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INTERNATIONAL/126: Brasilien - Reporter des Netzwerks "Midia Ninja" ergreifen bewusst Partei (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. September 2013

Brasilien: Auf Tuchfühlung mit Demonstranten - Ninja-Journalisten ergreifen bewusst Partei

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Reporter bei einem Straßenprotest in Brasilien
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Rio de Janeiro, 27. September (IPS) - Reporter des brasilianischen Netzwerks 'Midia Ninja' (Narrativas Independentes, Jornalismo e Ação) sind Berichterstatter und Aktivisten in einer Person. Wo Kollegen der großen Medienunternehmen durch Abwesenheit glänzen, sind sie präsent und stolz darauf, einem Journalismus nachzugehen, der Stellung bezieht.

Cazú Barros hatte am 20. September live über eine Diskussion vor dem Regionalparlament in Rio de Janeiro berichtet. Ausgestattet war er mit einer kleinen Kamera und einem Android-Tablet-Computer mit 3G-Verbindung, über den er seine Informationen ins Netz absetzte. Vertreter der großen Rundfunkanstalten waren mangels Interesse meist nur spärlich bei den diesjährigen Straßenprotesten in dem größten südamerikanischen Land vertreten.

Wie Barros betont, gelten Ninja-Journalisten als glaubwürdig. "Die Menschen haben das Vertrauen in die traditionellen Medien verloren. Sie sind es leid, manipuliert zu werden", sagt er. Midia Ninja wurde vor etwa zwei Jahren in São Paulo von der Kulturvereinigung 'Fora de Eixo' gegründet. Seit dem Ausbruch der Proteste im Juni hat das Netzwerk einen unerhörten Bekanntheitsgrad erreicht. Die Demonstranten, die von Ninja begleitet werden, begehren gegen Korruption sowie Missstände im Bildungs- und Gesundheitswesen, im öffentlichen Nahverkehr und auf dem Arbeitsmarkt auf.

Die Reporter folgen etwa Personen, die sie für verkappte Beamte halten, oder Provokateuren in den Reihen der Protestierenden. Bei einem Live-Streaming war beispielsweise zu sehen, wie Journalisten einen Demonstranten befreiten, dem unterstellt worden war, einen Molotow-Cocktail geworfen zu haben. Die Videobilder der Reporter konnten aber das Gegenteil beweisen.


Reporter greifen in Proteste ein

Manchmal können die Aktivisten von Midia Ninja verhindern, dass die Polizei weitere Gewalt ausübt. Denn sie haben wiederholt gezeigt, wie Polizisten auf wehrlose Demonstranten einprügelten. "Wir haben uns immer besonders darum gekümmert, die Atmosphäre auf der Straße einzufangen", sagt Felipe Peçanha, einer der Mitbegründer des Netzwerks. Er wurde bereits wegen "Aufstachelung zur Gewalt" festgenommen und dann aus Mangel an Beweisen freigelassen.

Die etwa 200 Freiwilligen des Netzwerks, die in den größten Städten Brasiliens im Einsatz sind, stehen nicht allein da. Ihre Anhänger verbreiten unter der Adresse @MidiaNINJA auf Twitter zahlreiche Kommentare und warnen die Reporter, wenn sich etwa ein Polizeitrupp nähert.

Auf dem Höhepunkt der Proteste im Juni und Juli erreichten Übertragungen von Midia Ninja etwa 180.000 Zuschauer. Mehr als 212.000 Nutzer von 'Facebook' klickten auf den 'Gefällt mir'-Button der Ninja-Seite. "Dieses Medium kann sich freier und umfassender mit den Themen beschäftigen", meint der Student Thiago Cavalcante. "Der Zuschauer muss sich dann selbst ein Bild von der Wirklichkeit machen."

Bei den Massenprotesten sind die etablierten Medien in die Kritik geraten, vor allem die Fernsehsender. Demonstranten warfen nicht nur gegen Banken Steine, sondern auch gegen den Sitz des TV-Giganten 'Rede Globo', einen der größten Sender in ganz Lateinamerika. Journalisten, die für Globo arbeiten, wurden ausgepfiffen. Außerdem setzten die Protestierenden Übertragungswagen anderer Sender wie SBT und 'Rede Record' in Brand.


Misstrauen gegenüber den großen Medienkonzernen

"Durch die Demonstrationen hat die brasilianische Gesellschaft am deutlichsten verstanden, welche parteiischen Interessen die Medienkonzerne haben", meint Peçanha. "Wenn die Menschen von einer Kundgebung nach Hause kamen und den Fernseher anstellten, sahen sie eine ganz andere Version der Ereignisse als die, die sie selbst erlebt hatten."

Midia Ninja und andere alternative Medien, die sich in atemberaubender Geschwindigkeit im Land verbreiten, halten die Neutralität der Presse für "eine große Lüge". Peçanha will den sozialen Bewegungen nahe sein, die seit jeher in den Massenmedien keine Stimmen haben.

Umfragen des Internetdienstes 'Oops' belegen, dass zwischen dem 31. August 2012 und Ende August dieses Jahres die Zuschauerquote von 'Rede TVNews' um 41 Prozent und beim 'Jornal Nacional' von Globo sowie dem 'Jornal da Band' von 'Bandeirantes' um zwölf Prozent gesunken ist. Die vom denselben Konzern ausgestrahlte Sendung 'Brasil Urgente' verlor 18 Prozent und die Nachrichtensendung von SBT sechs Prozent ihrer Zuschauer. Analysten führen diese Entwicklung auf die verstärkte Nutzung des Internets zurück. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

https://twitter.com/MidiaNINJA
http://midianinja.tumblr.com/
http://www.ipsnoticias.net/2013/09/periodistas-ninjas-no-pretenden-ser-imparciales/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2013