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INTERNATIONAL/021: Ägypten - Pressefreiheit mit Einschränkungen, nicht alle Kontrollen abgeschafft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Mai 2011

Ägypten: Pressefreiheit mit Einschränkungen - Nicht alle Kontrollen abgeschafft

Von Cam McGrath

Weniger Pressefreiheit als erhofft - Bild: © Cam McGrath/IPS

Weniger Pressefreiheit als erhofft
Bild: © Cam McGrath/IPS

Kairo, 2. Mai (IPS) - Der Zusammenbruch der autokratischen Regime in Tunesien und Ägypten hat den lokalen Medien größere Freiheiten verschafft. Doch Journalisten und Blogger müssen sich auch heute noch in Acht nehmen, was sie schreiben.

"Die Grenzen sind derzeit sehr verschwommen", meint dazu Rasha Abdulla, Leiterin der Abteilung für Journalismus und Massenmedien an der Amerikanischen Universität in Kairo "Wir befinden uns im Übergang (...) und noch gibt es keine Gesetze, die das Recht auf freie Meinungsäußerung garantieren."

Nordafrika und Nahost gehören zu den Weltregionen, in denen es Journalisten besonders schwer haben, sich ungehindert zu artikulieren. Im letzten Jahr führte das 'Freedom House' Tunesien noch hinter Somalia auf seinem jährlichen Ranking der Pressefreiheit auf dem zehntletzten Platz. Ägypten schnitt nur unwesentlich besser ab. So belegt das Land den 130. Platz von insgesamt 196 aufgeführten Staaten. Dort kam es im letzten Jahr jeden Tag zu durchschnittlich einem Gerichtsverfahren gegen Journalisten und Blogger.

Die Demokratiebewegungen in der arabischen Welt werden den beiden Ländern jedoch zweifelsohne bessere Listenplätze verschaffen. Schon nach dem Sturz von Ägyptens Staatspräsident Hosni Mubarak am 11. Februar und dessen tunesischen Amtskollegen Zein Al-Abidine Ben Ali am 14 Januar war auch für Journalisten der Wind des Wandels deutlich spürbar.

"Vor dem 11. Februar war es uns strikt untersagt, Themen wie Moslem-Bruderschaft oder (Mubaraks politischen Gegner) Mohamed El Baradei anzupacken", erklärte Ashraf El-Leithy, stellvertretender Chefredakteur der 'Middle East News Agency' (MENA), dem Sprachrohr des ägyptischen Staates. "Nun besitzen wir alle Freiheiten, um über alles zu berichten."


Vom Sprachrohr der Regierung zur Stimme des Volkes?

Wie El Leithy betonte, hatten viele MENA-Journalisten und -Redakteure die Revolution unterstützt, sich aber aus Angst, ihren Job zu verlieren, jedoch nicht getraut, die offizielle Linie zu verlassen. Kaum sei Mubarak weg gewesen und die regierende Partei aufgelöst worden, habe sich die Nachrichtenagentur vom Sprachrohr der Regierung zur Stimme des Volkes verwandelt.

Arabische Diktaturen bedienen sich traditionell der staatlichen Medien, um ihre Macht auszubauen. Kritische Stimmen werden gnadenlos unterdrückt. Zudem sorgen die Regime dafür, dass ihre Botschaft auch von den unabhängigen Medien verstanden wird. Darüber hinaus bedienen sie sich drakonischer Mediengesetze, um Journalisten einzuschüchtern. Wer dennoch vorausprescht, muss mit hohen Geldbußen und Gefängnisstrafen rechnen. "In einem solchen Klima der Angst greifen die Menschen zu Selbstzensur", weiß der Medienexperte Mahmoud Alam Eddin zu berichten.

Der durch die Volksaufstände verursachte strukturelle Wandel hat Journalisten nun aus dem Würgegriff der repressiven Regime befreit. Am 17. Januar, drei Tage nachdem Tunesiens Diktator Ben Ali das Land verlassen hatte, wurde das gefürchtete Informationsministerium des Landes abgeschafft. Ägypten zog nach, doch die regierenden Militärs ernannten einen ihrer Generäle zum Radio- und Fernsehkontrolleur.

Die ägyptische Interimsregierung ersetzte zudem die Vorstandsvorsitzenden und Chefredakteure von sieben staatlichen Zeitungen und Magazinen. Der Schritt wurde jedoch als rein kosmetischer Akt kritisiert. Dass sich viele Journalisten erst gegen Ende der Diktatur auf die Seite der Revolutionäre schlugen, hat ihrer Glaubwürdigkeit geschadet. "Die Leute, die in solchen Institutionen arbeiten, sind an die Freiheit der Rede nicht gewöhnt", meint Rasha Abdulla gegenüber IPS. "Natürlich greifen sie nun Mubarak ebenso wild an, wie sie ihm zuvor applaudierten."

Zivilgesellschaftliche Organisationen haben die Aufhebung der Pressebeschränkungen im post-revolutionären Tunesien und Ägypten gelobt. Doch warnen sie vor neuen Auflagen, die bereits am Horizont zu sehen sind. So erklärten die Reporter ohne Grenzen bei einem Ägypten-Besuch im Februar, dass die Internet-Zensur zwar offiziell eingestellt wurde, Armee-kritische Blogger jedoch gleich blockiert würden.

Im April hatte ein ägyptisches Militärgericht sogar einen Blogger wegen Beleidigung des Militärs zu drei Jahren Haft verurteilt. Maikel Nabil hatte Menschenrechtsverletzungen der Armee zu Anfang der ägyptischen Revolution vom 25. Januar angeprangert. In vorangegangenen Einträgen hatte der 26-Jährige zudem seine Entscheidung kundgetan, sich der Wehrpflicht seines Landes zu widersetzen. "Das harte Urteil war als Botschaft gedacht, dass Kritik an der Armee nicht geduldet wird", kommentierten Nabils Anwälte.


Schwachstellen vorhanden

In einem Brief vom 22. März an etliche Zeitungsredakteure des Landes warnte der Oberste Rat der Streitkräfte (SCAF), dass jeder Bericht über die ägyptische Armee vor seiner Veröffentlichung der SCAF-Pressestelle und dem Geheimdienst vorgelegt werden müsse. Nach Ansicht von Medienvertretern hat die Armee ihre Immunität gegen mediale Kritik in dem Moment verloren, als sie die Kontrolle des Landes übernahm.

Medienexperten räumen die Schwierigkeit ein, eine Jahrzehnte lang auferlegte Kultur der Informationskontrolle aufzugeben. Vom Militär könne aber keineswegs erwartet werden, dass es neue Maßstäbe setzen werde. Erst alternative und unverbrauchte Presseorgane und -publikationen könnten einen Wandel herbeiführen.

In Tunesien wird bereits mit einer Flut privater Zeitungen und Fernsehsender gerechnet, sobald die archaischen Lizenzverfahren abgeschafft sind. Ägypten wiederum, das bereits eine kleine aber feine unabhängige Presse besitzt, darf sich über eine Welle neuer Publikationen freuen - unter anderem auch auf einen Kanal der bisher verbotenen Moslem-Bruderschaft und 'Radio Ta7rir', einem im März von jungen Menschen gestarteten Fernsehsender.

Ramadan begrüßt diese Entwicklungen zwar, befürchtet aber, dass die wirkliche Medienfreiheit erst dann erreicht sein wird, wenn Blogger und Journalisten ohne Angst vor Repressionen berichten dürfen. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2011