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FRAGEN/024: Kahlschlag im Blätterwald - Kommunikationsexperte Shelton Gunaratne im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. November 2012

Medien: Kahlschlag im Blätterwald - Kommunikationsexperte Shelton Gunaratne im Interview

von Thalif Deen


Shelton A. Gunaratne - Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Shelton Gunaratne

Shelton A. Gunaratne
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Shelton Gunaratne

New York, 5. November (IPS) - Die digitale Revolution hat aus vielen US-Printmedien reine Online-Publikationen oder 'Hybride' gemacht. Der Trend wird sich nach Ansicht des Informations- und Kommunikationsexperten Shelton A. Gunaratne fortsetzen und selbst "arrogante" Blätter wie die 'New York Times', 'Washington Post', 'Los Angeles Times', 'das Wall Street Journal' und 'USA Today' Bescheidenheit lehren.

Ganze 149 Jahre lang erschien der 'Seattle Post-Intelligencer' im Druckformat. Im März 2009 sah sich das Blatt aus Seattle im Bundesstaat Washington aus finanziellen Gründen gezwungen, von Print auf Online umzustellen. Vier Monate später stampfte die altehrwürdige 'Ann Arbor News' ihre 174-jährige Druckausgabe ein, um fortan ebenfalls ausschließlich eine Online-Existenz zu fristen.

Die um ein Jahr ältere 'Times-Picayune' aus New Orleans, die für ihre Berichterstattung über den Wirbelsturm 'Katrina' 2005 und dessen Folgen in der Region mit dem Pulitzer-Preis 2006 ausgezeichnet wurde, erscheint seit September nur doch drei Mal die Woche. Das gleiche Schicksal wird die 'Patriot-News' aus Harrisburg in Pennsylvania, ebenfalls ein Pulitzer-Preisträger, ab dem nächsten Jahr ereilen.

Im letzten Monat gab dann das 79 Jahre alte internationale Nachrichtenmagazin 'Newsweek' bekannt, angesichts des drastischen Auflagenrückgangs von 3,3 Millionen 1991 auf 1,5 Millionen im letzten Juni nur noch in digitaler Form zu erscheinen.

Laut Gunaratne, emeritierter Professor für Massenkommunikation an der 'Minnesota State University', hat das Internet die oligopolistische Nachrichtenindustrie revolutioniert, indem es jedem User die Möglichkeit gibt, sich journalistisch zu betätigen. Es habe zudem "arrogante" Blätter wie die 'New York Times', 'Washington Post', 'Los Angeles Times', das 'Wall Street Journal' und 'USA Today' das Fürchten gelehrt. "Auch sie werden sich früher oder später ebenso in Bescheidenheit üben müssen wie der Seattle Post-Intelligencer", sagte er gegenüber IPS.

Nach dem Kollaps des Post-Intelligencer und der 'Rocky Mountain News' vollzog die 'Ann Arbor News' den Wandel zum Hybrid. Sie wurde zu einem Online-Produkt, das zweimal die Woche durch eine Printausgabe ergänzt wird, wie Gunaratne berichtet, der unter anderem 'From Village Boy to Global Citizen' und 'The Travels of a Journalist', die ersten beiden Bände seiner Triologie 'Village Life in the Forties: Memories of a Lankan Expatriate', geschrieben hat. Es folgen Auszüge aus dem Interview.

IPS: Was sind die Gründe für den Niedergang der Printmedien?

Shelton A. Gunaratne: Der Grund ist, dass sich die meisten Menschen aller Voraussicht nach magazinähnliche Inhalte über Webseiten, Blogs und Podcasts abrufen werden. Auch werden sie ihre Smartphones und drahtlosen Tablets zum Lesen von Nachrichten verwenden.

IPS: Und der Rückgang der Werbeeinnahmen?

Gunaratne: Werbeeinnahmen finanzieren rund 80 Prozent der Produktions- und Verbreitungskosten einer US-amerikanischen Zeitung. Doch nach der digitalen Revolution in den 1980er Jahren erkannte die Werbeindustrie, dass sie spezielle Erzeugnisse und Dienstleistungen viel kostengünstiger über die Online-Medien bewerben kann.

Das Informationsalter begann in den 1990er Jahren mit dem Zugang zum weltweiten Netz als Teil des Internets. Das World Wide Web war für Massenmedien, Medienkonsumenten und Anzeigenindustrie ein Segen. Alle drei fanden im Cyberspace ihre Nische, in der sie koexistieren können.

Das Web kann weit mehr unterbringen als 'Alle Nachrichten, die es wert sind, gedruckt zu werden' ('All the news that's fit to print'), wie der Slogan der New York Times lautet. Die rapide schwindenden Werbeeinnahmen sind das Hauptproblem des Printjournalismus in der modernen Welt.

IPS: Angesichts der Tatsache, dass sich die junge Generation vor allem digitalen Informationen zuwendet - ist der derzeitige Trend der Anfang vom Ende der Print-Zeitungen?

Gunaratne: Die jüngere Generation von Amerikanern, die nach der digitalen Revolution geboren wurde, interessiert sich nicht für die Printmedien. Ich hatte junge Leute in meinen Kursen, die bestenfalls die Sportseiten aufschlugen. Ebenso gering war ihr Interesse an Schulbüchern.

Die digitale Revolution hat das Interesse vom Lesen weg- und zu elektronischen und visuellen Medien hingeführt. Diese Revolution, die die Abkehr von der analogen mechanischen und elektronischen zur digitalen Technologie markiert, hat das Informationszeitalter eingeläutet.

Die rasante Verbreitung der Mobiltelefone, zunächst in den Industriestaaten und dann in den Entwicklungsländern, im letzten Jahrzehnt, hat auch dazu beigetragen, die Wirtschaftlichkeit der Printmedien zu unterlaufen.

Die Zahl der Internet-User hat weltweit erheblich zugenommen. Derzeit gibt es in Indonesien mehr Mobiltelefone als Einwohner. Cloud Computing wurde Anfang dieses Jahrzehnts Mainstream. Bis 2015 werden Tablets und Telefone häufiger online gehen als PCs.

IPS: Wird dieses Phänomen auch im globalen Süden auftreten?

Gunaratne: Tina Brown, Verlegerin der Newsweek, wird gern mit den Worten zitiert, dass Print- (und nicht digitale) Lizenzen für die Newsweek "enorm stark" in Ländern wie Japan, Mexiko, Pakistan, Polen und Südkorea sind.

Zahlen der Internationalen Telekommunikationsunion (ITU) zeigen, dass 2011 etwa 35 Prozent der Weltbevölkerung (oder zwei Milliarden Menschen) das Internet nutzten. 2006 waren es erst 18 Prozent gewesen. In der gleichen Geschwindigkeit könnte sich die digitale Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern schließen und zwar noch vor dem Niedergang der USA, den ich in meinen Schriften auf 2043 datiere.

Von den fünf Ländern, die Tina Brown aufgezählt hat, könnten Japan und Südkorea, in denen der konfuzianische Bezug zu den Printerzeugnissen noch sehr groß ist, und im traditionsverbundenen Polen dürften sich die Printmedien noch ein wenig länger halten. Anders als in den USA, wo Nachrichten als Ware betrachtet werden, werden sie in vielen anderen Ländern als soziales Gut geschätzt.

Print-Medien könnten sich in Ländern halten, in denen Nachrichten nicht als Ware betrachtet werden. Die Nachrichtenagentur Inter Press Service (IPS) mit Sitz in Rom hatte als ein Gegengewicht zum kapitalistischen Journalismus angefangen und betrachtet Nachrichten als ein soziales Gut.

Der Kommunikationsberater Ken Goldstein, der 60 Jahre lang die Verbreitung von Bezahl-Zeitungen in Kanada, Großbritannien und USA untersucht und einen kontinuierlichen Rückgang beobachtet hat, ist der Meinung, dass die Zeitungen eines Tages verschwunden sein werden. (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/11/qa-is-print-media-headed-for-the-graveyard/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2012