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FRAGEN/003: "Entscheidend dürfte der öffentliche Druck sein" (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 19. Juni 2008

Entscheidend dürfte der öffentliche Druck sein
Deutsche Medien distanzieren sich nur ungern von einer Falschmeldung über den Iran.

Ein Gespräch mit Andreas Neumann
Andreas Neumann ist Redakteur der Zeitschrift und Internetseite Arbeiterfotografie

Interview von Arnold Schölzel


ARNOLD SCHÖLZEL: Journalisten schreiben von Journalisten ab. Oder warum hat sich nach Ihrer Meinung die falsche Übersetzung des Ahmadinedschad-Zitats vom Oktober 2005 trotz aller Hinweise von Fachleuten - darunter in jW - so hartnäckig in den hiesigen Medien gehalten?

ANDREAS NEUMANN: Das System der Nachrichtenverbreitung ist erschreckend einfach. Es reicht, eine Falschinformation in die Agenturen einzuspeisen, die als Schlüsselstelle funktionieren. Es ist nicht allzuviel Phantasie erforderlich, um sich vorzustellen, wer solche Möglichkeiten nutzt. Wenn dabei der in den meisten Medien herrschende Grundkonsens entsprechend der Interessenlage der Herrschenden und des politischen Systems getroffen wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß sich eine Meldung, ohne hinterfragt zu werden, rund um die Welt verbreitet und aus dieser so schnell auch nicht wieder zu entfernen ist. Die Falschmeldung, von der hier die Rede ist, ist sogar bei Teilen der Linken auf fruchtbaren Boden gefallen und weltweit zum Ausgangspunkt von politischem Denken und Handeln geworden.

ARNOLD SCHÖLZEL: Hat sich jemand der von Ihnen Kritisierten dazu geäußert, was sie dazu gebracht hat, nun mit der richtigen Übersetzung zu operieren?

ANDREAS NEUMANN: Unmittelbar geäußert nicht. Entscheidend für das Umdenken dürfte der öffentliche Druck gewesen sein, der durch den Artikel von Katajun Amirpur in der Süddeutschen Zeitung und durch die "offizielle" Übersetzung des Sprachendienstes des Deutschen Bundestages entstanden ist.

ARNOLD SCHÖLZEL: Der Deutsche Presserat befaßte sich in der vorvergangenen Woche mit Beschwerden. War Ihr Antrag dabei und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

ANDREAS NEUMANN: Über ein Ergebnis ist uns noch nichts bekannt. Die Beschwerde gegen die deutschen Nachrichtenagenturen und diverse Presseorgane ist aber angenommen. Auf das Ergebnis der Bewertung können wir gespannt sein. Immerhin handelt es sich um eine Falschinformation von einer Wirkung, wie sie selten ist.

ARNOLD SCHÖLZEL: Gibt es unter den von Ihnen angeschriebenen Medien einige, die weiterhin schweigen oder sich weigern, eine Korrektur vorzunehmen?

ANDREAS NEUMANN: Davon gibt es noch genug. Von den vier angeschriebenen Agenturen haben AFP und Reuters bislang noch nicht reagiert. Die Zeit und Der Spiegel sind zwei Beispiele von Presseorganen, die zwar reagiert haben, aber keine Veranlassung sehen, von ihrer Position abzurücken. Aber es ist die Frage, ob das noch lange so bleiben kann, nachdem - nach NDR, ZDF, Süddeutsche Zeitung und AP - in der vergangenen Woche dpa den Fehler eingestanden hat. dpa-Chefredakteur Wilm Herlyn schreibt: "Das intensive Quellenstudium hat einige Zeit beansprucht. Zu Ihrer Information: Die dpa wird in Zukunft bei der Berichterstattung darauf achten, daß der iranische Präsident, Mahmud Ahmadinedschad, nicht die Auslöschung Israels oder dessen Tilgung von der Landkarte gefordert hat."

ARNOLD SCHÖLZEL: Haben Sie eine internationale Resonanz auf das Ergebnis Ihrer Bemühungen erhalten, z. B. aus dem englischsprachigen Raum?

ANDREAS NEUMANN: Resonanz aus dem Ausland gibt es reichlich, auch aus dem englischsprachigen Raum, aber nicht von offiziellen Stellen oder aus dem Bereich der dominanten Medien. Deshalb sehen wir es als eine Herausforderung und auch als Verpflichtung, zur Abwendung eines Krieges auf der Basis der neuen Situation in Deutschland auch auf die großen englischsprachigen Medien, insbesondere die Nachrichtenagenturen, zuzugehen. Denn die ursprüngliche Quelle der verfälschenden Übersetzung ("wipe off the map") muß hier zu finden sein.


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Quelle:
junge Welt vom 19.06.2008
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2008