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FRAGEN/001: Eine halbe Stunde mit Harald Lesch (forsch - Uni Bonn)


forsch 2/2007 - April 2007
Bonner Universitäts-Nachrichten

Eine halbe Stunde mit Harald Lesch


Eine Tafel, ein paar leere Schulbänke: Vor dieser Kulisse erklärt Professor Dr. Harald Lesch seit 1998 im Bayerischen Rundfunk kleine und große Rätsel der Physik. Dabei verzichtet er weitgehend auf Einspielfilme oder Animationen, sondern vertraut einzig auf seine Worte. Die Karriere des Münchner Professors begann in den 80er Jahren mit seinem Studium an der Universität Bonn, wo er 1994 auch habilitierte. Mit ihm sprach Frank Luerweg.

FRAGE: Herr Professor Lesch, haben Sie eine halbe Stunde Zeit für mich?

HARALD LESCH: Ja, sicher.

FRAGE: Was ist Zeit physikalisch gesehen überhaupt?

HARALD LESCH: Das, was ich mit meiner Uhr messe - und zwar mit der Uhr, die ich direkt am Körper trage. Punkt. Das ist eigentlich die Wiederholung der Antwort, die Einstein schon gegeben hat: Sobald ich mich bewege, Sie sich aber nicht, zeigt meine Armbanduhr eine andere Zeit als Ihre. Das ist die eine Seite der Zeit.

Die andere Seite hat etwas damit zu tun, dass alles verfällt. Die Physik beschreibt den Verfall mit dem großen Begriff der Entropie. Seit Anfang der Zeiten, also seit dem Urknall, geht es im Universum immer in eine Richtung: Hin zu mehr Entropie. Die Zeit ist wie ein Tunnel, in dem hinter einem ständig die Tür zuschlägt, so dass man nicht zurück kann: Eine Tasse, die heruntergefallen ist, ist kaputt. Auf keinem Planeten in diesem Universum hat sich jemals eine Tasse von alleine wieder zusammengesetzt und ist den Tisch wieder hochgesprungen.

FRAGE: Der Urknall gilt als unüberwindbare Grenze aller Erkenntnis: Was davor war, kann der Mensch nicht herausfinden. Warum?

HARALD LESCH: Vor dem Urknall kann alles mögliche gewesen sein, doch als Naturwissenschaftler können wir darüber keine sinnvolle Aussage treffen. Und zwar deshalb, weil man keine Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge mehr hat: In den Naturwissenschaften beobachten wir eine Wirkung und möchten wissen, welche Ursache ihr zugrunde liegt - und welche Ursache wiederum diese Ursache hat und so weiter. Wir suchen das, was Aristoteles als den "unbewegten Erstbeweger" bezeichnet hat. Die physikalischen Gesetze begannen aber erst mit dem Urknall. Alles, was davor liegt, bleibt uns damit aus Prinzip verschlossen.

FRAGE: Der Urknall ist der Horizont, hinter den wir nicht blicken können?

HARALD LESCH: Genau. Kant hat das sehr schön in seiner Kritik der reinen Vernunft beschrieben: Unsere Vernunft ist mit der ich will mal fast sagen: Krankheit - infiziert, dass sie sich Fragen stellen kann, von denen sie im vornherein weiß, sie bekommt darauf keine gescheite Antwort. (lacht)

FRAGE: Seit 1998 machen Sie im Bayerischen Fernsehen die Sendung "Alpha Centauri"...

HARALD LESCH: Ja, wir haben gerade die 217 Folge gedreht.

FRAGE: Was macht Ihnen daran soviel Spaß?

HARALD LESCH: Ganz ehrlich gesagt, ist die Arbeit mit den Fernsehleuten einfach unglaublich motivierend. Alle, die am Set sind, aber wirklich alle, von den Kameraleuten bis zu denen, die hinter den Kulissen den Kaffee kochen, sind extrem daran interessiert, dass aus dem Projekt etwas richtig Gutes wird. Und das ist eine Einstellung, die ich sonst nur von meinen Studenten kenne; die Universitätshierarchie ist da eigentlich eher demotivierend.

FRAGE: Haben Sie dieses Talent der laiengerechten Darstellung komplexen Sachverhalte eigentlich auch schon während Ihrer Zeit in Bonn ausgelebt?

HARALD LESCH: Als ich in Bonn studiert und später am Max-Planck-Institut gearbeitet habe, habe ich Kabarett gespielt, an der VHS in Siegburg.

FRAGE: Dann ist Ihnen die Auftrittssituation ja ziemlich vertraut...

HARALD LESCH: Ich genieße sie sogar! Außerdem gehört das ja heute zum Berufsbild des Wissenschaftlers: Dass man präsentieren kann. Man steht ja eigentlich ständig irgendwo und erklärt anderen Leuten, warum sie sich für das Projekt wahnsinnig interessieren sollen, was man jetzt gerade vorstellt.

FRAGE: Deutsche Lehrbücher sind dagegen meist sehr nüchtern. Es scheint fast, als habe man hierzulande ein Problem mit Wissenschaftlern, die sich von ihrem Fach begeistert zeigen; das gilt dann schnell als unseriös.

HARALD LESCH: Aber es kann doch nicht schlimm sein, Spaß an der Arbeit zu haben! Ganz im Gegenteil, das ist doch etwas unheimlich Positives! Punkt, aus. Wenn da jemand Probleme mit hat, soll er mir doch den Buckel runterrutschen. Ich erzähle doch keinen Schund; ich versuche nur, die Dinge, mit denen viele Menschen nichts anfangen können - Elementarteilchenphysik, Kosmologie und so einen Kram - herunterzubrechen, so dass die Leute merken: Mensch, da ist ja richtig etwas dran.

Ich glaube, dass Universitäten ein riesiges Problem haben, wenn sie meinen, sie könnten von der Gesellschaft viel mehr Geld verlangen, ohne sich ihr deutlich zu erklären. Nach einem Vortrag - ich habe damals noch in Bonn im Max-Planck-Institut in Endenich gearbeitet - kam in der Kneipe mal ein Mann auf mich zu und fragte: Sagense mal, wat machen Sie hier eigentlich? Da habe ich angefangen zu erzählen, und hinterher kam so eine Äußerung: Naja, dann seid ihr wenigstens wech von der Straße. Da musste ich erst einmal einen Grappa bestellen, um das zu verdauen. (lacht)

FRAGE: Sehen Sie sich also in einem Rechtfertigungsdruck?

HARALD LESCH: Ach wissen Sie, das klingt mir schon wieder fast zu moralinsauer. Ganz persönlich argumentiert: Wenn ein Wissenschaftler seiner Frau oder eine Wissenschaftlerin ihrem eigenen Mann nicht mehr erklären kann, was sie erforscht, ist das doch komisch. Forscher nehmen für ihren Beruf ziemlich viel in Kauf - denken Sie nur an die Freundschaften, die sie dem Wissenschaftsnomadentum unterordnen. Dann will man doch normalerweise auch den Antrieb dahinter erklären.

FRAGE: Vielleicht wollen viele Forscher das, was sie machen, einfach nicht zu simpel darstellen - aus Angst, der Kollege könnte über sie lachen.

HARALD LESCH: Wenn sich noch nicht einmal die verbeamteten Professorinnen und Professoren trauen, ihren Mund aufzumachen und ihre Forschungsinhalte verständlich darzustellen, wer dann? Die Postdocs, die in Konkurrenz zu vielen vielen anderen stehen, die müssen vielleicht besonders darauf achten, dass jedes Wort, was sie sagen, hieb- und stichfest ist. Aber Mensch, wenn ich als Professor meine eigene Wissenschaft vielleicht sogar ein wenig auf den Arm nehme, dann ist das doch eher eine Liebeserklärung als eine Sache, für die man mich kritisieren kann.

FRAGE: Meinen Sie, dass sich das ändert?

HARALD LESCH: Ich hoffe es. (lacht) Ich kenne jedenfalls eine ganze Reihe von Kollegen, die sich das trauen. Aktionen wie der Communicator-Preis der DFG zeigen ja auch, dass die wissenschaftliche Gemeinde es goutiert, wenn man sein Fach allgemeinverständlich darstellt. Ich bin stolz, diesen Preis bekommen zu haben. Wirklich gebauchgepinselt habe ich mich aber gefühlt, als mir die Deutsche Physikalische Gesellschaft eine Medaille für Wissenschaftspublizistik verliehen hat. (lacht) Kollegenlob ist eine sehr seltene Auszeichnung, vor allem unter Physikern.

FRAGE: Sie haben sich mal über Sciencefiction-Sendungen lustig gemacht, in denen Captain Kirk vom anderen Ende der Galaxie mit der Erde telefoniert. Die Hypothesen Erich von Dänikens bezeichnen Sie andererseits als sehr interessant...

HARALD LESCH: Ja, das ist eine Denke, die sich sonst niemand getraut hat. Und Däniken hat die Geschichtswissenschaft ja ganz schön aufgemischt. Zwar ist keine seiner Hypothesen irgendwie haltbar gewesen. Aber die Experten sind doch hin und wieder ganz schön unruhig geworden. Dänikens Theorien haben zum Beispiel mit zur Entwicklung der experimentellen Archäologie geführt - also dass man versucht, Werkzeuge von früher nachzubauen und so festzustellen: Konnten die Ägypter mit ihren beschränkten Mitteln überhaupt die Pyramiden errichten?

FRAGE: Sie sind nicht nur Professor für Physik, sondern halten auch Vorlesungen zur Naturphilosophie. Im Fernsehen diskutieren Sie mit Ihrem Freund, dem Philosophen Wilhelm Vossenkuhl, bei Wein und Pasta darüber, ob Geld ein besseres Leben garantiert, oder über den Unterschied zwischen Ausbildung und Bildung. In einem Interview haben Sie sogar einmal gesagt, dass Sie sich nicht mehr vorstellen können, Naturwissenschaften ohne Philosophie zu betreiben. Woher rührt Ihre Faszination für die Philosophie?

HARALD LESCH: Bei der Naturphilosophie geht es schlicht und ergreifend um die Frage: Was wäre die Welt, wenn unsere Hypothesen von ihr wahr wären? Mit physikalischen Methoden können wir prüfen, ob eine Theorie falsch ist. Ist sie es nicht, heißt das aber noch lange nicht, dass sie auch wahr ist. Die Naturphilosophie kann helfen, die physikalischen Theorien zu deuten und daraus eine Erkenntnis zu entwickeln. Insofern glaube ich, dass es unumgänglich ist, mit der Philosophie im Rucksack Physik zu betreiben. Im Übrigen war Physik lange Zeit experimentelle Philosophie; zur Trennung dieser Disziplinen kam es erst im 19. Jahrhundert. Eines der größten Werke der Physik sind Newtons "Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie" - nicht etwa der Physik. Newton hätte mit dem Begriff Physik gar nichts anfangen können.

FRAGE: Ein schönes Stichwort... Glauben Sie, dass Sie Newton einmal persönlich begegnen werden? Oder anders gefragt: Sind Zeitreisen möglich?

HARALD LESCH: Nein. Schade eigentlich. Aber da kann man nix machen. Ich träume von den Zeiten, als der 1. FC Köln noch in der ersten Bundesliga war und nicht 0:5 gegen Essen verloren hat. Da müsste man hinfahren!

FRAGE: Wenn Sie die Zeit doch noch einmal zurückdrehen könnten: Welche Weiche auf Ihrem Lebensweg würden Sie anders stellen?

HARALD LESCH: Ich denke, die wichtigste Weiche war, mit meiner damaligen Freundin und jetzigen Frau von Gießen nach Bonn zu gehen. Der Rest hat sich immer so ergeben. Ich fand es wahnsinnig angenehm, im Rheinland zu leben. Ich bin nicht freiwillig nach München gegangen, sondern weil in Bonn nichts da war. Dennoch - anders stellen? Ich wüsste jetzt nichts. Alles gut. Alles prima. Ich hab immer Glück gehabt. Maseltov.


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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Nr. 2, April 2007,
Seite 41-42
Herausgeber:
Rektorat und Senat der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2007