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FRAGEN/011: "Arbeiterfotografie" - ist das nicht was von früher? (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 36 vom 10. September 2010
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Arbeiterfotografie" - ist das nicht was von früher?

Gespräch mit Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann,
Aktivisten der Kölner Arbeiterfotografie von Helga Humbach


Eine müßige Frage angesichts des Jubiläums "20 Jahre Galerie Arbeiterfotografie", die mit einer Reihe von Ausstellungen und mit Auftritten auf der "photokina" gefeiert wird. Grund für Anneliese Fikentscher (A. F.) und Andreas Neumann (A. N.), Galeristen, Aktivisten der Kölner Gruppe Arbeiterfotografie und im Vorstand des Bundesverbands Arbeiterfotografie, zurück und nach vorn zu blicken. Das Gespräch führte Helga Humbach.


UZ: Zwanzig Jahre sind eine beachtliche Zeit. Womit habt Ihr angefangen?

A. F.: Die erste Ausstellung in der "Galerie" war eine Gemeinschaftsausstellung der Mitglieder der Kölner Gruppe Arbeiterfotografie, die bereits seit 1973 aktiv war. Das Motto war "Engagierte Fotografie 1990", 17 Fotografen und Fotografinnen beteiligten sich mit jeweils bis zu drei Bildern.

UZ: Wie viele Ausstellungen haben seit der Eröffnung der Galerie am 1. Oktober 1990 hier stattgefunden?

A. F.: Rund 45, in unregelmäßigem Rhythmus - mal zwei im Jahr, dann auch mal fünf. Es gab auch Pausen, in denen wir uns auf das kommende Jahr vorbereiteten. Wir hatten Präsentationen zeitgenössischer schweizer, niederländischer, israelischer Fotografen, Bilder türkisch-stämmiger Kölnerinnen oder Ausstellungen zum Thema "deutsche (Nachwende)-Geschichte", aktuell H. P. Jost "Baumwolle weltweit"und ab 24.9. historische Fotos von Marie Goslich (1859-1936) unter dem Titel "Poesie der Landstraße".

Man darf aber nicht vergessen, dass die Galerie auch Ausstellungen und Veranstaltungen mitgetragen hat, die außerhalb ihrer Räume auch in anderen Städten stattgefunden haben. Das größte Projekt war 2007 zum 80-jährigen Jubiläum des Verbandes Arbeiterfotografie in Erfurt, wo wir allein elf Ausstellungen realisierten. 1927 wurde der Verband in Erfurt gegründet, 1933 von den Nazis verboten. 1972 bildeten sich wieder erste Gruppen in der Bundesrepublik, 1973 erschien die erste Nummer der Zeitschrift "Arbeiterfotografie", 1978 wurde der Bundesverband gegründet unter Mitwirkung von Dr. Richard Hiepe (gestorben 1998), Kunsthistoriker in München und Herausgeber der Kulturzeitschrift "tendenzen".

UZ: Die "Galerie" ist eine Sache, dann gibt es aber auch den Verband und die Gruppen. Wie sieht es heute aus mit der Gruppenarbeit? Gibt es die überhaupt noch?

A. F.: Ja, die Kölner Gruppe ist eine der aktivsten, aber es hat sich doch ein wenig verlagert auf die Aktivitäten der Einzelmitglieder, z.B. für unsere Internetreportagen und Dokumentationen.

In Berlin hat eine neu strukturierte Gruppe am 1. September eine Ausstellung unter dem Titel: "Berlin gegen Krieg" eröffnet, in Kiel beschäftigen sich Arbeiterfotografen mit der Arbeitswelt. In München gibt es ein paar Leute, die wieder anfangen wollen.

A. N.: In der Gründungszeit der Arbeiterfotografie, in den siebziger Jahren, gab es wesentlich mehr Gruppenaktivitäten.

UZ: Liegt das vielleicht auch daran, dass sich die Technik geändert hat? Früher musste man eine Dunkelkammer und teure Geräte und Chemikalien haben, heute meint jeder, der auf den Knopf einer Digitalkamera drückt, er könne fotografieren.

A. N.: Möglich, aber wir merken das auch schon länger in der Verbandsarbeit, dass mehr Einzelne sich beteiligen.

A. F.: Es ist auch möglich, dass der Begriff "Arbeiterfotografie" für viele nach Schublade klingt - das ist vielleicht auch der Grund, dass manch einer sich davon löst, die politischen Wurzeln kappen möchte. Das hat mich immer schmerzlich berührt, dass wir manch einen sozusagen "ausgebildet" haben, ihm Kontakte vermittelten oder ein Praktikum. Und dann macht er oder sie die erste eigene Ausstellung - aber der Begriff "Arbeiterfotografie" kommt nicht mehr vor.

UZ: Wie sieht denn jetzt das Leben im Verband aus?

A. F.: Die Kölner z. B. kommen zweimal im Monat zu einem Arbeitstreffen zusammen und einmal zu einem Café-Termin, zu dem jeder hinzukommen kann, der sich über unsere Arbeit informieren will.

Daneben gibt es Aktivitäten des Bundesverbands Arbeiterfotografie, z. B. Kongresse und Symposien oder Ausstellungen wie 2007 in Erfurt, aber auch Teilnahme an den UZ-Pressefesten.

Ganz wichtig ist uns, dass wir in der Galerie auch Arbeiten von Fotografen ausstellen, die nicht Mitglied im Verband sind. Das gilt z. B. für die jetzt eröffnete Ausstellung von Hans Peter Josts Dokumentation "Baumwolle weltweit". Jost ist uns zwar freundschaftlich verbunden, aber vor allem stellen wir die Bilder aus, weil wir sie als beispielhaft für engagiertes Fotografieren - und natürlich als phantastische Arbeiten - empfinden. Wir stellen nicht nur Fotografien aus, sondern auch Grafik und Malerei. Das ist schließlich auch der Auftrag einer Galerie, unterschiedliche künstlerische Herangehensweisen zu zeigen. Wichtig ist uns dabei nur, dass wir die künstlerische Freiheit achten, andererseits aber auch Wert auf Inhalte legen, also nicht "Kunst um der Kunst willen" zeigen wollen.

UZ: Arbeiterfotografie also im weitesten Sinne, Fotografie, die mit Menschen zu tun hat, die Stellung bezieht in der Arbeits- wie in der alltäglichen Welt?

A. F.: Ja, so könnte man sagen. Wir gehen aber noch weiter. Wir berufen uns ja ausdrücklich auf John Heartfield, der zwar nie Mitglied des Verbandes war, aber in seiner AIZ-Zeit vor allem mit seinen Titelbildern politische Aussagen auf den Punkt brachte und so bis heute Vorbildfunktion hat, auch für die jüngere Generation. In dem Prospekt des Kölner "Kunst-Netz SUMO" stellen wir uns vor unter dem Motto: "Kunst ist politisch". Diese Behauptung geht zurück auf Jörg Boström, Maler, Professor für Fotografie und Intermedia an der FH Bielefeld, zusammen mit Richard Hiepe 1978 Mitbegründer des Bundesverbands Arbeiterfotografie. Boström stellte einmal fest: "Die Kunst ist extrem beteiligt an der Ausformung unseres Bewusstseins. Und insofern ist die Kunst selbstredend politisch ..." Wir wollen einen Bogen spannen zwischen Kunst, Medien und Realität.

UZ: Ihr seid ja auch im Internet präsent. Wie ist da das Interesse?

A. N.: Wir kommen auf 10 000 bis 12 000 Seitenzugriffe pro Tag. Dabei muss man bedenken, dass wir ja eine Reihe von Sparten abdecken. Aus dem Galerie-Angebot hat sich z. B. jemand ein historisches Bild für das CD-Cover einer Bigband herausgesucht. Auch Fotos und unsere Bild-Text-Reportagen sind gefragt, z. B. für Plakate, Flugblätter etc.

UZ: Damit kommen wir zum Thema Geld. Wie sieht es damit aus?

A. F.: Na ja, das ist nicht ganz leicht. Einiges lässt sich finanzieren, einiges nicht. Zum 20-jährigen Bestehen geben wir eine limitierte Edition von Fotografien und Grafiken heraus, die wir zum Verkauf anbieten. Geärgert hat uns aber doch, dass das Kulturamt der Stadt Köln alle Zuschüsse zu den Jubiläumsveranstaltungen glattweg abgelehnt hat. Dabei sollte die Arbeit der Galerie in diesen 20 Jahren und der Gruppe Arbeiterfotografie in immerhin 37 Jahren doch auch einmal gewürdigt werden.


Kontakt mit Verband und Galerie "Arbeiterfotografie - Forum für Engagierte Fotografie",: Merheimer Straße 107, Köln, 0221/727999, www.arbeiterfotografie.com/kontakt, arbeiterfotografie@t-online.de Die Zeitschrift "Arbeiterfotografie" erscheint maximal zweimal im Jahr, kostet 9 Euro pro Ausgabe und ist zu bestellen über die Galerie.


Termine:

Bis 26. 9. in der Galerie: H. P. Jost: Baumwolle weltweit

24. 9.-21. 10. in der Galerie: Marie Goslich (1859-1936): Poesie der Landstraße

21.-26. 9., 10-18 Uhr: Arbeiterfotografie auf der photokina KölnMesse Halle 1 mit Stand und Vorträgen (arbeiterfotografie.com/herbst2010)

24. 9. 2010, 20-22 Uhr: Galerie-Abend mit Hans Peter Jost (Baumwolle weltweit) und Krystyna Kauffmann (Marie Goslich: Poesie der Landstraße)

27. 9., 20 Uhr: Vortrag von Krystyna Kauffmann in der Galerie zu Marie Goslich: Poesie der Landstraße


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 42. Jahrgang, Nr. 36,
10. September 2010, Seite 13
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2010