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FILM/004: "Viva Riva!" des kongolesischen Regisseurs Djo Tunda Wa Munga (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, März/April 2012

Viva Riva!

von Anna-Lena Schmidt



Ein kongolesischer Film in europäischen Kinos hat gemeinhin eher Seltenheitswert. Das preisgekrönte Werk des Regisseurs Djo Tunda Wa Munga Viva Riva hat den Sprung auf die internationale Leinwand aber gleich aus mehreren guten Gründen geschafft - er ist authentisch, sozialkritisch und dabei vor allem aber immer auch eins: höchst unterhaltsam.


Kinshasa, eine Stadt ohne einen einzigen Tropfen Sprit. Arm wie Reich sitzt auf dem Trockenen, Stromausfälle sind an der Tagesordnung, liegengebliebene Fahrzeuge säumen die Straße. In diese Situation platzt Riva (Patsha Bay), ein junger Ganove, der nach zehn Jahren in Angola sein Glück in Form einer Lieferwagenladung Benzin gemacht hat. Das ist in der momentanen Situation bares Geld. Denn Riva möchte, was alle möchten: das "big life" leben, und so macht er zusammen mit seinem alten Freund J.M. (Alex Herabo) das Nachtleben Kinshasas unsicher, mit Partys, Alkohol und Frauen.

Man ahnt es als Zuschauer zu diesem Zeitpunkt vielleicht schon - Riva ist nicht der rechtmäßige Besitzer des Benzins. Dieses gehört dem angolanischen Gangsterboss Cesar (Hoji Fortuna), der sich bereits im Maßanzug und in Begleitung seiner Handlanger auf die Jagd nach Riva begeben hat und dabei alles andere als zimperlich vorgeht. Riva hingegen ist es in der Zwischenzeit gelungen, sich noch weiter in Schwierigkeiten zu bringen, denn er hat Gefallen an Nora (Manie Malone) gefunden, der rothaarigen Freundin des lokalen Gangsterbosses Azor (Diplome Amekindra), und tut alles, um an sie heranzukommen. Mit unerschütterlichen Selbstbewusstsein, einer gehörigen Portion Mut und seinem neu erworbenen Reichtum gelingt es ihm tatsächlich, Nora zu erobern. Beide müssen fliehen, denn die Existenz des Benzins hat sich in gewissen Kreisen Kinshasas schnell herumgesprochen und bald sind neben Cesar und Azor auch noch ein Priester, eine Armeekommandantin in Nonnenkleidung und andere zwielichtige Gestalten hinter Riva und seiner heißen Ware her. Es beginnt eine verworrene und atemberaubende Hetzjagd durch die Stadt, in der letztendlich alles, was schnell gewonnen ist, genauso schnell wieder verloren gehen kann.


Mehr als ein Gangsterfilm

Regisseur Djo Tunda Wa Munga entführt den Zuschauer in ein Kinshasa, in dem Armut und Reichtum dicht nebeneinander existieren und in dem Kriminalität und Gewalt an der Tagesordnung sind, das aber dennoch ein Ort der Lebensfreude und des Vergnügens ist. Mungas ambivalentes Kinshasa, das sind Ruinen und Rohbauten, aber auch Villen und schicke Nachtclubs, in denen der Champagner in Strömen fließt. So wie die Stadtbewohner ihre Heimat schon lange nennen und es Gangsterboss Cesar bei seinem Streifzug durch die Stadt zusammenfasst: "Kinshasa la bella, Kinshasa la pubelle."

Doch Munga hat sehr viel mehr geschaffen als einen klassischen Film Noir oder simplen Gangsterfilm. Er nutzt das Genre geschickt, um dem Zuschauer viele der sozialen Probleme des modernen Kongo vor Augen zu führen. Neben der offensichtlichen Armut und sozialen Ungerechtigkeit thematisiert er unter anderem die Rolle der Frau in der kongolesischen Gesellschaft. Seine weiblichen Charaktere leben quasi entrechtet in einer Macho-Gesellschaft, und häusliche Gewalt, Unterdrückung und Prostitution sind die Regel. So mutet es aus europäisch geprägter Sicht der romantischen Kino-Liebe zum Beispiel befremdlich an, dass Nora Riva bereits nach ihrer ersten Liebesnacht in einem Bordell wiederfindet und sie sich nicht groß daran zu stören scheint.

Auch Korruption findet sich hier an jeder Ecke, von den Angehörigen des kongolesischen Militärs bis hin zum Priester, der mit den Ersparnissen der Gemeinde ins Geschäft einsteigen möchte und den gesuchten angolanischen Gangstern gegen einen nicht geringen Obolus Unterschlupf in seiner Kirche gewährt.

Auch der Verfall der afrikanischen Familie ist ein Problem, dass Munga immer wieder thematisiert. Rivas Freund J.M. vernachlässigt Frau und Kinder, um mit Riva Geschäfte zu machen und sich zu vergnügen, Promiskuität ist an der Tagesordnung. Nora wurde von ihrer Familie verstoßen, als diese herausfand, dass sie sich mit einem "sugar daddy" eingelassen hat, und Rivas Eltern lehnen seinen kriminellen Lebensstil ab. Dabei steht dieser offensichtlich zwischen seinem oberflächlichen Wunsch nach Vergnügungssucht und dem Bruch mit der Tradition und der Familie und einem Wunsch, den er mit vielen jungen emigrierten Afrikanern teilt: wohlhabend nach Hause zurückzukehren und seinen Angehörigen ein besseres Leben zu ermöglichen.

Zur hohen Authentizität des Films tragen vor allem zwei Tatsachen bei: Munga hat ihn, ohne sich vor möglichen Komplikationen auf dem internationalen Filmparkett zu fürchten, komplett in Lingala gedreht, im Ausland wird er lediglich untertitelt gezeigt. Darüber hinaus sind fast alle Darsteller Laienschauspieler, die in einem umfangreichen Casting-Prozess aus über 400 Bewerbern ausgewählt wurden. Doch sein Mut machte sich bezahlt, die Rechnung ging auf: Der Film gewann bisher zahlreiche Preise, darunter sechs "African Movie Academy Awards" sowie den ersten "MTV Best African Movie Award". Auch auf dem Filmfestival in Toronto, wo der Film 2010 seine Weltpremiere feierte, sowie auf der Berlinale ließ man sich durchweg positiv über Viva Riva aus.

Aber Munga betont auch immer wieder, dass es sein Ziel ist, den Ruf des afrikanischen Kinos im Ausland zu verbessern und auch einmal andere Seiten des afrikanischen Films zu zeigen, der sonst in Europa auf Festivals zwar regen Zuspruch findet, aber es weder hier noch in den Heimatländern der afrikanischen Regisseure zu großen Erfolgen bringt. Mit Viva Riva könnte er seinem Ziel ein gutes Stück näher gekommen sein; in Kinshasa erhielt sein Film bisher großen Zulauf.

Wie er sich in den europäischen Kinos schlägt, bleibt noch abzuwarten. Viva Riva startet am 15. März in deutschen Kinos und ist für jeden eine Empfehlung wert, der jenseits von allen Fernweh- und Afrikaklischees einfach mal wieder einen wirklich guten Film sehen möchte.


Djo Tunda Wa Munga

Der Regisseur Djo Tunda Wa Munga wurde 1972 in Kinshasa geboren. Mit 10 Jahren ging er nach Belgien und erhielt nach seinem Schulabschluss seine künstlerische Ausbildung an der Nationalen Filmschule Belgiens. Bereits während seines Studiums begann er mit dem Dreh mehrerer Kurzfilme und arbeitete nebenbei als freier Produzent. Nachdem er einige Zeit in Europa lebte, kehrte er 1995 in den Kongo zurück und arbeitete dort zuerst im Dokumentarfilm. Er gründete die erste kongolesische Filmgesellschaft, Suka Productions, mit der er auch die Ausbildung junger kongolesischer Filmemacher unterstützt.

Munga produzierte u.a. die Filme Kinshasa Symphony und Congo in Four Acts. Er lebt und arbeitet in Kinshasa.

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Ein kongolesischer Film in europäischen Kinos hat gemeinhin Seltenheitswert. Viva Riva, der mehrfach ausgezeichnete Film des Regisseurs Djo Tunda Wa Munga, hat aber den Sprung in die internationalen Kinos geschafft. Er ist mehr als ein Gangsterfilm, wie Anna-Lena Schmidt meint.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
41. Jahrgang, Nr. 2, März/April 2012, S. 26 - 27
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2012