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FRAGEN/032: Lateinamerika - UN-Sonderberichterstatter La Rue zum Recht auf freie Meinungsäußerung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Juni 2013

Lateinamerika: 'Freie Meinungsäußerung ist ein Kollektivrecht auf Information' - UN-Sonderberichterstatter im Interview

von Daniela Pastrana


Bild: © UN

Frank La Rue
Bild: © UN

Mexiko-Stadt, 14. Juni (IPS) - "Es ist wichtig, dass wir im Hinterkopf behalten, dass Information in erster Linie eine soziale Dienstleistung ist. Vergessen wir das, kommt es zur Kommerzialisierung der Information", warnt Frank La Rue, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, und fügt hinzu: "In Lateinamerika ist uns der historische Fehler unterlaufen, zuzulassen, dass die kommerzielle Information überwiegt."

Wie der gebürtige Guatemalteke im Gespräch mit IPS betonte, "ist das Recht auf freie Meinungsäußerung als ein gesellschaftliches Kollektivrecht auf Information zu verstehen, auf das Recht sich zu versammeln und auszudrücken. Es könne als ein Recht der Völker auf eine eigene Kultur, Sprache und auf gemeinsame Werte aufgefasst werden, das mit Mitteln der Kommunikation verbreitet werden müsse.

La Rue bezog Stellung zu etlichen Herausforderungen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung in Lateinamerika gefährden könnten. Als Beispiele führte er die sogenannten 'Zensurgesetze' an, durch die eine Diffamierung staatlicher Funktionäre und die Möglichkeit, Kritik an den Machthabenden zu üben, verhindert werden soll. Es folgen Auszüge aus dem Interview.

IPS: Welche Grundvoraussetzungen müssen die künftigen Telekommunikationsgesetze Lateinamerikas erfüllen?

Frank La Rue: Zum Recht auf freie Meinungsäußerung gehört auch der Schutz der kulturellen Vielfalt. Ich bin der festen Überzeugung, dass es vier Kategorien von Kommunikationsmedien geben sollte, die sich elektromagnetischer Sendefrequenzen bedienen.

Der ersten Kategorie sollten die kommerziellen Radiosender angehören, die mit Hilfe einer Zulassungsbestimmung reguliert werden. In die zweite Kategorie fallen die Gemeinderadios, die trotz geringerer Leistungsfähigkeit die gleichen Rechte wie die kommerziellen Sender haben sollten. In die dritte Gruppe fallen die Kommunikationsmedien der ethnischen Gruppen, die klar definiert werden müssen, und in die vierte die öffentliche Telekommunikation, die ausschließlich dem Staat gehört und nicht einzelnen Regierungen. Für diesen letzten Fall gilt: Es geht nicht um Medien, die von politischen Machthabern kontrolliert werden, sondern um die Verwendung öffentlicher Gelder zugunsten der öffentlichen Medien.

Und es muss zu einer Rückbesinnung auf das öffentliche Wohl kommen. Das ist uns in Lateinamerika im Gegensatz zu Europa leider abhandengekommen, wo es durchaus einige Staaten gibt, in denen die Vision des Allgemeinwohls neuen Auftrieb erhalten hat.

Frequenzen sind Gemeingut, Teil der Natur. Der Staat ist die Anlaufstelle, die festlegen muss, wie sie sich zum Wohl aller regulieren lassen.

IPS: Ist es denn so wichtig, dass das Frequenzspektrum in vier gleiche Teile gegliedert wird?

La Rue: Ein Staat braucht nicht ein Drittel aller Frequenzen, das hat schon Argentinien vorgemacht. Er hat gar nicht die dafür erforderlichen administrativen Kapazitäten. Wohl aber sollte es Reserveplätze für kommunale Frequenzen geben.

Es gilt das Prinzip der Menschenrechte, der Medienvielfalt und des Meinungspluralismus. Über dem Individualrecht des Journalisten steht das humanitäre Recht der Gesellschaft, informiert zu werden.

Dahinter steckt das Wissen, dass Bewohner eines Dorfes eigene Gedankengänge entwickeln können. In diesem Zusammenhang ist die Medienkonzentration gleichbedeutend mit einem Anschlag auf die Demokratie, nicht nur die Menschenrechte, zu sehen.

Worin besteht der Trick? In den Kriterien für die Konzessionsvergabe. Die Nachfrage ist kein ideales Kriterium weil sie die ökonomisch Mächtigen privilegiert. Es muss zu öffentlichen, transparenten und klar geregelten Ausschreibungen kommen.

IPS: Wie sähen die Modalitäten aus?

La Rue: Frequenzen sind Gemeingut, keine Geschenke und auch keine lebenslänglichen Zugeständnisse. Aus diesem Grund muss die Vergabe zeitlich befristet werden.

Derzeit lässt sich ein grundlegendes Muster erkennen. So gibt es Personen und Gruppen, die sich eine Konzession aneignen, sie aber nicht nutzen wollen. Dadurch soll jede Konkurrenz im Keim erstickt werden.

Auch aus diesem Grund ist es wichtig, dass Regelungen greifen, die vorschreiben, in welchen Fällen man Sendefrequenzen vergeben und Konzessionen verlieren kann. Auch muss es eine Obergrenze bei der Vergabe von Frequenzen geben, weil eine unangemessene Akkumulierung dazu führen kann, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Und das darf nicht sein.

IPS: Das führt uns zu einem Thema, das derzeit in Mexiko diskutiert wird. Es geht um die Frage, ob nur die kommerziellen Medien an öffentlichen Werbeanzeigen verdienen dürfen (...)

La Rue: Eine nicht lukrative Institution zu sein, bedeutet nicht, dass man keine Einnahmen erzielen, sondern dass man aus ihnen keinen Profit schlagen darf, sich nicht bereichert.

Der Staat sollte einen Verteilerschlüssel für die Vergabe von öffentlichen Werbeanzeigen haben, der sich an klare Kriterien hält, der Ordnung schafft, ohne die kommunalen Radios zu benachteiligen. Einen Sender zu betreiben, der außerhalb der rechtlichen Normen agiert, darf kein Delikt sein. Wenn man den Werdegang der großen Konsortien nachverfolgen würde, käme man zu der Erkenntnis, dass die Vergabe dieser Konzessionen ebenso wenig in einem rechtlich gesicherten Umfeld erfolgt ist. Das ist nur in Diktaturen oder korrupten Staaten der Fall.

IPS: In Honduras hat die Aufnahme der Regulierung von Inhalten in den Entwurf des Telekommunikationsgesetzes eine heftige Kontroverse ausgelöst (...)

La Rue: Der Staat sollte sich unter keinen Umständen in die Inhalte einmischen. Es gibt legitime Grenzen der freien Meinungsäußerung, die auf den Normen und Prinzipien der Menschenrechte beruhen. Was die Inhalte angeht, würde ich nur der Einschränkung des Fernsehkonsums von Kindern zustimmen.

Es ist wichtig, Mädchen, Jungen und Heranwachsende vor der Darstellung sexueller und pornographischer Akte, also schlecht verstandener Sexualität, zu schützen.

Einschränkungen sollten jedoch die Ausnahme sein und nicht überstrapaziert werden, weil wir dann in das Fahrwasser der Zensur geraten würden. Es gibt immer die Versuchung, in der Stunde der Entscheidung anderen seine Meinung aufzwingen zu wollen.

IPS: Wie sieht es mit dem Internet aus?

La Rue: Das Internet ist ein offener Raum, in dem sich alle frei bewegen können. Von Natur aus befindet es sich außerhalb jeder Kontrollmöglichkeit.

Das Internet ist vor allem eine Frage der Selbstregulierung. Es geht um Fragen wie Professionalität und Ethik, auf die Journalisten und Medien Antworten finden sollten. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://ap.ohchr.org/documents/dpage_s.aspx?m=85
http://www.ipsnoticias.net/2013/06/la-libertad-de-expresion-es-un-derecho-colectivo/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2013