Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → FAKTEN

BERICHT/152: Versagen eines ehemals kritischen Journalismus (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1+2/2009

Medienspiegel
Ende der Aufklärung
Das Versagen eines ehemals kritischen Journalismus

Von Richard Meng


Ach, wie einfach. Zuerst die Große Koalition als langweiligen Demokratieblocker runterschreiben - dann die neue Unübersichtlichkeit im Bundesrat beklagen. Zuerst auf einem als zu profilschwach und weich erscheinenden Kurt Beck herumtrampeln, danach die machtentschlossene Zielstrebigkeit einer Andrea Ypsilanti als sektenhaften Wahn abtun. Zuerst eiserne Spardisziplin fordern, wann immer es gegen linke Programmideen geht. Dann aber alle nur denkbaren Milliardenprogramme zur Rettung der Wirtschaft vor dem Finanzmarkt bejubeln.

Ist politischer Journalismus heute noch mehr als ein willfähriger - und wirkungsmächtiger - Trendverstärker für scheinbar gerade Mehrheitsfähiges? In den vergangenen Monaten gab es immer neue Belege dafür, dass viel mehr als Mainstream-Verklärung von den Medien nicht zu erwarten war. Vermutete Sieger möglichst frühzeitig hofieren, vermutete Verlierer vorauseilend diskreditieren: Eher so war zu umschreiben, was in der journalistischen Profession manche immer noch fälschlich für investigativ erklären - im Sinne von vorausschauendem Aufspüren politischer Trends.

Besonders deprimierend ist, dass der Gegenwartsopportunismus innerhalb der Medienwelt selbst kaum noch reflektiert wird. Dass die Profession im Gegenteil Selbsterklärungen entwickelt hat, die darauf hinaus laufen, dass alles genau so schon richtig sei. Der Wettlauf um Exklusivmeldungen zum Beispiel, der Randmeinungen und Randfiguren immer wieder ins Zentrum des Nachrichtengeschäfts katapultiert, weil Einzelmedien sich davon Aufmerksamkeit versprechen können.

Beschönigt wird das mit der Behauptung, unangepasste Äußerungen seien fürs Ganze doch vorwärtstreibend und allemal spannend. Dabei werden die so Befragten letztlich selbst instrumentalisiert, weil ihre Zitate benutzt werden, das gewünschte Bild zu stellen. Und der Jagdinstinkt, wie er für unabhängigen Journalismus nun mal zum Repertoire gehört, richtet sich schnell gegen die leichte Beute. Um des Gefühls der Medien willen, stets auf der guten, weil erfolgreichen Seite zu stehen.

Tatsächlich ist von ernsthaftem Aufklärungsanspruch zu wenig übrig. Er würde ja erfordern, sich auf die realen Abwägungsprozesse der Politik einzulassen, statt ihnen nur besserwisserisch Schablonen gegenüber zu stellen. Die reale innere Spaltung der SPD in programmatischer und bündnispolitischer Hinsicht - sie würde eine kritisch-aufklärerische, aber dabei gegenüber den Akteuren respektvolle Auseinandersetzung wahrlich lohnen. Die neu erkennbar werdenden Grenzen des Marktes und die daraus erwachsenden Fragen an die Gestaltungskraft der Politik: Kaum jemand greift das Thema jenseits symbolischer Verkürzung auf. Als ob etwa die Frage, wie hoch die Neuverschuldung im nächsten Jahr ausfällt, schon die eigentliche wäre.

Nun stimmt leider, dass die Politik selbst viel zu kurzfristig denkt. Der ehemals kritische Journalismus passt sich dem Beobachtungsfeld an. Er kann einen ernsthafteren Anspruch auch deshalb so selbstgerecht verweigern, weil ihm dieser Anspruch selten nur begegnet. Weil eine professionalisierte PR von Parteien und Regierungen genauso tagesbezogen funktioniert und der schwieriger gewordene Medienmarkt den journalistischen Populismus fördert. Nur darf das nicht als Entschuldigung reichen.


Keine Zeit für Selbstsicherheit

Demnächst wird es wieder eine Zeitungskrise geben, und bei den Privatsendern wirken sich die Werbeeinbrüche auch schon aus. Keine Zeiten also für gelassene Selbstsicherheit. Die Jagd nach Auflagen und Quoten wird sich noch einmal verschärfen. Der Druck auf die einzelnen Journalisten, den Exklusivitätswahn zu bedienen (in dem sich doch wieder nur Lemmingsverhalten ausdrückt), wird weiter wachsen. Und wenn es in dieser Welt der Beliebigkeiten überhaupt noch einen politischen Mainstream gibt für die heute dominierende Mediengeneration, dann findet er sich vage im schwarz-grünen Areal.

Das ist eher generationsspezifisch-kulturell zu verstehen. Etwas bürgerlich-alternativ noch, aber schon konfliktfaul. Eher harmoniesüchtig in einer etablierten Welt. Kein Blick von unten mehr. Zur Identität gehört längst auch ein gehöriges Stück Parteienverachtung im Allgemeinen, festgemacht aber besonders gerne an der SPD. Als fühlte man sich gerade ihr gegenüber besonders emanzipiert und überlegen. Erkennbar an der neuesten Kritiklinie: Als sei Politik nur dann gut, wenn sie von oben nach unten durchexerziert wird. Einerseits war die Medienkritik an BKA-Gesetz und Kfz-Steuerplänen fachjournalistisch einhellig. Gleichzeitig wurden die Einwände aus der SPD machtjournalistisch wieder nur als Führungsschwäche ausgelegt.

Darin scheint mitunter geradezu ein anti-parteiliches Demokratieverständnis durch. Und bei aller journalistischen Notwendigkeit, die Nicht-Einhaltung von Wahlaussagen zu thematisieren: Es war am Ende pure Ignoranz, wie in den Medien im Jahr 2008 die große Mehrheit innerhalb der hessischen SPD behandelt wurde. Unter Rückgriff auf scheinmoralisch überfrachtete, keinesfalls mehr inhaltliche Maßstäbe.

Der Wettbewerb der Alarmisten geht zu Lasten der Auseinandersetzung mit realistischen Inhalten, mit dem Machbaren. Aber auch zu Lasten des demokratisch-parlamentarischen Abwägungsprozesses. Politikberichterstattung und Politikinszenierung entfernen sich gleichermaßen vom realpolitischen Kern, den mühsamen und kleinschrittigen Sachauseinandersetzungen. Auch deshalb gibt es keine großen Debatten mehr: Es geht zu sehr darum, möglichst publikumswirksam im selbstgesetzten großen Trend zu liegen. Wer sich mal unsicher sein mag, wohin dieser Trend gerade zeigt: Das neue Leitmedium Spiegel-online gibt stündlich neue Hinweise.

Kann es ernsthaft sein, dass Menschen Roland Koch zuerst abwählen und ihn danach doch wieder für das kleinere Übel halten? Genau so wird die Frage wohlweislich nicht gestellt. Wie kann es kommen, dass der Wirtschaftsjournalismus jahrelang tiefgläubig das spekulative Finanzmarktwachstum bewundert und die Realwirtschaft geradezu zum Relikt vergangener Zeiten erklärt? Kompetenz wird da verwechselt mit geistiger Anpassungsbereitschaft.

Öffentlichkeit als Geleitzug: Wenn keiner mehr durchblickt (oder es auch nur versucht), wird es umso leichter, sich auf Scheinwahrheiten zu verständigen. Drehen wir das Argument um: Auf den Mut kommt es an, Politik wieder ernst zu nehmen. Und die Selbstinszenierung der Medien als weniger wichtig.


Richard Meng (* 1954) ist seit Dezember 2007 Sprecher des Senats von Berlin.
senatssprecher@skzl.verwalt-berlin.de


*


Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1+2/2009, S. 76-77
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
Redaktion: c/o Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin
Hiroshimastraße 17, 10785 Berlin
Telefon: 030/26 935-71 51, -52, -53
Telefax: 030/26 935-92 38
ng-fh@fes.de
www.ng-fh.de

Die NF/FH erscheint monatlich, wobei die Hefte 1+2
und 7+8 im Januar bzw. Juli als Doppelheft erscheinen.
Einzelheft: 5,50 Euro zzgl. Versand
Doppelheft: 10,80 Euro zzgl. Versand
Jahresabonnement: 50,60 Euro frei Haus


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2009