bestimmte grundlegende Vorkenntnisse in Erinnerung rufen. Was ist ein Enzym? Worauf stützt sich die Stringtheorie? Wie funktioniert ein Gen? "Es ist jedoch nicht erforderlich, jedes Mal alles von vorne zu erklären. Heutzutage verfügt jeder Mensch, der eine Waschmaschine oder einen Mikrowellenherd besitzt, über mehr Informatikkenntnisse als noch vor 20 Jahren. Genauso wenig braucht man glücklicherweise inzwischen den Begriff DNA noch näher zu erläutern."

Um weiterhin den Entwicklungsprozess der wissenschaftlichen Realität - ohne Verherrlichung - verständlich zu machen, sind eine gewisse Distanz und eine eingehende Untersuchung der Informationen erforderlich. Denn es geht darum, die Dinge nicht durch zu große Vereinfachung zu verfälschen. In der Tat kann eine exzessive Vulgarisierung zu falschen Auslegungen führen, wodurch das häufig von Forschern gegen Journalisten gehegte Misstrauen genährt wird. Mehr noch als in irgendeinem anderen Zweig des Journalismus muss der Wissenschaftsjournalist binnen kürzester Zeit so viel wie möglich recherchieren. Somit wird er selbst zum "Miniforscher", was ihn seinem Hauptgesprächspartner, dem Wissenschaftler, noch näher bringt. In einer von Pressemitteilungen, Blogs und Wikis überlasteten Zeit ist jedoch niemand gegen Unrichtigkeiten gefeit, am wenigsten, wenn es sich um Wissenschaft handelt.


Information oder Werbung?

In der rastlosen Jagd nach Forschungsmitteln hängt die Zukunft des Forschers unter anderem auch von der medialen Ausstrahlung seines Projektes ab. Daher wird er sich meist eher an die Pressestelle oder an die Spin-Doctors seines Instituts wenden als an einen Journalisten, es sei denn, die nicht immer gespielte Unwissenheit des betreffenden Journalisten gestattet die Übermittlung der gewünschten Botschaft. Wo befindet sich die Grenze zwischen Journalismus und Kommunikation? Das ist die ewige Frage eines Berufs im ausschließlichen Dienst der Öffentlichkeit, die er informieren will.

Die Kommunikation preist die Fortschritte der Wissenschaft, auch auf die Gefahr hin, dass man sie entschärft, um anschließend besser für sie werben zu können. Der Journalist hingegen "versachlicht" sie und macht sie gleichzeitig menschlicher. Dazu muss er eine neutrale und kritische Position einnehmen, sich seiner eigenen Entscheidungen und Blickwinkel bewusst sein und das Publikum über die positive oder negative Tragweite der Entdeckung informieren. Kurz gesagt, er muss so unabhängig wie möglich bleiben.

"Wir sind dazu da, dem Bürger zu einer eigenen Meinung zu verhelfen. Das kann dann durchaus die Meinung eines Ignoranten sein, aber besser so als überhaupt keine Meinung. Der Journalismus erweist sieh für die Welt insgesamt als gesünder, wenn er bereit ist, sich der Autorität zu widersetzen. Die Bürger zahlen für die Wissenschaft, die wiederum von den politischen Entscheidungsträgem abhängig ist, die Fördermittel bereitstellen. In diesem Sinne sollten die Wissenschaftler sich ebenfalls auf eine kritische Presse gefasst machen. Das ist durchaus legitim."


Die Launen der Information

Der Wissenschaftsjournalismus gilt oft als "Stiefkind" der allgemeinen Information. Bevor das Interesse des Publikums oder der Leserschaft geweckt wird, gilt es zuerst, den Chefredakteur von der Relevanz des Themas und seinem Stellenwert zu überzeugen. In einem allgemeinen Medium ohne genau definierte wissenschaftliche Rubrik wird oft flüchtigen Ereignissen, die das unmittelbare Tagesgeschehen beeinflussen, der Vorrang gegeben, während die wissenschaftliche Nachricht auf später verschoben wird bzw. auf der Strecke bleibt. Es bedarf praktisch einer welterschütternden Entdeckung, um tatsächlich die Aufmerksamkeit der Redaktionen zu gewinnen, und sogar das gewährleistet keineswegs die Qualität ihrer Behandlung durch die Medien. Denn bei näherer Beobachtung der derzeitigen Medien erscheint die Bearbeitung der Information umso trivialer, wenn nicht sogar schlampiger, je mehr die Nachricht im Trend, im sogenannten "sensationssüchtigen" Mainstream liegt.

Doch mit zunehmender Bedeutung von Themen, die von großer Tragweite sind, wie die Klimaerwärmung, die Gesundheit oder das Internet, bieten sich dem Wissenschaftsjournalismus großartige Möglichkeiten. In einer immer unsichereren Medienwelt berühren diese Fragen die breite Öffentlichkeit immer stärker und rücken allmählich an erste Stelle. Sie sind zugänglich und unmittelbar mit dem Alltag des Bürgers verbunden und gestatten der Wissenschaft, sich ein wenig häufiger in die Redaktion eines Magazins, eines Fernsehkanals oder eines Radiosenders einzumischen.

"Die Trägheit stellt ein Problem im Medienmanagement dar. Wir sind in einer Generation aufgewachsen, die noch davon überzeugt ist, dass Wissenschaft langweilig ist, nichts Interessantes zu bieten hat und nur Langweiler mit dicken Brillengläsern etwas angeht, die in ihrer eigenen Welt leben. Wir müssen diese Wahrnehmung verändern, und zu diesem Zweck brauchen wir äußerst begeisterte Journalisten, die in der Lage sind, die wunderbaren hinter der Wissenschaft verborgenen Geschichten ans Licht zu bringen. Wenn Ihnen diese Disziplin muffig erscheint, dann, weil es noch niemand geschafft hat, sie Ihnen schmackhaft zu machen. Wir sind dazu da, eben diese Herausforderung anzunehmen."


Hand in Hand verbreiten

Genau hier liegt das wahre Talent des Wissenschaftsjournalisten, aber unter einer Bedingung: Der Forscher muss ihm Vertrauen schenken. "Niemand kann den Wissenschaftler ersetzen, der von seinen eigenen Entdeckungen spricht, aber es ist noch besser, wenn die erste Person, die das Wort an den Leser richtet, ein Journalist ist. Wir brauchen Mitarbeiter, um unsere Geschichten zu erzählen. Und in der Wissenschaft sind die Forscher unsere besten Partner."

Selbst wenn ihr Status weiterhin zweideutig ist, bleibt die sehr marginale Gemeinschaft der Wissenschaftsjournalisten durch den Willen vereint, das Universalwissen der Menschheit zu übermitteln. Denn im Gegensatz zur Politik sind diese Geschichten in aller Herren Länder die gleichen. Es bleibt zu hoffen, dass die kommenden Generationen von Journalisten - und Bürgern - in einer von Forschung und Innovation zutiefst geprägten Zeit weiterhin nach Wissen lechzen.

"Wenn ich einen Artikel über Nuklearphysik schreibe, denke ich an die Person, die im Nebenraum über einen Fußballer schreibt, der auf frischer Tat inmitten von Prostituierten vor einem Haufen Kokain erwischt worden ist. Sogar wenn er die Wahl hat, wird sich der Leser natürlich für den Skandal entscheiden. Liebe, Sex und Tod sind seit jeher die beliebtesten Themen. Auch die Wissenschaft nähert sich oft diesen drei Themen. Eine wunderbare Möglichkeit, um schöne Geschichten zu erzählen..."

(1) Sämtliche Zitate stammen von Tim Radford.


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Vereinigungen im Einklang

Der Weltverband der Wissenschafts-Journalisten (WFSJ - World Federation of Science Journalists) wurde im Jahre 2002 gegründet und umfasst heute 36 Journalistenvereinigungen auf allen Kontinenten. Seine Zielsetzung: die Förderung des Wissenschaftsjournalismus als Brücke zwischen Wissenschaft, Wissenschaftlern und Öffentlichkeit. Für die WFSJ muss dieser Beruf eine Schlüsselrolle für die Zivilgesellschaft und die Demokratie spielen. Es gilt, die Qualität der wissenschaftlichen Reportage durch den regelmäßigen Austausch zwischen ihren Mitgliedern zu verbessern. Die Website der WFSJ enthält viele Ressourcen (Bücher, Links, Dokumente, Events) und bietet vor allem erstmalig einen Online-Wissenschaftsjournalismus-Kurs an (www.wfsj.org/course/).

Auf individueller Ebene ist die ISWA (International Science Writers Association) die älteste internationale Vereinigung der Wissenschaftsjournalisten überhaupt. Sie wurde im Jahre 1967 als Antwort auf die wachsenden Entwicklungen der wissenschaftlichen Vulgarisierung und der technischen Kommunikation gegründet. Die ISWA erweist sich als besonders nützlich für Redakteure, die über keinerlei lokale oder nationale Vereinigung verfügen. Ihre Mitglieder genießen die Vorteile einer internationalen Berufsorganisation, die Auslandsreisen und den Austausch mit den Wissenschaftlern erleichtert.

www.wfsj.org
www.internationalsciencewriters.org/


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Quelle:
research*eu Nr. 56 - Juni 2008, Seite 13-15
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2008
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GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
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E-Mail: research-eu@ec.europa.eu
Internet: http://ec.europa.eu./research/research-eu

research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2008