Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → FAKTEN

FRAGEN/022: Karin Leukefeld - Über das Leben hinter den Schlagzeilen (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 24. August 2012

Über das Leben hinter den Schlagzeilen

Die Journalistin Karin Leukefeld über ihre Arbeit in Syrien, die Gespräche mit den Menschen und die Hintergründe des Krieges

Interview von Uli Brockmeyer



Uli Brockmeyer : Sie waren sechs Wochen als Korrespondentin in Damaskus. Wie war die Situation in der syrischen Hauptstadt, als Sie sie am Wochenende verlassen haben?

Karin Leukefeld: Ich bin in Syrien offiziell akkreditiert und halte mich mehrmals im Jahr für längere Zeit dort auf. In diesem Jahr war es mein dritter Aufenthalt. Der Tag an dem ich ausgereist bin, war ruhig in Damaskus. In der Nacht zuvor waren heftige Gefechtsgeräusche zu hören gewesen, die allerdings aus den Außenbezirken und umliegenden Satellitenstädten kamen. Man erfährt von den Gefechten aus den syrischen Medien und von Leuten, die in den jeweiligen Bezirken wohnen. Aber wie gesagt, der Tag meiner Abreise war ruhig, es gab keine Kontrollen, kein Militär auf den Straßen.

Uli Brockmeyer : In der westlichen Presse wurde immer wieder behauptet, daß es ausländischen Journalisten nicht gestattet werde, aus Syrien zu berichten. Wie war es möglich, daß Sie täglich Berichte nach Deutschland und nach Luxemburg schicken konnten?

Karin Leukefeld: Seit 2010 bin ich in Syrien akkreditiert. Das ermöglicht mir eine problemlose Ein- und Ausreise. Andere Kollegen müssen - wie ich früher auch - einen Antrag für ein Journalistenvisum bei der syrischen Botschaft in ihrem Land stellen. Visa werden heute schneller erteilt als früher, aber viele Kollegen beantragen gar kein Visum, sondern reisen illegal nach Syrien ein, mit bewaffneten Gruppen aus der Türkei oder dem Libanon. In Beirut erfuhr ich von einem Reporter, der 1.500 US-Dollar dafür bezahlt hat, um vom Libanon nach Homs geschmuggelt zu werden.

Im Land kann ich wie syrische Kollegen arbeiten. Ich kann reisen, Straßeninterviews machen usw. Den Antrag auf Akkreditierung hatte ich 2005 gestellt, nachdem es in Bagdad, wo ich zuvor gearbeitet habe, sehr unsicher geworden war. Nach fünf Jahren dann erhielt ich die Akkreditierung in Syrien. Es gibt außer mir andere ausländische Journalisten mit einer solchen Akkreditierung, ein britischer Kollege, der für »The National« (VAE) scheibt, aber meist sind es Kollegen von Fernsehsendern: »TeleSur«, »Russia Today«, CCTV (China) und eine Reihe arabischer Sender. Auch das Türkische Fernsehen TRT hatte einen akkreditierten Journalisten in Damaskus. In diesem Jahr hat TRT den Kollegen abberufen, er wurde nicht von den syrischen Behörden ausgewiesen. Meine täglichen Berichte schicke ich per E-Mail. Wo ich wohne gibt es eine W-Lan-Verbindung, die Internetverbindungen sind ähnlich gut und verbreitet wie in Europa.

Ich bin keine Kriegsberichterstatterin

Uli Brockmeyer : In Zeiten des Krieges ist es schwierig, sich in einem Land zu bewegen und zu berichten. Welche Restriktionen wurden Ihnen auferlegt?

Karin Leukefeld: Von Seiten der Behörden, also vom Informationsministerium, heißt es lediglich: passen Sie auf sich auf! In diesem Jahr ist das freie Reisen in Syrien schwieriger geworden. In Kampfzonen ist es gefährlich, auch Busfahrten durch das Land, zum Beispiel nach Aleppo, müssen gut überlegt werden. Zwischen Januar und März war ich mehrmals in der Provinz Homs unterwegs, allerdings nicht in Gebieten, wo gekämpft wurde. Ich bin keine Kriegsberichterstatterin und habe auch keine Ausrüstung dafür. Kriegsberichterstattung ist ein Geschäft und befördert Krieg, daran will ich mich nicht beteiligen. Ich berichte über das Leben hinter den Schlagzeilen, also über die Folgen von Krieg für die Bevölkerung, für Parteien, Organisationen, für die Wirtschaft. Ich spreche vor allem mit denjenigen, die die bewaffnete Auseinandersetzung ablehnen - das ist die klare Mehrheit der Bevölkerung - und berichte darüber, welche Vorschläge sie für die Zukunft ihres Landes machen.

Uli Brockmeyer : Welche Erfahrungen haben Sie im Umgang mit syrischen Behörden gemacht?

Karin Leukefeld: An der Grenze, wenn ich einreise, heißt es immer: Herzlich willkommen! Wenn ich bei der Einwanderungsbehörde meinen Aufenthalt verlängere, kennt man mich inzwischen schon und hilft mir, daß alles schnell erledigt ist. Ansonsten habe ich wenig mit Behörden zu tun. Es dauert, wenn ich einen offiziellen Interviewantrag bei einem Ministerium stelle, zum Beispiel konnte ich nie mit den Ministern für Verteidigung oder Inneres sprechen. Ich konnte auch kein Gefängnis besuchen, obwohl ich das mehrfach beantragt habe. Allerdings wurde ich eingeladen, bei einer der fast täglichen Gefangenenfreilassungen teilzunehmen, dort hatte ich dann die Möglichkeit eines Gesprächs.

Uli Brockmeyer : Sie sind als Deutsche vor allem für deutsche Medien tätig. Wie haben Ihre Gesprächspartner in Syrien darauf reagiert?

Karin Leukefeld: Man heißt mich willkommen, verweist häufig auf Ereignisse in der deutschen Geschichte, Errungenschaften deutscher Kultur. Das zeigt, wie gut viele Leute über die europäische und deutsche Politik und Geschichte informiert sind. Inzwischen wird auch offen die politische Linie der Bundesregierung gegenüber Syrien bedauert oder kritisiert, ebenso die militärische Unterstützung Israels durch die Bundesregierung. Es ist allgemein bekannt, daß Deutschland U-Boote an Israel liefert, die nukleare Sprengköpfe tragen können. Die deutsche Öffentlichkeit ist über dieses Gesicht Deutschlands im Mittleren Osten weniger gut informiert. Geschweige denn, daß man in Deutschland viel über Syrien weiß.

»Aktivisten« sind häufig nicht da, wo sie behaupten zu sein

Uli Brockmeyer : Hier in Westeuropa werden in den Medien vor allem Berichte von sogenannten Aktivisten zitiert. Für wie glaubwürdig halten Sie solche Meldungen?

Karin Leukefeld: Als professionelle Reporterin muß ich mich an bestimmte Regeln halten, dazu gehört die Überprüfbarkeit von Informationen durch verschiedene Quellen, dazu gehört es, Informationen von allen Seiten zu sammeln, und vor allem Unparteilichkeit. Die einzige Parteilichkeit, die ich »mir leiste«, ist die gegen Krieg. »Aktivisten« sind natürlich emotional in einem Konflikt engagiert und parteilich. Diesen Berichten muß ich ebenso vorsichtig begegnen, wie Berichten der Armee.

So sagte mir beispielsweise eine sehr engagierte Gesprächspartnerin und Regierungsgegnerin, sie habe mit wenigen Freunden 50.000 Flüchtlingsfamilien aus Homs untergebracht und versorgt. Pro Familie rechnet man bis zu zehn Personen, so viele Menschen zu versorgen, ist für eine kleine Gruppe von Aktivisten nicht möglich. Eine Flüchtlingsfrau aus Homs sagte mir, allein in Homs gebe es 20.000 Tote, sie könne mir den Namen jedes Einzelnen sagen. Auch das ist nicht glaubwürdig.

»Aktivisten« sind zudem häufig nicht da, wo sie behaupten zu sein. Salim Qabbani, ein junger Mann, der über Ereignisse in Homs u.a. für Al Jazeera, BBC und CNN berichtete, hielt sich tatsächlich in Tripoli, im Nordlibanon auf, nicht in Homs. Er hat das selber bei einem Interview im syrischen Fernsehen eingestanden. Andererseits muß ich sagen, daß mir ein Gespräch mit Qabbani, das ich beantragt hatte, nicht ermöglicht wurde, aus Sicherheitsgründen. Ich konnte mir also kein persönliches Bild von ihm machen.

In dem Zusammenhang möchte ich auf die Aussage von einem Aktivisten des »Syrischen Nationalrates« in Berlin hinweisen. In einem Interview mit »Zeit Online« (21.1.2012) sagte ein Farhad Ahma, er und seine Freunde hätten »über 180.000 Videofilme (...) aus Syrien angesammelt, dazu unzählige Foto-Blogs. Viele Syrer inszenieren ihre Auftritte regelrecht für ein globales Publikum, halten immer wieder Plakate mit englischen Slogans in die Kameras«, heißt es in dem Artikel. Die Proteste werden also »inszeniert«. Wie in weniger als 365 Tagen mehr als 180.000 Videofilme zustande gekommen sein sollen, müßte mal recherchiert werden. Ich sage nicht, daß es keine Proteste in Syrien gibt, aber die genuinen Proteste der Syrer tragen eine andere Handschrift.

Uli Brockmeyer : Eine der am meisten zitierten Quellen ist der Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdul Rahman. Wer ist das?

Karin Leukefeld: Am 12. Juli 2012 erschien im britischen »Guardian« ein interessanter Text über die »Sprecher der Syrischen Opposition«. Darin heißt es über Herrn Rahman, daß er im britischen Coventry lebt und mit seiner Frau ein Bekleidungsgeschäft führt. Er erhält seine Informationen telefonisch und gibt sie telefonisch weiter - an Agenturen, Fernsehsender usw. Herr Rahman ist also ein Telefonaktivist. Nicht, daß er nicht ehrlich ist, aber belastbare Recherche von Ereignissen in einem Krisengebiet kann man nicht telefonisch bekommen. Die UNO-Beobachter halte ich für die einzige zuverlässige Institution in Syrien, die eine glaubwürdige Recherche durchführt, oder besser gesagt, durchgeführt hat.

Uli Brockmeyer : Sie haben sich mit Vertretern der syrischen Opposition getroffen. Wie war das möglich? Glaubt man den hiesigen Medien, werden diese Leute verfolgt und unterdrückt...

Karin Leukefeld: Viele meiner Gesprächspartner haben Jahre lang im Gefängnis gesessen, andere haben früher in Regierungsstellen gearbeitet, auch da waren sie schon Opposition. Wieder andere sind von der Baath-Partei und natürlich gibt es viele unorganisierte Menschen mit oppositionellen Ansichten. Es gibt zwei Minister in der Regierung, Kadri Dschamil und Ali Haidar, die der Opposition angehören, einer »gezähmten Opposition«, wie manche Leute sie nennen. Wir trafen uns privat, in Cafés und Büros.

Das politische Klima in Syrien hat sich seit Anfang 2011 enorm verändert, auch in vielen Medien wird anders, kritisch berichtet. Einige Leute haben gesagt, daß sie heute zwar noch immer vor den Sicherheitskräften, dem Geheimdienst, auf der Hut sein müßten, andererseits auch vor denjenigen Oppositionellen, die eine ausländische Intervention wollen und vom Ausland bezahlt werden. Einige Oppositionelle werden von diesen Auslandsoppositionellen direkt bedroht. Die ermuntern Demonstrierende sogar, Transparente gegen innersyrische Oppositionelle zu tragen und sie mit Parolen zu beschimpfen und zu bedrohen. Es gibt Oppositionelle, die unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen sind.

Hier kämpft nicht jeder gegen jeden

Uli Brockmeyer : Worin sehen Sie die größten Gefahren des syrischen Krieges? Ist es ein Bürgerkrieg? Welche Konsequenzen hat er für die für die Situation der Nachbarländer?

Karin Leukefeld: Ich spreche nicht von einem »Bürgerkrieg« in Syrien. Hier kämpft nicht jeder gegen jeden, sondern es kämpfen bewaffnete Syrer, ausländische Söldner und Gotteskrieger gegen die syrische Armee, Polizei und Sicherheitskräfte. Wenn es keine Lösung gibt, wenn die Waffen nicht schweigen, wird es allerdings vermutlich einen konfessionellen Krieg geben. Seit Monaten werden die Menschen zum Beispiel über einschlägige Fernsehsender von radikalen Predigern aufgehetzt, gegen Alewiten, Schiiten und Christen zu kämpfen. »Das sunnitische Blut ist eins«, heißt es im Logo eines solchen Senders. Die werden aus Katar und Saudi Arabien ausgestrahlt. Westliche Medienberichterstattung geht immer mehr in die gleiche Richtung. »Der Spiegel« schrieb kürzlich von einem »Krieg der Konfessionen in Syrien«. Das ist nicht nur falsch, sondern hochgefährlich.

Uli Brockmeyer : Welches Ziel haben die politischen Führer der USA und der EU bei ihrer Unterstützung der bewaffneten Assad-Gegner? Wie schätzen Sie die Rolle der Golfmonarchien ein, insbesondere die aktive Unterstützung aus Saudi-Arabien und Katar für die bewaffneten Assad-Gegner?

Karin Leukefeld: Die bewaffneten Aufständischen werden von der USA und der EU, den »Freunden Syriens«, aber auch von Israel, der Türkei, Saudi Arabien und Katar unterstützt. Diese Unterstützung geschieht ganz offen, unter Mißachtung des Völkerrechts.

Saudi Arabien und Katar wollen die Achse Hisbollah-Damaskus-Teheran brechen, dahinter steckt das Interesse sunnitisch-wahabitischer Machtblöcke, also vor allem der Golfmonarchien, gegen den schiitischen Gottesstaat Iran, die nationale libanesische Organisation der Hisbollah und die säkular-nationale panarabische Politik, wie sie das syrische Regime seit 40 Jahren betreibt. Katar unterstützt -

wie die Türkei - die in Syrien verbotene Muslim-Bruderschaft, Saudi Arabien unterstützt die Salafisten. Israel will Syrien schwächen oder brechen, um den iranischen Einfluß und die palästinensischen Organisationen zu schwächen.

Die EU hat keine einheitliche Politik. Frankreich betrachtet Syrien noch immer aus der Sicht der alten Kolonialmacht, wie auch den Libanon. Großbritannien und Deutschland machen, was die USA wollen, die wiederum im Fall Syriens das wollen, was Israel will. Hinzu kommen wirtschaftliche Interessen. Der Westen will die Kontrolle über die ressourcenreiche Region: Öl, Gas, Wasser. So ist beispielsweise der Bau einer Ölpipeline vom Golf quer über die arabische Halbinsel in die Türkei und nach Europa geplant - um sich von russischen Öl- und Gaslieferungen unabhängiger zu machen.

Wichtig ist aber zu betonen, daß sowohl die USA als auch die EU wegen ihrer Wirtschaftskrisen vom Geld der Golfmonarchien abhängig sind. Katar ist in Europa der größte Investor, vor allem in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, und wohl auch in Luxemburg. Saudi Arabien hat - das erfuhr ich im Gespräch mit einem ausländischen Analysten in Damaskus - der NATO angeboten, einen Angriff auf Syrien zu bezahlen!

Uli Brockmeyer : Wie geht es Ihren Freunden in Syrien? Werden Sie die Kontakte aufrechterhalten können?

Karin Leukefeld: Wir sind telefonisch und per E-Mail in Verbindung. Ich werde bald wieder nach Syrien zurückreisen und hoffe, daß alle Freunde und Bekannte und ihre Familien gesund und sicher bleiben. Und daß geschieht, was sie sich wünschen: daß Frieden in ihr Land zurückkehrt, damit sie die Veränderungen umsetzen und erleben können, die sie sich so sehr wünschen.


Karin Leukefeld, Jahrgang 1954, ist freie Journalistin und Buchautorin. Nach ihrem Studium der Ethnologie, Islam- und Politikwissenschaften arbeitete sie u.a. beim Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), der Partei Die Grünen, der Informationsstelle El Salvador und als persönliche Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten der PDS. Sie schreibt u.a. für die Tageszeitungen »junge Welt«, »Neues Deutschland«, »Rheinischer Merkur« und die Zürcher »Wochenzeitung« und arbeitet für verschiedene Rundfunksender.

*

Quelle:
Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
mit freundlicher Genehmigung des Autors
3, rue Zénon Bernard
L-4030 Esch-sur-Alzette
Telefon: 00352/446066-1, Fax: 00352/446066-66
Email: info@zlv.lu
Internet: http://www.zlv.lu


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2012