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FRAGEN/020: Fachzeitschriften - Wissenschaft im Würgegriff (TU berlin intern)


TU berlin intern 7-9/12
Die Hochschulzeitung der Technischen Universität Berlin

Wissenschaft im Würgegriff

Wie Fachzeitschriftenverlage durch ihre Gewinnpolitik den offenen Zugang zu Forschungsergebnissen behindern und wie Wissenschaftler sich dagegen wehren wollen

Interview mit Martin Grötschel von Patricia Pätzold



Herr Prof. Grötschel, die Preise für Fachzeitschriften explodieren, Universitätsbibliotheken können sie sich kaum mehr leisten. Mit Wissen, das von Forschern produziert und von der öffentlichen Hand finanziert wird, erzielen Großverlage mit minimalem eigenen Einsatz hohe Renditen. Sie sichern sich alle Rechte und zwingen die Institutionen, das Wissen überteuert "zurückzukaufen". Das verhindert den freien Zugang zum Wissen und behindert Forschung und Lehre inzwischen stark. Die Wissenschaft beginnt jetzt, sich zu wehren. Wie kommt das Wissen eigentlich in die Zeitschrift?

Wir haben es in der Tat mit einer massiven wirtschaftlichen Fehlentwicklung zu tun, mit einer Lizenz zum Gelddrucken für Verlage. Ich rede hier nur über öffentlich betriebene Wissenschaft und über Fachzeitschriften, nicht über Forschung in der Industrie und auch nicht über Bücher. Ein normaler Wissenschaftler an einer Universität, zum Beispiel ein Mathematiker wie ich, produziert etwa zwei bis fünf Artikel jährlich - bezahlt vom Steuerzahler. Der "chief editor" einer Fachzeitschrift überfliegt einen eingereichten Artikel kurz und reicht ihn zur genaueren Prüfung an einen "associate editor" weiter. Dieser ist Experte des speziellen Fachgebiets. Zwei oder drei Gutachter verfassen einen detaillierten "referee report" und anschließend wird entschieden, ob das Paper angenommen, überarbeitet oder abgelehnt wird. Diese sehr aufwendige Qualitätsprüfung sichert die Hochwertigkeit der Veröffentlichung. Bis hierher sind allerdings nur Kollegen in den Prozess involviert, die für ihre Arbeit keinerlei Honorar kassieren. Das ist eine Art Hol- und Bringschuld unter Forschenden. Jeder schreibt selbst und möchte begutachtet werden. Ich war in meinem bisherigen Leben Mitherausgeber von 17 Zeitschriften. Noch nie erhielt ich einen Cent für diese Arbeit, und andere Kolleginnen und Kollegen eben auch nicht. Die Wissenschaftsverlage tun jedoch so, als seien sie es, die für die Qualitätssicherung sorgen. In Wahrheit bekommen sie diese kostenlos von der Wissenschaftsgemeinschaft geliefert. In der Regel liefert der Autor heute außerdem ein weitgehend druckreifes Manuskript ab, in der Mathematik meist mit dem Programm "LaTeX" hergestellt, das besonders gut geeignet ist für die Darstellung mathematischer Formeln. Die Verlage haben also, wenn überhaupt, auch nur noch wenig mit dem Layout zu tun, sie organisieren lediglich noch Druck, Marketing, Vertrieb und elektronische Bereitstellung. Dafür verlangen sie absurd viel Geld und steigern ständig die Preise. Sie schöpfen dabei bis zu 40 Prozent Gewinn vom Umsatz ab. Die Budgets der Universitäten können bei dieser Preistreiberei einfach nicht mehr mithalten. Am Ende verfügen wir trotz großer Informationsflut über immer weniger "nachlesbares Wissen": Wir können das nicht mehr bezahlen, was wir selber produziert haben.

Wie schaffen es denn die Verlage, einen solchen Druck auszuüben?

Einerseits durch clevere Vertriebsstrategien. Sie versuchen, Großverträge mit ganzen Universitätsverbünden oder sogar Ländern abzuschließen, die große Preisintransparenz erzeugen, da man häufig nicht mehr den Preis einer einzelnen Zeitschrift erfahren kann. Die angeblich frohe Botschaft ist, dass man Preisnachlässe bei Abnahme vieler verschiedener Zeitschriften bekommt. Doch nicht jeder will all diese Zeitschriften haben. Allein in der Mathematik gibt es über 1000 Zeitschriften, von denen ich zum Beispiel etwa zehn regelmäßig lese, mit allen TU-Kollegen zusammen kommen wir so vielleicht auf 100, maximal 200. Doch 1000 brauchen wir nicht. Hier wird ein Mehr an Information vorgegaukelt, das wir gar nicht haben wollen, wofür wir aber teuer bezahlen müssen. Daran gehen im Übrigen viele kleine Verlage zugrunde, denn durch die Bündelabonnements bei Großverlagen bleibt kein Geld mehr für den Ankauf der Produkte kleiner Verlage übrig. Die seriösen familiengeführten Wissenschaftsverlage verschwinden. Der in der Mathematik wichtige wissenschaftliche Springer-Verlag war ein solches Unternehmen. In den vergangenen Jahren ist er durch die Hände mehrerer Heuschrecken gegangen, heute ist er bei ausländischen Investoren gelandet, die von reinen Profitinteressen getrieben werden. Gegen Geschäftstüchtigkeit und im Verhältnis zum geleisteten Mehrwert angemessene Gewinne ist nichts einzuwenden, hier werden jedoch immense Profite durch Monopolstrategien und die Ausnutzung gewisser Zwangslagen junger Wissenschaftler und von Universitäten erzielt.

Sie sind auf diese Publikationsmöglichkeit angewiesen, um in ihrer Karriere weiterzukommen ...

Natürlich! Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben kein direktes finanzielles Interesse am Schreiben. Sie wollen und müssen ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen, Belege für ihr wissenschaftliches Arbeiten liefern, für ihren Lebenslauf, ihre Publikationsliste, ihre Karriere und auch als Nachweis für Mittelzuweisungen. Ich als einigermaßen erfolgreicher Wissenschaftler am Ende meiner Karriere kann es mir leisten, wenig zu veröffentlichen oder in nicht so angesehenen Zeitschriften, es schadet mir nicht mehr. Doch junge Forscher haben keine Alternative, sie müssen in Zeitschriften publizieren, die ein hohes "Ranking" haben. Wissenschaftsadministratoren schauen nicht auf den Inhalt, sondern auf den Publikationsort und solche Pseudo-Bewertungen wie Impact-Faktoren und h-Indizes. Die Verlage haben das natürlich erkannt und steigern gerne den Marktwert ihrer Produkte durch Hinweise auf Objektivität vorgaukelnde "Qualitätsindikatoren". Einige Wissenschaftler glauben selbst an diese, und so laufen wir durch Konzentration unserer Publikationen in "gehypten" Zeitschriften in eine weitere Falle, die von allen Verlagen aktiv gepflegt wird. Diese Indikatoren sind manipulationsanfällig, es gibt bereits Fälle, wo dies nachgewiesen werden konnte.

Der Boykottaufruf "The Cost of Knowledge", initiiert von den beiden hoch renommierten Mathematikern und Fields-Medaillen-Trägern Tim Gowers und Terence Tao und mittlerweile von 11 000 Wissenschaftlern weltweit unterschrieben, ermutigt Forschende, generell nicht mehr bei "Elsevier" zu publizieren und bei dem Verlag auch nicht zu kaufen. Aber was kommt danach?

Zunächst: Unter den 11 000 Wissenschaftlern sind etwa 2000 Mathematiker. Das zeigt, wie sich die Bewegung schon auf andere Fachgebiete ausgeweitet hat. Der Elsevier-Verlag wurde ausgewählt, weil er der größte Player in diesem Spiel ist, obwohl die anderen, wie Springer oder Wiley, genauso verfahren. Ein Kreis von 34 Leuten, die diesen Boykott unterstützen und zu denen ich als Generalsekretär der "International Mathematical Union" auch gehöre, diskutiert derzeit, wie es anschließend weitergehen kann. Es gibt keine einfachen Lösungen, ich kann Ihnen keinen Königsweg in eine bessere "wissenschaftliche Publikationswelt" anbieten. Auch der politische Druck, das deutsche Urheberrecht zu ändern, bringt wenig, weil das keine internationale Wirkung hat. Wir Mathematiker veröffentlichen derzeit "Best-Practice-Dokumente" für Autoren, in denen wir unter anderem raten, Rechte nicht vollständig und nur befristet abzugeben. Die jungen Leute trauen sich das natürlich nicht so leicht, aus Angst, dann nicht veröffentlichen zu können. Doch wir versuchen Folgendes zu vermitteln: Wir haben die Macht, denn wir produzieren; ohne uns gibt es keine wissenschaftlichen Zeitschriften, und wir müssen uns und unsere Leistung in diesem Markt besser platzieren.

Ist es praktikabel, was ebenfalls diskutiert wird, die Vergabe von Fördermitteln zwingend an eine spätere Open-Access-Veröffentlichung zu knüpfen? Immerhin gibt es auch die "Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen" von 2003, ein wichtiger Meilenstein der Open-Access-Bewegung, die bis heute von 363 Institutionen unterzeichnet wurde.

Ich habe schon vor mehr als 15 Jahren versucht, bei der DFG auf eine solche Regelung hinzuwirken. Das war damals undenkbar. Heute ist das Bewusstsein für dieses Problem gewachsen. In einigen Ländern wird so etwas sogar bereits praktiziert. Das halte ich für einen guten Weg. Bei der Einstein Stiftung Berlin haben wir das ebenfalls bereits diskutiert. Doch wir können und wollen nicht als einzelne, vergleichsweise kleine Institution vorpreschen. Richtiger wäre der Weg über die Deutsche Forschungsgemeinschaft, denn es braucht eine einheitliche Regelung.

Internet: www.TheCostofKnowledge.com


Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Martin Grötschel ist TU-Professor für Mathematik, Vizepräsident des Konrad-Zuse-Zentrums für Informationstechnik und Vorstandsvorsitzender der Berliner Einstein Stiftung sowie Generalsekretär der Internationalen Mathematiker-Vereinigung (International Mathematical Union, IMU)

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Quelle:
TU Berlin intern Nr. 7-9/12 - Juli/September 2011, Seite 8
Herausgeber:
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Erscheinungsweise: monatlich, neunmal


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2012