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FORSCHUNG/070: Plagiate bekämpfen mit open Access (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 12/2010

Unter Schizophrenen
Plagiate bekämpfen mit open Access

Von Debora Weber-Wulff


Kann man mit Open Access auch Plagiate bekämpfen? Einige Autoren sind durchaus dieser Auffassung. Andere wiederum sehen mit Internet und Google eher den Kulturzerfall der westlichen Welt an Fahrt aufnehmen und befürchten, durch das kostenfreie Einstellen von wissenschaftlichen Texten (neben den übrigen bereits frei zugänglichen) wären diese auch leicht kopierbar, und den Plagiatoren würde Tür und Tor geöffnet. Doch stimmt das?


Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass Forschungsergebnisse, die mit öffentlichen Mitteln gefördert worden sind, selbstverständlich kostenfrei und öffentlich zugänglich gemacht werden müssen. Die Steuerzahler haben die Arbeiten ja bereits bezahlt! Zurzeit bezahlt die öffentliche Hand dreimal für dasselbe Werk: einmal für die Forschung selbst, dann die Gehälter der Reviewer und Editoren und ein drittes Mal, wenn die Bibliotheken zu teilweise horrenden Preisen diese Zeitschriften abonnieren. Mitunter zahlen Forscher sogar auch den Druck durch einen Druckkostenzuschuss an die Verlage. Hierbei verdienen vor allem die Verleger, die trotzdem keine Gelegenheit auslassen, sich darüber zu beschweren, dass keiner mehr Bücher kauft und sie daher pleite gehen könnten.

Dabei haben sie, wenn man das so ausdrücken will, nur verschlafen, sich mit der Digitalität zu beschäftigen. Das ist aber nichts Neues: Platon hat dem ägyptischen Gott Toth, Erfinder des Schreibens, vorgeworfen, dass sich die Leute nun nichts mehr merken würden weil sie Kopien anfertigen könnten. Gutenbergs Buchdruck hat die Erstellung von multiplen Kopien von Schriftwerken wesentlich erleichtert und zugleich die massenweise Anfertigung von Raubdrucken ermöglicht. Kunstdrucke sollten Originalgemälde verdrängen, Fernsehen sollte Radio überflüssig machen, und Zeitungen stürben wegen internetbasierter Nachrichtendienste aus. Diejenigen, die es gut hatten bei den alten Medien, sehen in den neuen Medien große Gefahren und lassen nichts unversucht, sie zu regulieren oder den Zugang zu ihnen zu erschweren.


Was mit "Kopie" gemeint ist

Mit dem Aufkommen des Internets hat sich in der Tat etwas grundlegend verändert. Eine Kopie ist nun in Windeseile möglich: markieren, kopieren, einfügen - fertig! Manche befürchten, dass die Leute nur noch kopieren und nichts Eigenes mehr anfertigen würden, sobald sie ihre Werke im Internet frei zugänglich machen. Dabei vergessen sie, dass Plagiate keine Erfindung des Internetzeitalters sind. Das Wort Plagiat selbst geht auf den römischen Epigrammatiker Martialis zurück, der einen Konkurrenten des Menschenraubes (plagiium) beschuldigte, weil dieser Martialis' Gedichte unter eigenem Namen veröffentlicht hatte. Jahrhundertelang ist es gang und gäbe gewesen, Texte ohne Quellenhinweise zu verwenden, wie Philipp Theisohn in seinem Buch Plagiat: Eine unoriginelle Literaturgeschichte gerade erst so akribisch dokumentiert hat. Erst als die Urheberrechte aufkamen - interessanterweise im Zusammenhang mit den ersten Enzyklopädisten, die anonym plagiierte Texte zusammentrugen und veröffentlichten -, gab es die konkretere Vorstellung, dass es nicht in Ordnung sei, wissenschaftliche Texte ohne Quellenangabe zu verwenden.

Wenn die Open Access-Initiative von "Kopien" spricht, dann meint sie nicht Kopie und Verschleierung des wahren Autors. Sie meint, dass die Texte offen sein müssen, frei gelesen und an andere Stellen frei verwendet werden können. Man muss nur einen Satz weiterlesen in der Open Access Declaration, um die Quellenpflicht zu finden: "Unter Open Access wird der kostenfreie und öffentliche Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen über das Internet verstanden. Die Urheberrechte der Autorinnen und Autoren werden dabei nicht berührt, denn für die Nutzenden ist das Zitieren der Autoren eine selbstverständliche Pflicht." (Quelle: http://edoc.hu-berlin.de/ e_info/oa-erklaerung.php)

Trotzdem missverstehen viele (siehe den Heidelberger Appell) diese Passage als Einladung zum Plagiat, weil es einfach ist zu kopieren. Auch im Obstladen an der Ecke liegt alles lecker ausgelegt - man nimmt trotzdem nicht etwas mit, ohne ordnungsgemäß zu zahlen, obwohl es einfach wäre, sich einen Apfel zu schnappen. Ähnlich der Spruch der Waffenlobby in den USA, den ich immer ärgerlich fand, weil da wirklich etwas dran ist: Guns don't kill people - people do. Und so ist es mit Open Access und Plagiat: Nicht Open Access begeht ein Plagiat, sondern der Autor, der auf unehrliche Art und Weise Texte anderer als die eigenen ausgibt.


Leicht zu finden

Mit Open Access jedoch gibt es einen unschätzbaren Gewinn für die Wissenschaft. Plagiate sind nun sehr einfach aufzudecken. Mit einer Suchmaschine geht es per Hand sehr schnell: drei bis fünf Wörter, gern seltenere Substantive, eine besonders gelungene Phrase oder gar ein entlarvender Schreibfehler sind ausreichend, um viele Plagiate zu finden. Wer das nicht glaubt, möge Google fragen, wie viele Ergebnisse es für "Geßners Gattungsbegriff Idyllendarstellung" gibt. Nur einen Treffer und das bei hausarbeiten.de. Zufall? Dann probiere "paranoide vorolympische Kraftmeierei". Drei Wörter genügen. Auch leicht bearbeitete Texte werden so gefunden. Es hängt mit dem Algorithmus zusammen, nach dem gesucht wird. Identische Wörter sind sehr gut, aber auch nah beieinander liegende bringen viele Punkte beim ranking in Suchmaschinen.

Leider kann man nicht dasselbe für sogenannte Plagiatserkennungssysteme sagen. Sie haben es ungleich schwerer, auch wenn sie durchaus Erfolge aufweisen können. Aber wegen der Textgröße beschränken sich die meisten darauf, nur eine Stichprobe zu testen. Und viel zu viele bestehen darauf, nur exakte Treffer zu finden. Sie werden tatsächlich durch Umformulierungen verwirrt - und da viele Systeme aus dem englischsprachigen Raum stammen, können sie leider nicht mit Umlauten umgehen. Hat man allerdings erst mal einen konkreten Verdacht, so gibt es durchaus Werkzeuge, die zwei Texte miteinander abgleichen und die Übereinstimmungen geeignet darstellen können.

Allerdings können Plagiate nicht von allein gefunden werden, abgesehen von einigen Programmen, die fortwährend durch das Internet wandern und nach Plagiaten eines bestimmten Textes suchen. Es müssen sich also die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ihrer Verantwortung gegenüber der scientific community klar werden. Texte sollten genauso wie Ergebnisse hinterfragt werden. Ist der Text sprunghaft? Sehr glatt? Gibt es Merkwürdigkeiten?

Viele Plagiatoren werden durch kleine Unachtsamkeiten überführt. Ein Schreibfehler wird übernommen; es gibt keine neueren Literaturhinweise; Bilder sind kopiert worden; eine versteckte Ortsangabe passt nicht zum Rest des Textes; oder bei der Übernahme hat das Textbearbeitungsprogramm versucht, hilfreich zu sein, und die Links gleich mitkopiert, was als Unterstreichung im Text erscheint.


Auf allen Ebenen

Nicht nur Studenten und junge Autorinnen plagiieren - Professoren publizieren durchaus studentische Arbeiten in einem falsch verstandenen Sinn von jus primae nocti, übersehend, dass es dann keine Prüfungsarbeit mehr ist, wenn ihr eigener Beitrag so groß ausfällt, dass sie ihn auch in eigenem Namen publizieren könnten. Kollegen "borgen" leider auch von Kollegen aus nah und fern.

Das Schizophrene liegt im guten Glauben von Seiten der Ministerien, dass eine hohe Anzahl von Veröffentlichungen irgendeine Qualität beweist. Das bereitet den Boden für Plagiatoren, obwohl es nach wie vor die bewusste Entscheidung des Einzelnen ist, die Grenze zum wissenschaftlichen Fehlverhalten zu überschreiten.

Nur ist diese Grenze leider schwer definierbar, denn das Plagiat ist, abgesehen von Komplettplagiaten, quantitativ schwer zu bestimmen. Studenten fragen, wie viele Wörter an einem Text verändert werden müssten, damit es kein Plagiat mehr sei. Professoren behaupten, so und so sei die natürliche Darstellungsweise eines Sachverhalts, dabei übersehend, dass zur natürlichen Darstellung identische Schreibfehler eines Kollegen wohl nicht gehören.

Die Forderung muss sein: Open Access für alle Publikationen! Nur vergessen Sie nicht, bewusst einen Schreibfehler an einer unbedeutenden Stelle einzubauen. Das hilft bei Plagiatsnachweisen ungemein.


Debora Weber-Wulff (* 1957) ist Professorin im Studiengang Internationale Medieninformatik der HTW Berlin. Von ihr (et al.) erschien zuletzt im transcript-Verlag: Gewissensbisse: Ethische Probleme der Informatik.
weberwu@htw-berlin.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 12/2010, S. 57-59
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2011