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FRAGEN/015: Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson - Einfluss von Wikileaks erst in Jahren absehbar (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Juli 2011

Medien: "Einfluss von Wikileaks erst in Jahren absehbar" - Interview mit Sprecher Kristinn Hrafnsson

Von Clarinha Glock

Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson mit Natalia Viana von der Partneragentur Pública - Bild: © Clarinha Glock/IPS

Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson mit Natalia Viana von der Partneragentur Pública
Bild: © Clarinha Glock/IPS

São Paulo, 18. Juli (IPS) - Seit einem Jahr ist der Journalist Kristinn Hrafnsson Sprecher von 'Wikileaks'. Erstmals in Kontakt mit der Enthüllungsplattform kam der 49-jährige Isländer im Verlauf von Recherchen über kriminelle Bankengeschäfte vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise. Hrafnsson gelangte rasch zu der Überzeugung, dass Wikileaks durch die Verbreitung von brisanten Informationen gesellschaftliche Veränderungen anstoßen kann. Wie er im Interview mit IPS betonte, wird es jedoch noch etliche Jahre dauern, bis sich die Auswirkungen der Wikileaks-Arbeit in ihrer Gesamtheit erfassen lassen.

Wikileaks und ihr Gründer Julian Assange ließen Hrafnsson und seinen Kollegen eine Liste mit den Namen von Personen zukommen, die in den isländischen Bankenkrach verwickelt waren. Die investigative Presse in Island sei dadurch wachgerüttelt worden, sagte Hrafnsson. Während Assange wegen Sex-Vorwürfen weiterhin in Großbritannien unter Hausarrest steht, geht der Sprecher der Organisation in zahlreichen Ländern an die Öffentlichkeit.

IPS sprach mit dem Isländer am Rande des sechsten Internationalen Kongresses für investigativen Journalismus im brasilianischen São Paulo. Etwa zeitgleich ließ Wikileaks rund 3.000 weitere US-Dokumente veröffentlichen, darunter die Korrespondenz zwischen dem Außenministerium in Washington und US-Diplomaten in dem südamerikanischen Land.

Dass Wikileaks große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde, sei eigentlich immer klar gewesen, meinte Hrafnsson zu IPS. "Wichtig war jedoch die Erkenntnis, dass die von uns verbreiteten Informationen die Ereignisse im 'Arabischen Frühling' gewaltig beeinflusst haben", sagte er mit Bezug auf die Volksaufstände im Maghreb und im Nahen Osten in diesem Jahr.

"Als das Material Anfang Dezember in Tunesien in Umlauf kam, stand Präsident Zine El Abidine Ben Ali an der Spitze eines sehr korrupten Regimes", erinnerte Hrafnsson. Das habe in dem nordafrikanischen Land niemanden erstaunt, hätten sich die Menschen bereits über den Mangel an Freiheiten und die schlechte Wirtschaftslage empört. "Das Ausmaß der Korruption und Vetternwirtschaft hat die Leute aber noch mehr in Rage gebracht und sie dazu ermutigt, auf die Straße zu gehen."


Jasminrevolutionen "so wichtig wie Fall der Berliner Mauer"

"Wenn sich Menschen zusammenschließen, haben sie keine Angst mehr", sagte Hrafnsson. Zum ersten Mal habe eine Revolution im Internet stattgefunden, die sich dann wie ein Flächenbrand von Ägypten bis nach Syrien und in den Jemen ausgebreitet habe. "Das war eine ebenso wichtige Entwicklung wie Fall der Berliner Mauer."

"Wir erleben in der arabischen Welt einen tiefgreifenden Wandel, der nichts mit dem islamischen Fundamentalismus und anderen Ideologien zu tun hat, vor denen alle Angst haben", stellte Hrafnsson fest. "Es geht hier um grundlegende Freiheiten und Menschenrechte. Die Menschen kämpfen für materiellen Wohlstand, Rede- und Versammlungsfreiheit und Demokratie."


Informationen, auf die Menschen ein Anrecht haben

Hrafnsson zufolge spielte Wikileaks auch für die Demokratiebewegung in Ägypten eine zentrale Rolle. Als die USA nach langem Zögern den Rücktritt des damaligen Machthabers Hosni Mubarak betrieben, konnte Wikileaks den vorgeschlagenen Nachfolger als Teil des alten Regimes entlarven.

"Wikileaks sorgt dafür, dass die Menschen die Informationen erhalten, auf die sie ein Anrecht haben", so der Sprecher des Netzwerks. "Wir haben die Diplomatie entmystifiziert. Außerdem haben wir ein detailliertes Bild von dem Krieg entworfen, der im Geheimen geführt wird." (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.wikileaks.de/
http://abraji.org.br/?id=112
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56487

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. Juli 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2011