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INTERNATIONAL/003: Das Spannungsfeld des indischen Mainstreamkinos (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 114, 4/10

Film, Macht und kollektive Gewalt
Das Spannungsfeld des indischen Mainstreamkinos


Als am 6. Dezember 1992 im nordindischen Ayodhya die Babri-Moschee von hindu-nationalistischen AktivistInnen innerhalb weniger Stunden zerstört wurde, kam es zu massiven Gewaltausbrüchen ("Riots") zwischen Hindus und Moslems in ganz Südasien. In zwei Wellen der Gewalt, im Dezember 1992 und im Jänner 1993, wurde die bis dahin als kosmopolitisch und fortschrittlich geltende Stadt Bombay(1) Schauplatz kollektiver Gewalttaten, denen offiziellen Statistiken zufolge mindestens 784 Menschen zum Opfer fielen. Tausende Menschen wurden obdachlos und ihrer Lebensgrundlage beraubt. MuslimInnen, die 15 Prozent der Bevölkerung Bombays ausmachten, waren bei weitem die größte Opfergruppe der "Bombay riots". Im folgenden Beitrag analysiert die Autorin anhand des erfolgreichen Mainstream-Films "Bombay" transportierte Botschaften und ihre Verbindung zu Ideologien und Interessen dominanter, hindu-nationalistischer Gruppen in Indien.


Gewaltausbrüche und Frauenbild

Die hindu-nationalistische Partei Shiv Sena unter ihrem Anführer Bal Thackeray spielte in der Aufhetzung zur Gewalt und in der Vorbereitung und Ausübung der Gewalttaten 1992 eine maßgebliche Rolle. Obwohl zum Großteil Männer die Aggressoren während der Bombay riots waren, so konnte doch eine aktive Beteiligung von Frauen an den Gewalttaten festgestellt werden. Die mythische Idealisierung von (indischen) Frauen, die Opfer von Unruhen werden, selber aber keinen gewaltlegitimierenden Ideologien anhängen, als friedvoll und nachsichtig, wird durch die erfolgreiche Mobilisierung von Frauen durch hindu-nationalistische Organisationen wie Mahila Aghadi(2), deren Aktionismus erklärtermaßen nicht gewaltfrei ist, unterminiert.

Das propagierte Frauenbild der Shiv Sena entspricht nicht der traditionellen, konservativen Rolle der Frau als untergeordnete, fügsame Hausfrau, sondern einer "modernen Hindu-Frau", einer neuen Durga, rebellisch und stark. Hier kommt es auf der symbolischen Ebene zu Überschneidungen mit der Konstruktion der "neuen feministischen Frau" von Seiten feministischer indischer Frauenorganisationen.

Basierend auf hindu-nationalistischen Ideologien, deren Ziel die Neudefinierung Indiens als Hindustaat und deren Hauptfeind der Islam ist, der als gewaltvolle, grausame und Indien-fremde Religion dargestellt wird, richten sich die Aktivitäten der Mahila Aghadi aber nicht gegen Gewalt und Ungerechtigkeiten innerhalb der Familie und der Gesellschaft, sondern gegen Moslems - Männer wie Frauen. Frauenrechte werden innerhalb dieser Ideologie als Schutz der Ehre der (hinduistischen) Frau in anti-islamische Agitationen umformuliert, der Schutz von Frauen mit Schutz der Nation und der "indischen" (d. h. hinduistischen) Traditionen gleichgesetzt.(3)

"Bombay" - ein filmischer Meilenstein als Kontroverse

Als einschneidender Moment in der Geschichte Indiens wurden die Bombay riots auch Thema des indischen Kinos; erstmals 1995 in Mani Ratnams Mainstream-Film "Bombay". Der Film erzählt die Liebesgeschichte zwischen dem Hinduisten Shekhar und der Muslimin Shaila Bano vor dem Hintergrund der Bombay riots. Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass hier erstmals in der Geschichte des populären indischen Kinos eine interreligiöse Liebe gezeigt wird, zählt "Bombay" zu einem der kontroversiellsten indischen Filme. Während er einerseits mehrere Preise, unter anderem 1995 den "National Award for the Best Film on National Integration", erhielt und bei über 20 internationalen Filmfestspielen gezeigt wurde, führte die Aufführung in manchen Teilen Indiens zu Protesten von muslimischer Seite, neuerlichen Unruhen und Verboten des Films in mehreren Städten.

Worauf begründet sich die Kontroverse rund um "Bombay", und welche Rolle spielen Frauen in diesem Film?


Darstellung und Tendenzen

"Bombay" ist ein fiktionaler Spielfilm, der detailreich und mit dokumentarischen Elementen versehen (z. B. durch Einblendung von Zeit- und Ortsangaben) historische Begebenheiten nacherzählt. Seine vordergründige Aussage - die Forderung nach interreligiöser Harmonie und Toleranz - manifestiert sich in der glücklichen Familie von Shekhar und Shaila Bano und deren Zwillingssöhnen Kamal und Kabir. Die Familie wird zum Symbol für ein modernes, säkulares Indien, in dem die nationale Identität über der religiösen steht.

Die Darstellungsweisen der Bombay riots und der muslimischen ProtagonistInnen, hier vor allem von Shaila Bano, stellen diese Interpretation allerdings in Frage und lassen hindu-hegemoniale Tendenzen erkennen. So vermittelt die Darstellung der Gewalttaten, dass beide Religionsgruppen gleichermaßen an den Unruhen beteiligt gewesen wären. Die Tatsache, dass insbesondere die zweite Phase der "Bombay riots" von gezielten und geplanten Angriffen von Shiv Sena-AnhängerInnen auf MuslimInnen und deren Wohn- und Arbeitsplätze geprägt war und auf muslimischer Seite keine der Shiv Sena vergleichbare Organisation existiert, wird durch die abwechselnde Darstellung von Gewalttaten, durchgeführt von Hindus und Moslems (an ihrer Kleidung zuordenbar), verschleiert.

Reproduktion patriarchaler Asymmetrien

Insbesondere anhand des Körpers von Shaila Bano lässt sich analysieren, dass der im Film propagierte Säkularismus als Assimilierung der MuslimInnen in die dominante hinduistische Gesellschaft interpretiert werden kann. Während Shekhar nur in westlicher Kleidung zu sehen ist, trägt Shaila Bano zu Beginn des Films Burqa, was sie als Muslimin kennzeichnet und erotisierend dargestellt wird. Shekhars Dominanz über Shaila Banos Körper drückt sich durch patriarchale Codes aus: Shekhar verletzt Shaila Bano, um die Gleichheit ihres Blutes zu beweisen, er organisiert die Abreise Shaila Banos aus dem Dorf und die Hochzeit in Bombay, und da er nicht religiös ist, haben auch die Kinder keine religiöse Identität. Shaila Bano bleibt dabei passiv und stumm, unterwirft sich so dem männlichen Protagonisten. Als Shaila Bano zu einem Treffen mit Shekhar eilt und dabei ihren Schleier verliert, vollzieht sich ihre Transformation von einer als muslimisch determinierten Figur hin zu einer säkularen nun Sari-tragenden unverschleierten Inderin. Die sichtbaren Unterschiede zu hinduistischen Frauen verschwinden somit, es kommt durch die Heirat zu einer Neutralisierung ihrer religiösen Identität - danach wird sie nie wieder in Burqa gezeigt, während hingegen andere MuslimInnen im Film anhand ihrer Kleidung als solche erkennbar bleiben. An den patriarchalen, konventionellen Asymmetrien zwischen Mann und Frau ändert sich dadurch nichts. Säkularismus erscheint mit Assimilierung, weniger mit Toleranz und Akzeptanz verknüpft zu sein. Die hoch-kastige, urbane, hinduistische Mittel- und Oberschicht, verkörpert durch Shekhar, bildet so das Ideal des modernen, säkularen Bürgers. Die Darstellung der muslimischen Männer als besonders religiös und gewalttätig (auch gegen weibliche Familienangehörige) dagegen spiegelt Vorurteile und von hindu-nationalistischen Ideologien verbreitete Stereotype über Moslems als irrational, antimodern und hinderlich für die säkulare Nation wider.

Die Tatsache, dass der Film vor der Erstaufführung Polizeivertretern und Shiv-Sena-Anführer Bal Thackeray gezeigt wurde und gewünschte Veränderungen vorgenommen wurden, verstärkte die Kontroverse rund um den Film.


In der filmischen Thematisierung realer Ereignisse wie der "Bombay riots" lässt sich das Dilemma zwischen realen Begebenheiten und künstlerischer Freiheit des Regisseurs erkennen. Da solche Filme - durch die Macht der Bilder - einen starken Einfluss auf die kollektive Wahrnehmung und Erinnerung von Ereignissen haben, erscheint eine Analyse der darin transportierten Botschaften, inwieweit Ideologien und Interessen der dominanten Gruppe vermittelt werden, um so wichtiger.


Anmerkungen:
(1) Die Stadt wurde 1995 in Mumbai umbenannt
(2) Mahila Aghadi ist die Frauenorganisation der Shiv Sena
(3) Ähnliche chauvinistische Argumentationslinien können auch in der österreichischen Politik beobachtet werden: z. B. am FPÖ-Plakat zur Wiener Gemeinderatswahl 2010: "Wir schützen freie Frauen".

Zur Autorin:
Martina Haiböck ist Diplomsozialarbeiterin und Sozial- und Kulturanthropologin. Sie hat ihre Diplomarbeit über die Darstellung der "Bombay riots" und kollektiver Gewalt im indischen Film geschrieben. Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 114, 4/2010, S. 8-9
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2011