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FRAGEN/082: Álvaro Orús zu seinem Dokumentarfilm "Der Anfang vom Ende der Atomwaffen" (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Es gibt keine Rechtfertigung mehr für Atomwaffen - sie abzuschaffen kann uns die Zukunft öffnen

Von Juana Pérez Montero, 16. Oktober 2019



Porträtaufnahme des Regisseurs - Bild: © Brigitte Cano, Pressenza New York

Álvaro Orús
Bild: © Brigitte Cano, Pressenza New York

Anlässlich der Premiere des Dokumentarfilms "Der Anfang vom Ende der Atomwaffen" [1] in Madrid, haben wir ein Interview mit dem Regisseur Álvaro Orús geführt. Das Interview bezieht sich auf die Doku sowie auf die aktuelle Situation bezüglich des Atomwaffenverbotsvertrags.

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Pressenza: Álvaro, dieser Dokumentarfilm wird sehr positiv aufgenommen. Das konnten wir bei der Premiere in Chile und in New York feststellen. Es scheint, als wenn dem Publikum die Augen geöffnet würden.

Álvaro Orús: Ja. Seit den 80er Jahren, seitdem der antinukleare Pazifismus sehr stark geworden ist, sieht es so aus, als ob das Thema nicht mehr angesprochen wird und die Frage aus den Medien und der öffentlichen Diskussion verschwunden wäre. Aber die Waffen sind immer noch da und die enorme Gefahr ihrer bloßen Existenz.

Der Dokumentarfilm erzählt von der Geschichte der Atomwaffen bis hin zu der Unterzeichnung des Verbotsvertrags (TPNW).

Das fängt mit der Tatsache an, dass die Mehrheit der Länder durch die Atomwaffen nicht "geschützt" werden; dennoch teilen sie das Risiko des Schadens, den sie verursachen könnten. Artikel VI des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, welches von den großen Atommächten unterschrieben worden ist, verpflichtet die Unterzeichner zu aufrichtigen Fortschritten bei der Abrüstung. Dennoch finden seit Jahrzehnten keine Fortschritte mehr statt. Andererseits einigen sich innerhalb der Vereinigten Nationen eine Reihe von Ländern darauf, ein Verbot verschiedener Arten von Waffen umzusetzen - wie beispielsweise Antipersonenminen und Streubomben. Das Verbot kam auch ohne die Unterstützung der Großmächte zustande. In diesem Zusammenhang erhält die Initiative IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges - Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.) zunehmend Unterstützung. Die Teilnahme der Gesundheitsorganisationen (wie zum Beispiel die des Roten Kreuzes) und der Überlebenden der Hiroshima Katastrophe gibt eine andere Art von humanitärem Ansatz im Vergleich zum bisherigen strategischen Sicherheitsdenken. Als die Initiative Gestalt annahm, versuchten die Besitzerländer, sie zu boykottieren. Das stärkt jedoch den Willen der gesamten Gruppe, die entschlossen ist, die Spielregeln zu ändern. Der Triumph der Abstimmung von 2017 (122 Länder haben zugestimmt), die Prestigesteigerung sowie die Vergabe des Friedensnobelpreises erwecken den Eindruck, dass der TPNW erfolgreich sein kann. Der Abstimmung folgen Ratifizierungen und diplomatische, politische, soziale und finanzielle Anstrengungen ..., an allen Fronten, um den Verbotsvertrag beim Inkrafttreten zu unterstützen und die Stigmatisierung von Atomwaffen mit der tatsächlichen Abschaffung zu beenden.

Es ist eine Möglichkeit, die Unterzeichnung, Ratifizierung und das Inkrafttreten des Vertrags zu unterstützen. Dennoch gibt es Abkommen, die in Kraft treten und trotzdem nicht respektiert werden oder von bestimmten Mitgliedsstaaten verlassen werden, wie man beobachten kann ...

Obwohl das Abkommen nur dann rechtlich gültig ist, wenn er von 50 Ländern von einer Gesamtheit von 122 ratifiziert wird, so ist er dennoch nur für diejenigen Länder verbindlich, die tatsächlich unterschrieben haben. Im Fall des Verbots der Antipersonenminen und der Streubomben, das wir erwähnt haben, konnte eine wirkliche Beseitigung erreicht werden - und zwar ohne, dass die großen Mächte es unterzeichnen mussten. Dies wurde dank der Stigmatisierung möglich. Diese Waffen werden nicht mehr als Symbole für Macht und Prestige angesehen, sondern als illegale Mittel betrachtet, welche für die Kriegsverbrecher und kriminelle Geschäfte typisch sind. Genau dies ist der Grund, warum das Problem nicht nur von der UN gelöst werden kann. Es bedarf einer Sensibilisierung und einer Anklage derjenigen, welche die Atomwaffen unterstützen und finanzieren. Man muss sich öffentlich zu dem Verbot äußern und eine politische und soziale Debatte in Gang setzten.

In Spanien wird öffentlich nicht über das Thema gesprochen, wie steht unser Land zu dem Abkommen?

Spanien hat den Verbotsvertrag nicht unterzeichnet, ebenso wenig wie andere NATO-Mitglieder. Zumindest fürs Erste. Im Moment sieht es so aus, dass der amtierende Präsident - Pedro Sánchez - zwar versprochen hat, dass der Vertrag unterschrieben wird, dieses Versprechen dennoch nicht eingehalten hat. Bereits vor über einem Jahr haben mehr als 90 Abgeordnete die Verbotskampagne unterzeichnet. Wir wissen, dass viele gewählte Vertreter aus dem gesamten politischen Spektrum sie aus Gewissensgründen unterstützen. Zahlreiche Städte haben ebenfalls die Zustimmung für das Abkommens gegeben und drängen die Regierung dazu, es zu unterzeichnen. Wir können nur hoffen, dass sich die Zahl der Städte vergrößern wird.

Wir sind fest davon überzeugt, dass die große Mehrheit der spanischen Bevölkerung gegen die Existenz der Atomwaffen ist. Deswegen fordern wir unsere Politiker auf, sich dem Willen des Volkes anzuschließen.

An dieser Stelle möchte ich die Aussagen mit dem vom ICAN veröffentlichten Dokument "Spanien und der UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen" hervorheben:

Spanien ist internationalen Verträgen beigetreten, die biologische Waffen, chemische Waffen, Landminen und Streumunition verbieten, und zwar aufgrund der unmenschlichen und willkürlichen Auswirkungen dieser Waffen auf die Zivilbevölkerung.

Spanien besitzt keine Atomwaffen. Im Rahmen des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT) aus dem Jahre 1968 ist auch deren Anschaffung verboten. Darüber hinaus verfolgt das Land seit langem eine Politik gegen die Stationierung amerikanischer Atomwaffen auf spanisches Territorium. Im Jahr 1986, als das spanische Volk entscheiden musste, ob es Mitglied der NATO bleiben will oder nicht, basierte die Abstimmung ausdrücklich auf der Aufrechterhaltung des Verbots der Stationierung von Atomwaffen auf spanischem Boden. Spanien bleibt weiterhin frei von Atomwaffen, obwohl später die Gültigkeit eines solchen Verbots in Frage gestellt wurde. Dementsprechend erfüllt Spanien bereits die Mehrheit der Verbote, die im TPNW enthalten sind.

Der Dokumentarfilm endet mit einem Hauch von Hoffnung ...

Die Absicht des Dokumentarfilms ist es nicht, das Bewusstsein für das Problem zu einer schweren Belastung für den Zuschauer zu machen. Vielmehr soll es zu Ergebnissen führen, um zu zeigen, dass sich die Situation ändern kann. Darüber hinaus soll gezeigt werden, in welcher konkreten Weise jede Person zu diesem Wandel beitragen kann. Die Atomwaffen sind nicht mehr zu rechtfertigen. Sie sind illegal, wahllos und äußerst grausam. Unsere Sensibilität lässt es nicht mehr zu, dass diese Gewehre auf die Köpfe der Menschen zielen. Aber vielleicht wird aus der Bekämpfung einer der dunkelsten Aspekte und Kräfte der Menschheit etwas Neues in der Weltordnung entstehen, das in der Lage ist, uns die Zukunft zu öffnen.


Die Übersetzung aus dem Spanischen wurde von Ioana Pavel aus dem ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt.

Trailer zum Film:
https://youtu.be/xmSNND0oJ1E


Über die Autorin

Juana Pérez Montero, Journalistin und Dokumentarsprecherin, ist Aktivistin und Redakteurin von Pressenza in Spanien.


Anmerkung:
[1] http://theendofnuclearweapons.com/languages/der-anfang-vom-ende-der-atomwaffen/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2019

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