Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → FAKTEN

MELDUNG/246: Zwei neue Bücher zu Journalisten und Zeitungen in der DDR (idw)


Ludwig-Maximilians-Universität München - 19.04.2011

"Fiktionen für das Volk" - Zwei neue Bücher zu Journalisten und Zeitungen in der DDR


Wasserträger des Regimes, Weiterleiter und willfährige Propagandisten: Das Urteil über DDR-Journalisten ist längst gefällt, nicht zuletzt auch, weil sie ihrem Publikum oft genug unglaubwürdige und schlicht unlesbare Zeitungen zumuteten. Die LMU-Kommunikationswissenschaftler Professor Michael Meyen und Anke Fiedler haben nun mit "Fiktionen für das Volk" und "Die Grenze im Kopf" gleich zwei Bücher herausgegeben, in denen sie sich um eine etwas differenziertere Herangehensweise bemühen. "Ausschlaggebend war für uns, dass es auch 20 Jahre nach der Vereinigung keine Geschichte des Journalismus in der DDR gibt, also auch keine systematische Studie über diejenigen, die die Ideologie für den Tag übersetzt und unter die Leute gebracht haben", sagt Meyen. "Dabei bezweifelt wohl niemand, dass der Herrschaftsanspruch der SED ausschließlich ideologisch begründet wurde. Ebenso unbestritten dürfte sein, dass die Unzufriedenheit mit der Informationspolitik der Partei- und Staatsführung eine der stärksten Wurzeln für den 89er Herbst war. Schon nach wenigen Gesprächen mit ehemaligen DDR-Journalisten wurde uns klar, dass sich hier ganz unabhängig vom konkreten Projektziel ein neues Forschungsfeld auftut."

"So eine Diktatur ist in allen Berufen schlimm, aber in keinem so beschämend wie bei uns", wird Hans-Dieter Schütt, ehemals Chefredakteur der Jungen Welt, in "Die Grenze im Kopf. Journalisten in der DDR" zitiert. Meyen und Fiedler, beide Kommunikationswissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, lassen in diesem Buch Menschen zu Wort kommen, die entweder in den Redaktionen oder im "Apparat" - den Parteivorständen, im Presseamt, in der Abteilung Agitation des Zentralkomitees (ZK) der SED und in der Agitationskommission - Verantwortung getragen hatten und das einordnen sollten, was bei Inhaltsanalysen und Aktenstudium herausgekommen war.

Mehr als 30 Gespräche und Lebensgeschichten zeigen, wie wichtige Personen des DDR-Journalismus ihren Weg in den Beruf fanden, welches Bild sie von ihrer Tätigkeit und ihren Einflussmöglichkeiten hatten, welche Rahmenbedingungen und Atmosphären ihren Arbeitsalltag prägten. Günther Böhme etwa leitete einige Jahre den Außenpolitik-Teil von Neues Deutschland und erinnert sich: "Das war kurios, vor allem in der Anerkennungsphase. Wer die DDR anerkannte, sollte absolut positiv dargestellt werden. Selbst die finstersten Länder .... selbst die Redakteure haben gesagt: Solchen Scheiß soll ich schreiben? Viele waren total unzufrieden."

Die Zeitungen selbst - neben Neues Deutschland auch Neue Zeit sowie Junge Welt und Der Morgen - werden in "Fiktionen für das Volk: DDR-Zeitungen als PR-Instrument" unter die Lupe genommen. "Natürlich kann und will dieses Buch das Bild der DDR-Tagespresse nicht revolutionieren" so die Herausgeber. "Wer nach den bewährten Klischees sucht, wird auch in den Untersuchungen fündig, die hier präsentiert werden. So waren alle vier untersuchten Zeitungen stark politisiert und gerade auf den ersten Seiten oft kaum journalistisch mit langweiligen Überschriften, Schlagworten und Parolen. Der Leser bekam dabei wenig Persönliches, Katastrophen oder anderes, das ihn wirklich interessiert hätte." Ganz fehlten unter anderem Informationen über die reale Lage in der Volkswirtschaft, über die Stimmung im Land oder über Künstler und Sportler, die in Ungnade gefallen waren. Dennoch veränderte sich die DDR-Presse im Laufe der Zeit in der Themenauswahl und im Tonfall, wie das Buch zeigen kann. So wurden etwa Angriffe gegen die BRD nach dem Mauerbau und dann nach Grundlagenvertrag und UNO-Beitritt von eher allgemeiner und deutlich gemäßigter Kapitalismuskritik abgelöst. "Die Geschichte der DDR-Tagespresse ist noch lange nicht aufgearbeitet", sagt Meyen. "Wir haben jetzt einen wichtigen Beitrag dafür geliefert, zu verstehen, warum und wie diese Blätter einst zum Alltag der Menschen in Ostdeutschland gehörten." (suwe)

Publikationen:

Fiktionen für das Volk: DDR-Zeitungen als PR-Instrument
Anke Fiedler, Michael Meyen (Hrsg.)
Lit Verlag, 331 Seiten, 29. März 2011
ISBN: 978-3643110770

Die Grenze im Kopf. Journalisten in der DDR
Michael Meyen, Anke Fiedler (Hrsg)
Panama Verlag, 400 Seiten, 20. Dezember 2010
ISBN: 978-3938714164

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution114


*


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ludwig-Maximilians-Universität München, Luise Dirscherl, 19.04.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2011