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FRAGEN/053: Tara Lighten Msiska - Feministischer Journalismus mit grosser Wirkung (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Feministischer Journalismus mit grosser Wirkung

Interview mit Tara Ligthen Msiska von Milena Rampoldi, 17. August 2016


Tara Lighten Msiska [1] ist eine Juristin und Freelancejournalistin. Als sie ihr Studium an der Universität Edinburgh abschloss, wurde sie sich dessen bewusst, dass die Welt viel mehr Herausforderungen bietet als ein Gerichtssaal und sie auf diese Weise auch ihre Schreibsucht befriedigen konnte. Sie schreibt unter anderen für Cliterati [2] und Career Addict [3]. Ihren Blog auf MintPress finden Sie unter [4]. Andere Beiträge von Tara erschienen bei Guerilla Policy, the Feminist und Women's Studies Association, Fearless Press, The F Word und The Quail Pipe.

Milena Rampoldi: Was bedeutet für dich feministischer Journalismus und was unterscheidet den feministischen Journalismus vom "offiziellen" Journalismus?

Tara Lighten Msiska: Ich habe nie meine Schriften als feministischen Journalismus gesehen, da ich keinen festen Plan habe, wenn ich schreibe. Ich habe einfach Interesse daran, Tatsachen zu schildern. Auf dieser Grundlage würde ich sagen, dass der feministische Journalismus eine Art von Journalismus ist, in dem von der Wahrheit rund um Angelegenheiten berichtet wird, die unverhältnismäßig stark die Frauen betreffen (z.B. häusliche Gewalt) und die oft alternative Theorien anbieten, um sich den dominanten Ansichten zu widersetzen, welche den Sexismus fördern oder Frauen entwerten.

Um ein Beispiel zu nennen: die Medienerklärungen über Frauen, die sich nicht auf die typischen Themen wie Sex und Terrorismus beziehen, weisen die Tendenz auf, auf das Weibliche ein kindliches oder pathologisiertes Narrativ zu projizieren, das sich nur auf die Frauen und nicht auf die männlichen Protagonisten bezieht (der häufige Partnerwechsel bedeutet bei Männern, dass diese Sex lieben; bei Frauen bedeutet er hingegen, dass sie verstört, in Gefahr sind oder den Sex nutzen, um sich begehrt zu fühlen; männliche Terroristen sind politisch motiviert, während weibliche Terroristinnen ausgenutzt oder psychisch krank sind). Junge, alleinerziehende Mütter und Prostituierte werden auch tendenziell negativ oder im besten Falle eindimensional dargestellt. Ohne ihn schönzureden oder zu übertreiben, könnte der feministische Journalismus diese todmüden Stereotypen der glücklichen Luxushure und der missbrauchten drogensüchtigen Jugendlichen überwinden.

Ich hoffe, dass sich der feministische Journalismus auch fragen wird, warum die Medien Kapital daraus schlagen und dann tatsächlich auch die Missbilligung gegenüber den Prostituierten und den Müttern eines bestimmten Alters oder in einem bestimmten Beziehungsstatus fördern.

Tara, erzähl uns von deiner Arbeit über Sparpolitik und warum es so wichtig ist, über Arbeitslose und Menschen mit Behinderung zu schreiben.

Es ist wesentlich, weil die Erfahrungen und die Unterdrückung von Mitgliedern unserer Gesellschaft, die arbeitslos sind oder unter einer Behinderung leiden, sonst außer Acht gelassen würden. Vor allem würden sie von unseren Regierungen ignoriert. Der Journalismus hat das Potential, einen riesengroßen Unterschied zu machen - obwohl ich nicht den Eindruck habe, dass die Medien ein solches Potential auch wirklich nutzen. Die Medien können die Öffentlichkeit und die Zivilgesellschaft wachrütteln, um Druck auf die Regierungen auszuüben. In Großbritannien sieht es im Moment aber eher danach aus, als verliefe diese Dynamik in die Gegenrichtung. Denn die meisten Mainstreammedien schließen sich dem konservativen Gedankengut an und bauen darauf auf. Von den Selbstmorden und Todesfällen infolge der gefährlichen Reformen des Wohlfahrtsstaates wurde nicht weitgehend berichtet. Noch wurden die 590 zusätzlichen Selbstmorde angesprochen, die von unabhängigen Forschern an den Universitäten entdeckt wurden. Die Demos gegen die Sparprogramme wurden auch runtergespielt oder in den Berichten voreingenommen dargestellt. Ich hoffe, dass ein ausgeglichener Journalismus dazu beitragen kann, die Wahrheit ein wenig zu beleuchten, obwohl dies ein steiler Weg sein wird.

Es ist auch wichtig, sich schädlichen Narrativen von Sozialschmarotzern in bestimmten Boulevardzeitungen und der stets wachsenden schaulustigen "Armutspornographie" in unseren Fernsehprogrammen zu widersetzen. Das BBC Panorama Programm von 1994 mit dem Titel 'Babies on Benefits', das alleinerziehende Mütter der Arbeiterklasse stigmatisierte, war zu jener Zeit kontrovers. Aber die aktuelle Situation ist noch viel schlimmer. Denn nun werden alle Leistungsempfänger als Freiwild gesehen. Und was noch schlimmer ist: die Dämonisierung von Leistungsempfängern unterliegt im Unterschied zu den Vorurteilen gegen Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Geschlechtes und ihrer Religion nicht der Zäsur. Und schon die Kinder konsumieren solches Material.

Für mich persönlich muss der Journalismus ein Journalismus für Menschenrechte sein, da er sonst leer wäre. Was denkst du darüber?

Dem kann ich nur zustimmen.

Welche ist deine persönliche Meinung zum Brexit? Was wird sich ändern?

Ich bin der Meinung, dass der Brexit der Wirtschaft, Sicherheit und dem globalen Einfluss Großbritanniens schaden wird. (Damit will ich aber nicht sagen, dass der Einfluss Großbritanniens unbedingt zu guten Ergebnissen führt. Das gilt auch für alle anderen, wenn sie diplomatischen Einfluss ausüben. Aber ich finde es einfach strategisch dumm, auf den eigenen Einfluss verzichten zu wollen).

Der ESF (Europäischer Sozialfonds) bezahlt für öffentliche Dienstleistungen und auch für Dienstleistungen, die zu Gunsten schwacher, ländlicher und benachteiligter Gemeinschaften erbracht werden. Da die Regierung seiner Politik treu bleibt, die darin besteht, den Wohlfahrtsstaat und das Gesundheitssystem kaputt zu machen, wird dieses Loch nicht gefüllt. Es sieht so aus, als würde die finanzielle, erzieherische und gesundheitliche Schere zwischen den privilegierten und weniger privilegierten Bürgern immer größer. Im Prinzip wurde das Programm der Konservativen nur noch beschleunigt.

Großbritannien erhält Geheimdienstinformationen von den Geheimdienstagenturen der EU, inklusive INTCEN, SitCen, des Stabs des EU-Direktoriums des militärischen Nachrichtendienstes, von Europol und der Terrorismusbekämpfungseinheit. Sobald dieser Austausch von Geheimdienstdaten mal abhandenkommt, ist es wahrscheinlich, dass wir anfälliger für den IS werden.

Wir werden auch im Bereich der Menschenrechte nicht von Seiten des Europäischen Gerichtshofes unterstützt, der in der Vergangenheit verhindert hat, dass Familien zerrissen werden und ermöglicht hat, dass Menschen gegen Diskriminierung und die ungerechte Verweigerung von Sozial- oder Wohnsitzleistungen verteidigt werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkannte uns vor kurzem das Recht an, "vergessen zu werden". Dieser Schutz gilt nur für Bürger mit EU-Wohnsitz. Dies bedeutet, dass Google keine "irrelevanten Hits" von ihnen mehr anzeigen darf, die für ihren Ruf peinlich sind oder diesem schaden können. Obwohl der Racheporno (Nacktphotos, die ohne die Erlaubnis der Person online veröffentlicht werden, normalerweise seitens eines Ex-Partners) nun als Vergehen gilt, sind andere schädliche Google-Hits schwer oder unmöglich zu entfernen, obwohl sie, im Gegensatzung zu den Rachepornos, beleidigend sind oder Ihrem beruflichen Ansehen schaden.

Das Ergebnis des Ganzen wäre somit, dass wir weniger Schutz unserer Menschenrechte haben, mehr für öffentliche Dienste ausgeben, weniger Wohlfahrtsdienste und auch noch weniger globalen diplomatischen Einfluss genießen. Großbritannien wird dann noch mehr auf die USA und möglicherweise auf die NATO zurückkommen müssen, um die EU-Leere zu füllen. Wir werden auch viel Zeit und Geld brauchen, um vielen verschiedenen Ländern zu hofieren, damit diese Handelsabkommen mit uns treffen. Wir könnten dazu gezwungen werden, uns noch mehr an den Anforderungen der USA zu orientieren als wir es schon tun. Und wir wären ein leichteres Ziel für Terroristen.

Warum hast du entschieden, deinen großartigen Artikel über die Vergewaltigung in Katar zu schreiben? Welche sind die Hauptzielsetzungen, die du verfolgen wolltest, als du ihn geschrieben hast?

Meiner Meinung nach sind zahlreiche westliche Medienberichte über Ereignisse außerhalb der westlichen Welt (was ja vielleicht auch wenig überrascht) aus westlicher Perspektive verfasst. Während dies vielleicht in gewisser Hinsicht für das Publikum angemessen sein könnte, trifft es aber oft nicht die wichtigsten Themen. Bezugnehmend auf den Umgang der Golfstaaten mit der Vergewaltigung findet ein westliches Publikum natürlich eine Fokussierung auf die Erfahrungen der Touristinnen interessanter und hilfreicher. Dies verdunkelt aber die Realität, dass die vergewaltigten Frauen vor Ort schlechter behandelt werden als die Touristinnen. Denn die Mehrheit der Opfer des Rechtssystems in Katar sind mit Sicherheit die einheimischen Frauen. Denn diese ist die alltägliche Realität der Bevölkerungen in den Golfstaaten. Aber sie kommt nur in die westlichen Nachrichten, wenn ein Ausländer betroffen ist. Und sogar dann werden die Kämpfe der Menschen im Golf ignoriert. Der Fokus verschiebt sich auf die potentiellen Risiken für (westliche) Touristen, obwohl sie am wenigsten davon betroffen sind, sei es aufgrund der Wahrscheinlichkeit als auch des Schutzes der ausländischen Staatsbürgerschaft. Damit möchte ich auf keinen Fall die sexuellen Angriffe gegen Touristinnen herunterspielen, sondern betonen, dass es sich um keine angemessene oder balancierte Berichterstattung handelt, wenn man die Angelegenheit der inhaftierten Vergewaltigungsopfer im Nahen Osten erst thematisiert, wenn eine Touristin betroffen ist.

Das Ziel, das ich mit diesem Artikel verfolgt habe, bestand darin aufzuzeigen, dass diese Erfahrung für die Frauen in den Golfstaaten zum Alltag gehört und dass ihre Probleme unerkannt bleiben und über sie nicht berichtet wird. Sie haben keine Botschaft, die sich für sie einsetzt. Gegen sie ergehen härtere Peitschenhiebe- oder Gefängnisurteile. Denn sie kommen nicht einfach durch Begnadigung oder Ausweisung frei. Ich möchte nicht, dass die einheimischen Frauen einfach vergessen werden, weil man auf die Angst fokussiert "Wird das auch mir passieren, wenn ich in den Nahen Osten reise?" Die westliche Angst und Faszination hinsichtlich des Rechtssystems in Katar und dessen Kultur tragen keineswegs dazu bei, das Bewusstsein für die Erfahrung jener zu erwecken, die dort leben.

Wie, glaubst du, kann die Vernetzung alternativer Medien dazu beitragen, eine bessere und tolerantere Gesellschaft aufzubauen?

Ich habe keine Ahnung, aber wenn jemand rausfinden könnte, wie man das realisieren könnte, so wäre das großartig. Die Statistiken zeigen, dass Menschen sich mehr und mehr der Einseitigkeit und der unzureichenden Berichterstattung der Mainstreammedien, sei es auf lokaler als auch auf globaler Ebene bewusst sind. Daher wenden sie sich den alternativen Medien zu. So ist das genau der richtige Zeitpunkt für diese Vernetzung!


Über die Autorin

Dr. phil. Milena Rampoldi ist freie Schriftstellerin, Buchübersetzerin und Menschenrechtlerin. 1973 in Bozen geboren, hat sie nach ihrem Studium in Theologie, Pädagogik und Orientalistik ihren Doktortitel mit einer Arbeit über arabische Didaktik des Korans in Wien erhalten. Neben ihrer Tätigkeit als Sprachlehrerin und Übersetzerin beschäftigt sie sich seit Jahren mit der islamischen Geschichte und Religion aus einem politischen und humanitären Standpunkt, mit Feminismus und Menschenrechten und mit der Geschichte des Mittleren Ostens und Afrikas. Sie wurde verschiedentlich publiziert, mehrheitlich in der deutschen Sprache. Sie ist auch die treibende Kraft hinter dem Verein für interkulturellen und interreligiösen Dialog Promosaik www.promosaik.com


Anmerkungen:
[1] https://twitter.com/Slutocrat
[2] http://www.cliterati.co.uk/author/slutocracy/
[3] http://www.careeraddict.com/en/bloggers/367695/tara.msiska
[4] http://slutocracy.wordpress.com/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2016

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