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INTERNATIONAL/073: Ägypten - "Der Journalismus trägt einen Schleier", Proteste gegen Medienzensur (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. August 2012

Ägypten: "Der Journalismus trägt einen Schleier" - Proteste gegen Medienzensur

von Cam McGrath


Kritische Zeitungen werden rarer - Bild: © Cam McGrath/IPS

Kritische Zeitungen werden rarer
Bild: © Cam McGrath/IPS

Kairo, 31. August (IPS) - Das Regime des ehemaligen ägyptischen Diktators Husni Mubarak übte eine strenge Kontrolle über die Presse aus und ging rigoros gegen kritische Journalisten vor. Nun scheint die islamistische Muslimbruderschaft, aus deren Reihen der neue Präsident Mohammed Mursi entstammt, einen ähnlichen Kurs einzuschlagen.

Die führenden Mitglieder der einst verbotenen Bewegung dominieren inzwischen das Parlament und viele andere staatliche Institutionen. In den vergangenen Wochen hat die Gruppe ihren Einfluss auf die staatliche Presse mit dem offensichtlichen Ziel ausgeweitet, unbequeme Journalisten zum Schweigen zu bringen.

"Wir beobachten, dass Anhänger der Muslimbruderschaft zunehmend gegen die Pressefreiheit vorgehen", sagt Sherif Etman, der Sprecher der Ägyptischen Menschenrechtsorganisation (EOHR). "Es kommen die gleichen Unterdrückungstechniken zur Anwendung wie zur Zeit Mubaraks."

Das autoritäre Mubarak-Regime hatte für drakonische Pressegesetze und ein komplexes System staatlicher Medienkontrolle gesorgt, um islamistische Gruppen und andere politische Gegner klein zu halten. Obwohl der Diktator während eines Aufstandes im vergangenen Jahr gestürzt wurde, beschuldigen die Muslimbrüder die staatlichen Medien, alten Mustern der Mubarak-Ära auch weiterhin verhaftet zu sein. Sie wittern zudem eine Medienkampagne gegen Mursi, der vor seinem Amtsantritt ein hochrangiges Mitglied der Muslimbruderschaft war.

Anfang August hatte der Staatschef verkündet, dass in seinem Kabinett auch ein Informationsminister sitzen werde. Ein solches Ministerium war in der Vergangenheit dazu genutzt worden, die öffentlichen Fernsehkanäle auf Linie zu trimmen. Als der Muslimbruder Saleh Abdel Maqsoud zum Minister ernannt wurde, nährte dies Spekulationen, dass die Gruppe Einfluss auf die staatlichen Rundfunkanstalten nehmen werde.


Islamisten entscheiden über neue Chefredakteure

Kritiker werfen der Muslimbruderschaft zudem vor, ihre Mehrheit im Oberhaus des Parlaments, dem Schura-Rat, dazu zu nutzen, um ihre Kontrolle über die Medien zu verstärken. Im Juni bildete der Rat ein 14-köpfiges Komitee unter Leitung eines Abgeordneten der Muslimbruderschaft, das neue Chefredakteure für 45 staatliche Medien ernannte.

Mehrere Journalisten reichten daraufhin die Kündigung ein. Sie warfen den Islamisten Manipulationsversuche vor. Darüber hinaus kritisierten sie, dass viele der frisch gebackenen Chefredakteure nicht die erforderlichen Qualitäten besäßen und vor allem deshalb ausgesucht worden seien, weil sie ihre Bereitschaft signalisiert hätten, mit der Regierung zu kooperieren.

Medienvertretern zufolge haben die neuen Chefredakteure Leitlinien entworfen, die eine positive Berichterstattung über den Präsidenten und die Muslimbruderschaft garantieren sollen. "Wenn man sich die erste Ausgabe der Zeitungen ansieht, die unter Regie der neuen Chefredakteure entstanden sind, sieht man gleich, dass diese vor allem ihre Loyalität beweisen wollten", sagt Abeer Saady, der stellvertretende Vorsitzende der Journalistengewerkschaft.

Binnen weniger Stunden nach seiner Ernennung ließ der neue Chefredakteur der bekannten staatlichen Zeitung 'Al-Ahram' ohne Angaben von Gründen eine ganze Seite löschen, die sich kritisch mit den ersten 100 Tagen des neuen Präsidenten auseinandergesetzt hat und damit, dass Mursi seine Versprechen nicht eingehalten habe.

Mohamed Hassan El-Banna, der neue Chefredakteur der Zeitung 'Al-Akhbar', schaffte eine Meinungsseite ab, auf der die Muslimbruderschaft nicht gut weggekommen war. El-Banna stritt jeden Versuch ab, kritische Stimme zu unterdrücken.

Mehrere Kolumnisten der Zeitung haben gegen die Zensurmaßnahmen protestiert. Eine Literaturkritikerin berichtete, aufgefordert worden zu sein, einen Artikel zu entschärfen, in dem sie die Muslimbruderschaft für ihre Einflussnahme auf den Staat und dessen Institutionen kritisierte. Der Artikel wurde gestrichen, nachdem sich die Journalistin geweigert hatte, den als anstößig empfundenen Satz "Der Journalismus trägt einen Schleier" zu entfernen.

Der islamistischen Bewegung wird ferner vorgeworfen, Razzien in Redaktionen veranlasst zu haben, die sich kritisch über die Gruppe und deren Interessen geäußert haben sollen.


Anwendung von Gesetzen aus der Mubarak-Zeit

In den vergangenen Wochen hat die Regierung weitere Schritte unternommen, um kritische Berichte zu verhindern und Journalisten unter Anwendung von Gesetzen aus der Mubarak-Zeit zur Rechenschaft zu ziehen. Am 11. August beschlagnahmten die Behörden Exemplare der Zeitung 'Al-Dustour' und erhoben Klage gegen den Chefredakteur, der ein bekennender Gegner der Muslimbruderschaft ist. Ihm wurde vorgeworfen, den Präsidenten beleidigt und Unruhe geschürt zu haben. Einige Tage zuvor war der Fernsehsender 'Al-Fareen' abgeschaltet worden, weil der Eigentümer Tawfik Okasha angeblich zur Ermordung von Mursi aufgerufen hatte.

Zwar räumten Aktivisten ein, dass die Leitartikel in Al-Dustour respektlos und hetzerisch seien und der ehemalige Mubarak-Getreue Okasha für seine Konspirationstheorien bekannt sei. Dennoch verurteilten sie die Art und Weise der staatlichen Vorgehensweise. "Wir sind nicht unbedingt für Al-Faraeen, wir sind aber beunruhigt, dass der Kanal durch ein Dekret der Regierung und nicht durch ein Gerichtsurteil geschlossen wurde", sagt Saady. "Selbst Mubarak hat so etwas nicht getan - oder zumindest nicht bis kurz vor dem Ende seiner 30-jährigen Herrschaft."

Die Muslimbruderschaft streitet alle Zensurvorwürfe ab. Stattdessen heißt es, es gelte lediglich gegen Journalisten vorzugehen, die den Präsidenten diffamierten, zu Gewalt aufriefen oder sektiererische Spannungen hervorriefen. Informationsminister Abdel Maqsoud erklärte, die Meinungsfreiheit habe auch gewisse Grenzen. "Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen der Freiheit einerseits und Beleidigungen, Verleumdungen und Mordaufrufen anderseits."

Im Juli erklärte Mursis Sprecher, der Staatschef werde gegen zwei nicht genannte Medien wegen übler Nachrede gerichtlich vorgehen. Die Muslimbruderschaft hat bereits Verfahren gegen mehrere Medien angestrengt. Ein Sprecher der Gruppe ließ jedoch verlauten, dass die meisten Klagen von Bürgern eingereicht worden seien, die sich von "abscheulichen Beschimpfungen" einzelner Medien angegriffen fühlten. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2012