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FRAGEN/023: Digitalkanäle und Grundversorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (M - ver.di)


M - Menschen Machen Medien Nr. 6/2012
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift

Hü-und-Hott-Politik nicht zielführend

Über die Digitalkanäle und den Grundversorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sprach M mit Michael Schmid-Ospach

Das Gespräch führte Günter Herkel



Günter Herkel: Medienpolitiker fast aller politischen Parteien haben sich in jüngster Zeit für eine Verminderung der Digitalkanäle von ARD und ZDF ausgesprochen. Wie erklären Sie sich das?

Michael Schmid-Ospach: Man hat, glaube ich, gesehen, dass man mit sechs Digitalkanälen ohne Finanzierungszuwachs dieses Thema ganz schön überfordert hat. Die zeitweilige Lustlosigkeit der ARD in der Frage hat das ja auch widergespiegelt. Das ZDF sah seine Chance, endlich mal Herr im Haus mit eigenen Kanälen zu werden, eine eigene Programmfamilie zu gründen. Es sind ja keine Feinde des öffentlich-rechtlichen Systems, die da jetzt zurückrudern. Denn es sind ja dieselben Stimmen, die damals diese sechs Digitalkanäle auf den Weg gebracht haben.

Günter Herkel: Aber ist nicht gerade diese Hü-und-Hott-Politik das Merkwürdige an diesem Vorgang?

Michael Schmid-Ospach: Es ist zumindest unter zwei Gesichtspunkten gefährlich. Erstens: Die Politik macht sich hier zum Gestalter für Spartenprogramme. Das ist schon ein ziemlich massiver Eingriff in die Rundfunkfreiheit. Zweitens: Wenn man jetzt in der Rundfunkpolitik so ein Hin und Her macht, gerät auch die Planungssicherheit in Gefahr. Nach politischen Entscheidungen des Gesetzgebers und der Ministerpräsidenten sollte eine Weile Ruhe herrschen, damit etwas ausprobiert werden kann.

Günter Herkel: Zur Jahreswende tritt das neue Gebührenmodell in Kraft. Zugleich gibt es die allgemeine gesellschaftliche Diskussion über Sparzwänge. Kommt in diesem Kontext die Debatte über den Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht gerade zur rechten Zeit?

Michael Schmid-Ospach: Ich halte das für eine wunderbare Chance, darüber nochmal grundsätzlich zu reden, nachzufragen, wie denn dieses digitale Angebot aussieht und sicher zu stellen, dass dies richtig finanziert wird. Was steckt eigentlich inhaltlich in diesem ganzen öffentlich-rechtlichen Paket? Stichwort Kulturkanal: Wir haben überhaupt keinen wirklich vitalen Kulturkanal in Deutschland. Es gibt mit 3sat und Arte zwei Kanäle, die gottseidank internationale Kanäle sind. Bei 3sat sind mit 20 Prozent Schweiz und Österreich, bei Arte ist mit 50 Prozent Frankreich beteiligt. Die Feuilletons unserer Zeitungen bringen wirklich jeden Tag Lesenswertes. Dagegen findet sich in den traditionellen öffentlich-rechtlichen und Dritten Programmen Kultur im Vergleich zu früher nur noch in Spurenelementen. Auf Phoenix darf gar keine Kultur gemacht werden.

Günter Herkel: Nach welchen Kriterien entscheidet man, was Grundversorgung ist?

Michael Schmid-Ospach: Es geht natürlich nach wie vor darum, den vollen Dreiklang anzubieten, Information, Bildung und Unterhaltung. Kultur und der Sport gehören zentral dazu. Die Frage ist, wie weit das gehen muss. Es muss nicht zwanghaft alles gekauft werden, was der Sportmarkt anbietet - siehe Boxverträge.

Günter Herkel: Wie beurteilen Sie die digitalen Informationskanäle?

Michael Schmid-Ospach: ARD und ZDF bieten jetzt schon höchst spannende Ansätze. Zwei weitere Info-Kanäle, das halte ich allerdings nicht mit Augenmaß geguckt. Wir haben sehr viel Information im Ersten und Zweiten Programm, wir haben landesbezogene Informationen satt in allen Dritten Kanälen. Und wir haben Phoenix, einen Sender, der seit seiner Gründung mit dem gleichen Budget arbeitet und den man langsam verhungern lässt. Eigentlich ein Skandal. Dazu haben wir jetzt zwei Infoprogramme. Solche Programme sind immer sehr kostenintensiv. Das kann nicht, wie behauptet wird, aus der ohnehin vorhandenen "Tagesschau" oder aus "heute" gemacht werden. "ZDF Info" hat nachgelegt, und dieser Tagesschau-Infokanal, wenn der wirklich Qualität haben soll, wird es ganz schnell personal- und kostenintensiv.

Günter Herkel: Worauf wollen Sie hinaus?

Michael Schmid-Ospach: Wenn man nach einer Überprüfung zu dem Schluss kommt, man kann auf einen verzichten, sollte man ARD und ZDF bitten, zusammen zu arbeiten. Das passiert ja bei vielen Projekten schon mit großem Erfolg. Diese Zahl sechs war ja seinerzeit eher "gegriffen". Ehe jetzt diese neue Lust an den Digitalkanälen entdeckt wurde, gab es damals schon Stimmen - zum Beispiel Dagmar Reim vom RBB - die für Zurückhaltung plädierten.

Günter Herkel: Sie schlagen einen gemeinsamen Kulturkanal von ARD und ZDF vor - wie könnte der aussehen?

Michael Schmid-Ospach: Mir gefiel der ZDF-Theaterkanal gar nicht so schlecht. Ich finde bestimmte Farben bei 3sat exzellent. Ein gemeinsamer Kulturkanal dürfte keinen verkrampft jugendlichen Ansatz haben. Auch "Schrägsein" hat noch nichts mit einem erweitertem Kulturbegriff zu tun. Wegen der Existenz von Arte und 3sat ist vielleicht ein ganzer deutscher Kulturkanal eines einzigen Systems nicht unbedingt notwendig. Aber ARD und ZDF könnten zusammen da locker was Gutes machen.

Günter Herkel: Allerdings ist bekannt, dass ARD und ZDF sich - abgesehen von großen Sportereignissen, die einer allein nicht stemmen kann - eher Konkurrenz machen. Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die Chancen eines solchen Projekts ein?

Michael Schmid-Ospach: Das Modell ist ja eigentlich absolut bewährt. Diese Doppelspitzen, die es inzwischen vom Kinderkanal bis Phoenix, von ARTE bis 3sat gibt, müssen nicht sein. Das ist so das System des alten Parteienproporzes als Senderproporz - eins links, eins rechts, eins fallenlassen.

Günter Herkel: Und was wäre inhaltlich zu verändern?

Michael Schmid-Ospach: Beim ZDF hieß es damals: Endlich kommen wir raus aus der Ein-Kanal-Zone. Kulturelle Qualitätsprogramme gibt es genug. Es tut mir aber weh, wenn dann im "ZDF Kultur" die Hitparade läuft und Dieter Thomas Heck sämtliche Fernseholdies zum Kult ernennt. Außerdem gibt es ja kaum einen Sender, ob Sparte oder nicht, wo nicht ständig gekocht wird. Die Wiederholungskeule, die auf einmal so viele Kanäle, die man bespielen muss frei setzt, hat ja nichts mehr zu tun mit dem, was man früher gesagt hat: Wir heben die Schätze der Archive!

Günter Herkel: Gilt das auch für die ARD?

Michael Schmid-Ospach: Die ARD hat drei zusätzliche Kanäle nicht unbedingt nötig. Für Experimente hat sie Dritte Programme, die alle bundesweit empfangen werden. Die sind aber größtenteils vollgepackt mit Wiederholungen. Große Teile der Tagesstrecke werden überhaupt nicht journalistisch beackert, vielmehr sind es Wiederholungsplätze für zeitversetztes Sehen. Die Frage zusätzlicher Kanäle muss daher bei ARD und ZDF unterschiedlich beurteilt werden.

Günter Herkel: Gegenwärtig wird auch über einen eigenständigen Jugendkanal diskutiert. Braucht es zur Korrektur des Generationenabriss einen eigenen Kanal oder sollte die Jugend mit entsprechender Anstrengung in die Hauptprogramme zurückgeholt werden?

Michael Schmid-Ospach: Ein eigener Kanal wäre sinnvoll. Es müsste aber wie Neo etwas wirklich Neues sein und dürfte nicht mit dem Etikett Jugend beklebt werden. Beim WDR-Hörfunk hat man ja mit großem Erfolg "Eins Live" gegründet, bewusst nicht als Radioprogramm für die Jugend, sondern als einen neuen Ton, der auch nicht WDR hieß. Frau Piel kennt sich da gut aus!

Günter Herkel: Anke Schäferkordt von RTL sagt: Wenn der Markt dich fragmentiert, fragmentiere dich selbst! Das Resultat sind immer spitzere Zielgruppenprogramme bei den Privaten. Warum sollte man ARD und ZDF nicht eine ähnliche Strategie zugestehen?

Michael Schmid-Ospach: Die Ansprüche der Privaten in dieser Hinsicht kann man unter kommerziellen Gesichtspunkten verstehen. Für die ist jeder neue Kanal, der auch die finanzielle Kraft von ARD oder ZDF womöglich noch stärken sollte, abgesehen von der Fragmentierung des Marktes, ein Dorn im Auge. Auf der anderen Seite: Wenn man die gesamte Landschaft und die Grundversorgung betrachtet: Je differenzierter, desto besser. Das sehen wir doch gerade an der Presse. Konzentration hat nie zu einer Bereicherung der Presselandschaft geführt. Die einst geringe Programmvielfalt hing stark mit Kostengründen zusammen. Jetzt hat man die technischen Möglichkeiten, also sollte man sie auch nutzen. Nur eben klug überlegt und nicht zugeballert mit Wiederholungen und unnützem Kram.

Günter Herkel: Ein weiterer Dorn im Auge von Verlegern und Privatfunk sind die Online-Auftritte von ARD und ZDF. Gegen die Tagesschau-App läuft sogar eine Gemeinschaftsklage einiger Verleger!

Michael Schmid-Ospach: Diese Versuche von Print, sich selbst über die Online-Vermarktung zu retten, aber den Mitveranstaltern im Markt diesen neuen Vertriebsweg vorenthalten zu wollen, ergeben überhaupt keinen Sinn. Man muss sich da verständigen. ARD und ZDF sind eben nicht, wie VPRT-Präsident Jürgen Doetz immer behauptet, auf einem "gigantischen Expansionsfeldzug". Das ist Quatsch. Ich finde, das wird schon sehr mit Augenmaß betrieben. Das sollte auch im Digital-TV gelten. Ich verstehe sehr gut, dass ARD und ZDF mit ihren Nachrichtensendungen auf jedes Smartphone gelangen möchten. Aber auch dazu bedarf es nicht noch zweier Informationskanäle.

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Quelle:
M - Menschen Machen Medien Nr. 6, September 2012, S. 11-12
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift, 61. Jahrgang
Herausgeber:
ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Fachbereich 8 (Medien, Kunst, Industrie)
Bundesvorstand: Frank Bsirske/Frank Werneke
Redaktion: Karin Wenk
Anschrift: verdi.Bundesverwaltung, Redaktion M
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2012