Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → FAKTEN

FRAGEN/040: Malu Dreyer - Die Öffentlich-Rechtlichen sollen ein Spiegelbild der Gesellschaft sein (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2014

"Die Öffentlich-Rechtlichen sollen ein Spiegelbild der Gesellschaft sein"

Gespräch mit Malu Dreyer



Seit gut einem Jahr ist Malu Dreyer Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz und Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder. Über das Verhältnis von Vielfalt, Quote und Qualität im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dessen "Staatsferne" sprach sie mit Thomas Meyer.


NG/FH: Das Land Rheinland-Pfalz hat eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht mit dem Ziel, die gebotene "Staatsferne" des ZDF durch eine Reduzierung der direkten Staatsvertreter in den Aufsichtsgremien des Senders herzustellen. Welche konkreten Anlässe dafür gab es und welche Verbesserungen in der Qualität der Produkte des ZDF erwarten Sie sich davon?

Malu Dreyer: Ausgangspunkt für die Diskussion zum Thema "Staatsferne der Gremien des ZDF" waren die erfolgreichen Bemühungen einiger Vertreter im Verwaltungsrat des ZDF, eine Vertragsverlängerung des damaligen Chefredakteurs Nikolaus Brender zu verhindern. Diese Vorgänge haben zu einer sehr breiten, auch öffentlichen Diskussion über den Umfang staatlichen Einflusses in den Gremien des ZDF, aber auch der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten insgesamt geführt. Diese Diskussion gab meinem Amtsvorgänger, Ministerpräsident a.D. Kurt Beck, Anlass mögliche staatsvertraglichen Änderungen im Kreis der Länder anzuregen, die auf eine Reduzierung der Anzahl politischer Vertreterinnen und Vertreter in Verwaltungs- und Fernsehrat sowie damit einhergehende notwendige Verfahrensänderungen abzielten. Die Vorschläge reichten von einer Verringerung der Zahl der Vertreterinnen und Vertreter des Bundes in den Gremien bis hin zur Begrenzung der Parteienvertreterinnen und -Vertreter. Darüber hinaus war auch angedacht, das bisher notwendige Einvernehmen bei der Berufung von Programm- und Verwaltungsdirektor entfallen zu lassen.

Diese Maßnahmen hätten zu einer deutlichen Reduzierung des staatlichen Einflusses in den Gremien geführt und die Personalverantwortung des Intendanten, wie auch die Unabhängigkeit des Senders nachhaltig gestärkt.

Da diese Überlegungen im Länderkreis jedoch nicht die notwendige Unterstützung fanden, hat das Land Rheinland-Pfalz einen Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, dessen Entscheidung wir in Kürze erwarten.

Um es noch einmal deutlich zu machen: Das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht ist nicht darauf gerichtet, Vertreterinnen und Vertreter von Politik und Parteien aus den öffentlich-rechtlichen Gremien insgesamt zu verbannen. Es geht letztlich darum, eine angemessene Staatsferne in der Zusammensetzung der Aufsichtsgremien in Zukunft zu erreichen. Die Gremien des ZDF, wie auch die der anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, sollen ein Spiegelbild der Gesellschaft sein und dies auch bleiben. Nur so kann gewährleistet werden, dass alle gesellschaftlichen Gruppierungen in den Programmen der öffentlich-rechtlichen Sender zu Wort kommen. Insofern ist die Qualität der Angebote auch davon abhängig, dass über die Programmgremien Vielfalt und eine Vielzahl von Interessen abgebildet werden.

NG/FH: In letzter Zeit wird immer wieder beklagt, zuletzt erneut durch den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, dass die Qualität des deutschen Fernsehens, gerade auch im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer mehr verfällt. Teilen Sie diese Auffassung? Wo ist gegebenenfalls dieser Verfall besonders sichtbar und besonders problematisch?

Dreyer: Ich stelle voran, dass wir uns als Medienpolitiker beim Thema Qualität eine gewisse Zurückhaltung auferlegen sollten, wenn es um konkrete Programminhalte geht und damit um Bereiche, die grundsätzlich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Programmautonomie bei den Rundfunkanstalten den dortigen Gremien beziehungsweise bei den privaten Unternehmen und den dortigen Entscheidern liegen. Aber wir brauchen natürlich die medienpolitische, aber auch die gesamtgesellschaftliche Diskussion über die Qualität, negative Trends und die Entwicklungen der Programme.

Ich bin der Meinung, dass wir in den Mittelpunkt der Debatte stärker rücken müssen, was der "Markenkern" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist. Dazu gehören für mich Information, gute Dokumentation, Ereignisberichterstattung, Kultur, aber auch Unterhaltung, Sport und Satire. ARD und ZDF haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie auch qualitätsvolle Fernsehfilme produzieren können, die beste Unterhaltung sind. Neben der Qualität ist mir wichtig, dass sich alle Altersgruppen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wiederfinden. Alle zahlen ihren Beitrag und deshalb sollte es beispielsweise neben dem Kinderkanal (KiKA) auch ein Angebot für junge Menschen geben, das stärker ihren Nutzungsgewohnheiten entspricht, aber nicht versucht, mit den Formaten der privaten Programme zu konkurrieren.

NG/FH: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein öffentliches Gut, das in seiner Arbeitsweise und in seinen Produkten dem Kultur-, Informations- und Diskussionsbedürfnis einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft dadurch gerecht werden soll, dass er den wirtschaftlichen Marktgesetzen entzogen ist. Ist dieses Ziel gegenwärtig durch die Kontrollgremien und den Rundfunkbeitrag gewährleistet? Viele Kritiker zweifeln daran mit dem Hinweis darauf, dass sie den gleichen Erfolgskriterien unterliegen wie die Privaten. Ist an dieser Kritik etwas Zutreffendes?

Dreyer: Für die Sender ist das Programm oft ein Spagat zwischen Quote und Qualität. Der Vorsitzende der ARD, Lutz Marmor, hat in einem Artikel Mitte vergangenen Jahres bei ZEIT ONLINE den Satz geprägt" Nicht allen Zuschauern muss alles gefallen. Aber allen etwas!". Das heißt: Eine Vielfalt von Angeboten für alle gesellschaftlichen Gruppen sowohl in den Haupt- als auch in den Spartenprogrammen, sodass jeder Nutzer sein persönliches Programm wählen kann. In diesem Artikel hat Herr Marmor jedoch auch selbstkritisch festgestellt, dass das Programm mehr Mut, mehr kreative Formate und mehr Überraschungen braucht, um damit insgesamt an Qualität zu gewinnen.

Ich denke, diesen Mut im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sollten wir als Politik nicht nur unterstützen, sondern auch einfordern. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk verfügt über die notwendigen Rahmenbedingungen, sich diesen Mut leisten zu können.

Eine besondere Rolle kommt in diesem Zusammenhang neben den Programmmachern sicherlich auch den von Ihnen genannten Kontrollgremien zu. Die Gremien haben bereits in der Vergangenheit eine Aufwertung ihrer Funktion erfahren und wir müssen diskutieren, welche Unterstützung sie brauchen, um ihre Rolle gut ausfüllen zu können.

Eine weitere wesentliche Grundlage zur Auftragserfüllung der Anstalten, auch mit Blick auf eine unabhängige Programmgestaltung, ist die von Ihnen angesprochene Sicherung der finanziellen Grundlagen. Dies haben die Länder mit dem Rundfunkbeitragsstaatsvertrag und der Umstellung von der Gebühr hin zum Rundfunkbeitrag gewährleistet. Aufgrund dieses Modellwechsels werden die Rundfunkanstalten auch künftig über die notwendigen Mittel verfügen, die sie für die Erfüllung ihres gesellschaftlichen Auftrages benötigen.

NG/FH: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll ein Gegengewicht gegenüber den Tendenzen der Privaten zur oberflächlichen Unterhaltung und zur Reduzierung der politischen Berichterstattung auf Entertainment, Personalisierung und Ereignisfixierung sein. Ist er das nach Ihrem Urteil? Oder was könnte geschehen, um diese Aufgabe zu stärken?

Dreyer: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk besitzt auch nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine besondere Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung in unserer Gesellschaft wie auch für das Funktionieren unserer Demokratie.

Dazu brauchen die Programme Originalität und Qualität. Hierzu gehört ein journalistisches Profil, das mit Nachrichten, Magazinen, Dokumentationen und Fernsehfilmen die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche insgesamt abbildet.

Hier sehe ich sowohl im Informations-, als auch im Unterhaltungsbereich bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine gute Entwicklung, an der einen oder anderen Stelle Optimierungsmöglichkeiten und Potenzial für die Zukunft. Es gilt aus meiner Sicht, die nach wie vor bestehende große Nachfrage nach gut recherchierten und journalistisch anspruchsvollen Reportagen und Nachrichtenmagazinen zu bedienen. Wichtig ist auch eine journalistisch gut aufbereitete Hintergrundberichterstattung, da erst eine solche die gesellschaftliche und politische Einordnung von Sachverhalten ermöglicht.

Im Unterhaltungsbereich sehe ich auch positive Entwicklungen, etwa mit der Verfilmung historischer Stoffe und von Ereignissen der jüngeren Geschichte. Solche Programmformate finden eine hohe Publikumsakzeptanz, wenn sie ansprechend und gut gemacht sind.

Ich bin der Auffassung, dass Qualität und Quote keine Gegensätze bilden. Auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehört die Quote dazu. Denn Grundversorgung verdient ihren Namen nicht, wenn die Mehrheit der Bevölkerung auf die Angebote der Anstalten nicht mehr zugreift beziehungsweise diese Angebote nicht mehr wahrgenommen werden. Dies bedeutet aber andererseits auch, dass Qualitätsangebote die Chance haben müssen, auf Akzeptanz zu stoßen. Gerade bei Magazinen und Dokumentationen kann dies schwierig werden, wenn anspruchsvolle Sendungen nur noch in Spartenkanälen oder zu sehr späten Zeiten im Hauptprogramm zu finden sind.

*

Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2014, S. 43 - 45
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Kurt Beck,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer und
Bascha Mika
Redaktion: c/o Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin
Hiroshimastraße 17, 10785 Berlin
Telefon: 030/26 935-71 51, -52, -53, Telefax: 030/26 935-92 38
E-Mail: ng-fh@fes.de
Internet: www.ng-fh.de
 
Die NG/FH erscheint monatlich, wobei die Hefte 1+2
und 7+8 im Januar bzw. Juli als Doppelheft erscheinen.
Einzelheft: 5,50 Euro zzgl. Versand
Doppelheft: 10,80 Euro zzgl. Versand
Jahresabonnement: 50,60 Euro frei Haus


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2014