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FRAGEN/034: Afghanistan - Dokumentarfilm über den Alltag der Landbevölkerung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Juli 2013

Afghanistan: Leben in der verbotenen Zone - Dokumentarfilm über den Alltag der Landbevölkerung

von Sudeshna Chowdhury


Bild: © Henrik Bohn Ipsen

Szene aus dem Dokumentarfilm 'My Afghanistan' von Nagieb Khaja
Bild: © Henrik Bohn Ipsen

New York, 28. Juni (IPS) - Eine Bombenexplosion auf einer Straße oder ein Selbstmordanschlag nahe einem Lebensmittelladen sind in Afghanistan keine Seltenheit. Der von Nagieb Khaja gedrehte Dokumentarfilm 'My Afghanistan. Life in the Forbidden Zone', der kürzlich beim Filmfestival der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' in New York gezeigt wurde, entwirft ein Bild von der alltäglichen Gewalt, mit der sich die Dorfbevölkerung konfrontiert sieht.

Bewohner der von Kämpfen erschütterten Provinz Helmand filmen sich selbst mit dem Handy und schildern ihre persönlichen Erlebnisse. Einer von ihnen ist Hakl Sahab, der einen ramponierten Jeep ohne Bremsen fährt. Auch wird der Kampf und die Entschlossenheit einer Afghanin beschrieben, die trotz aller Schwierigkeiten Journalistin werden will.

Im Gespräch mit IPS spricht der dänische Regisseur über seinen Film und den Wunsch, den Zuschauern eine Sicht auf das ländliche Afghanistan vermitteln, die mit der üblichen Medienberichterstattung wenig zu tun hat. Es folgt das Interview in Auszügen:

IPS: Über Afghanistan sind viele Filme gedreht worden. Worum geht es Ihnen in Ihrem Dokumentarstreifen?

Nagieb Khaja: Die großen Publikumsmedien zeigen nicht die ganze Geschichte Afghanistans. Außerdem glaube ich nicht, dass es in der Vergangenheit viele Dokumentarfilme gegeben hat, die das Land aus der Perspektive der Landbevölkerung zeigen. Es gab Dokumentarfilme aus Kabul und über die afghanische Popkultur. Die Menschen in den Dörfern blieben aber außen vor.

IPS: Wie kommt das?

Khaja: Die Gründe, die auf der Hand liegen, sind mangelnde Sicherheit und das große Risiko, gekidnappt zu werden. Helmand ist ländlich geprägt. Um einen Film zu machen, der den Zuschauern ermöglicht, die Personen und deren Alltag genau zu beobachten, müsste ich mit meinem Kameramann mit diesen Menschen zusammenleben und sie überall hin begleiten. Wir alle würden damit große Aufmerksamkeit auf uns ziehen und viele Leben riskieren.

Für Journalisten ist es keine Unmöglichkeit, in diese Gebiete zu fahren und Interviews zu führen. Es kommt auf die Methode an, mit der man den Anforderungen seines Projekts gerecht werden will. Wenn ich als Journalist eine Woche lang in einem Dorf bei einer Familie wohnen würde, bekämen die Leute in der Gegend sofort mit, dass ein Fremder dort eingezogen ist. Die Familie könnte dann beschuldigt werden, fremden Mächten zu helfen, und sie würde in Schwierigkeiten kommen. Alle diese Faktoren stellen große Hindernisse für Dokumentarfilmer dar.

IPS: Warum haben Sie für Ihren Film Mobiltelefone benutzt?

Khaja: Mit einer Videokamera in der ländlichen Region Afghanistans herumzulaufen, ist nicht normal. Viele Leute hier haben aber bereits Mobiltelefone, daher war das nicht so ungewöhnlich, obwohl ich ihnen welche mit Touchscreens gegeben habe, die teurer sind als die Geräte, die sie normalerweise benutzen.

IPS: Welche Bedenken hatten Sie während der Dreharbeiten?

Khaja: Ich machte mir wirklich Sorgen um eine Frau, die in dem Film mitspielte. Dabei ging es nicht nur um ihre unmittelbare Sicherheit, sondern um die möglichen sozialen Folgen ihres Mitwirkens an dem Film. Sie könnte etwa aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Außerdem gab es Sicherheitsrisiken für die Mitwirkenden in Kriegsgebieten.

IPS: Warum haben Sie den Film 'Mein Afghanistan' genannt?

Khaja: Meine Eltern kommen aus Afghanistan. Mein Vater ging erst nach Pakistan und dann nach Deutschland und Dänemark. Ich bin früher schon einmal nach Afghanistan gefahren und wurde dort von Taliban entführt. Etwa ein Fünftel des Films handelt von meinen Erfahrungen in dem Land, die nicht den Darstellungen in westlichen Medien entsprechen. Ansonsten gibt der Film die Sichtweisen der anderen Mitwirkenden wieder.

IPS: Inwieweit war Afghanistan zu Sowjetzeiten anders?

Khaja: Wenn es darum ging, Zivilisten zu bestrafen, gingen die Sowjets sehr brutal vor. Die Infrastruktur und das Bildungswesen waren damals aber viel weiter entwickelt als jetzt. Frauen trugen Röcke und hatten große Freiheiten. Es gab auch weniger Korruption. Inzwischen ist die Gesellschaft in Afghanistan viel konservativer.

Die westlichen Kräfte sind wegen des Terrornetzwerks Al Qaeda ins Land gekommen, und danach kämpften sie gegen die Taliban. Die Sowjets hatten ganz andere Motive und hatten viel mehr davon. Wie ich schon sagte, besteht das Risiko, dass die Gesellschaft in Afghanistan zurückfällt. Und die Weltorganisationen tun nicht genug, weil die USA die Verhandlungen führen. Wir brauchen einen Vermittler.

IPS: Wollen die Afghanen, dass das ausländische Militär so rasch wie möglich abzieht?

Khaja: Die meisten Menschen im Land wünschen sich, dass sich die fremden Truppen zurückziehen. Nicht, weil sie die Taliban unterstützen, sondern weil die Mehrheit der Afghanen niemanden unterstützt, nicht einmal die Regierung. Sie sehen keinerlei Vorteile durch die Anwesenheit von Ausländern und wollen ihre Probleme allein lösen. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://ff.hrw.org/film/my-afghanistan-life-forbidden-zone?city=4
http://www.ipsnews.net/2013/06/qa-through-my-afghanistan-rural-afghans-share-their-stories/

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IPS-Tagesdienst vom 28. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2013