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MELDUNG/668: Forschung Frankfurt - Die Erde vermessen, um einen gerechten Blick auf sie zu werfen (idw)


Goethe-Universität Frankfurt am Main - 15.07.2015

Die Erde vermessen, um einen gerechten Blick auf sie zu werfen

Klimaschutz, Wassermodellierung und Gerechtigkeit aus der Sicht eines Philosophen und einer Hydrologin. Beitrag in der soeben erschienenen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Forschung Frankfurt".


FRANKFURT. Höchstens zwei Grad mehr, darüber wird es wirklich gefährlich für unseren Planeten. Darin sind sich die Experten einig. Zwei Grad mehr als in vorindustriellen Zeiten. Dies Ziel klingt einfach und klar. Doch es zu erreichen ist eine sowohl politisch-moralische als auch wissenschaftlich-technische Herausforderung. Das zeigen Gespräche, die der Philosoph und Publizist Dr. Rolf Wiggershaus mit dem politischen Philosophen und Gerechtigkeitsforscher Prof. Dr. Darrel Moellendorf und der Hydrologin Prof. Dr. Petra Döll geführt hat. Nachzulesen ist dies in der neuesten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Forschung Frankfurt" (1/2015), in dem sich Wissenschaftler verschiedener Disziplinen mit dem Thema "Messen und Vermessen" beschäftigen.


Der Klimawandel, seine Ursachen und Folgen, sind erst seit den 1990er Jahren zu einem zentralen Thema geworden. Während des Aufstiegs der euro-atlantischen Industrieländer seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Zusammenhang zwischen dem Ausstoß von Treibhausgasen und Klimaänderung noch nicht als etwas Bedrohliches wahrgenommen. Ende des 19. Jahrhunderts erwartete der schwedische Chemiker Svante Arrhenius von einer globalen Erwärmung durch Verdopplung der CO2-Menge in der Luft gleichmäßigere und bessere klimatische Verhältnisse und schlug sogar vor, Kohleflöze anzuzünden, um die Erwärmung zu beschleunigen. Daher auch der ursprünglich positiv klingende Ausdruck "Treibhauseffekt".

Doch solche Fehleinschätzungen ändern nichts daran - so Moellendorf, der auch ein Teilprojekt beim Frankfurter Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen" leitet -, dass die entwickelten Länder ihren Wohlstand und ihre starke Position einer langen Phase anthropogener Treibhausgas-Emissionen verdanken. Das verpflichtet sie dazu, soziale Verantwortung und die Hauptlast des Klimaschutzes zu übernehmen. "Ob das Ziel einer Begrenzung der Erwärmung auf zwei Grad moralisch glaubwürdig ist", meint Moellendorf, "hängt zum Teil von den Auswirkungen des Plans zur Schadensminimierung auf die Armen der Welt ab, die einen begründeten Anspruch auf die Steigerung ihres Energieverbrauchs haben, um der Armut zu entkommen."

Dass die Armen der Welt die Folgen des Klimawandels immer massiver zu spüren bekommen, machte die Fotoausstellung "The Human Face of Climate Change" in den Räumen des Forschungskollegs Humanwissenschaften in Bad Homburg deutlich. Die Bilder des Schweizer Künstlerpaars Mathias Braschler und Monika Fischer - drei sind auch großformatig in "Forschung Frankfurt" abgebildet - zeigen Menschen verschiedener Länder voller Würde in den Ruinen ihrer Lebensgrundlage. Nichts könnte beeindruckender die Dringlichkeit der Eindämmung des Klimawandels vor Augen führen. Selbst wenn die Zwei-Grad-Grenze nicht überschritten würde, schmölzen weiterhin Gletscher, stiegen die Meeresspiegel und drohten Dürren, Tropenstürme und Verlust an Biodiversität.

Mit Mitteln ihrer Wissenschaft sucht die Hydrologin Petra Döll mit ihrem Team zu beleuchten, wie dringlich es ist, den Klimawandel einzudämmen, indem sie dessen Auswirkungen auf die Wasserressourcen der Erde quantitativ abschätzt. Diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Institut für Physische Geographie der Goethe-Universität stellen sich der Komplexität und den Herausforderungen dieses Themas. Sie beschäftigen sich seit Langem damit, den Wasserkreislauf auf den Landflächen der Erde zu berechnen und zu modellieren. Außerdem schauen sie, wie dieser durch Menschen beeinflusst wird - beispielsweise durch Staudämme oder Bewässerungsmaßnahmen - und zu welchen Veränderungen der globale Klimawandel je nach Intensität führt. Den Akteuren bei den internationalen Klimaverhandlungen und letztlich uns alle möchte Petra Döll deutlich machen, was es bringt, weniger Treibhausgase zu emittieren, beziehungsweise was für Folgen es haben kann, wenn die Reduktionen zu gering ausfallen: "Wenn, wie in vielen Gebieten prognostiziert, der Niederschlag bei gleichzeitig steigenden Temperaturen abnimmt und Nahrungsmitteln nur noch mit (mehr) Bewässerung angebaut werden können, - werden dann die Flüsse überhaupt noch genug Wasser führen?"

Döll betreibt globalskalige Forschung, weil auf unserer Erde alle Probleme globale Probleme sind. "Ob in Indien nachhaltig gewirtschaftet werden kann, hängt mit unserem Konsum hier in Deutschland zusammen. Denn um weltweit gehandelte Güter herzustellen, sind meist große Mengen Wassers nötig, vor allem bei Nahrungsmitteln und Baumwolle. Das ist der Grund für all die Berechnungen, die wir anstellen: ein genaueres Bild von der Welt zu bekommen, das uns bei unseren Entscheidungen hilft." Messen und Berechnen, Modellierungen und Computersimulationen, die Ausarbeitung möglicher künftiger Szenarien und die Visualisierung durch anamorphe Weltkarten - all das scheint nötig und unvermeidlich geworden zu sein angesichts eines Planeten, auf dem menschliches Handeln das Ende natürlicher Selbstregulation herbeigeführt hat. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Petra Döll und Darrel Moellendorf möchten dazu beitragen, dass der globale "vermessende" Blick auf die Erde und die sie bewohnenden Menschen zugleich ein "gerechter" ist.


Die aktuelle Ausgabe von "Forschung Frankfurt" kann kostenlos bestellt werden: ott@pvw.uni-frankfurt.de. Im Internet steht sie unter:
www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de.

Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 gegründet mit rein privaten Mitteln von freiheitlich orientierten Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern fühlt sie sich als Bürgeruniversität bis heute dem Motto "Wissenschaft für die Gesellschaft" in Forschung und Lehre verpflichtet. Viele der Frauen und Männer der ersten Stunde waren jüdische Stifter. In den letzten 100 Jahren hat die Goethe-Universität Pionierleistungen erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Chemie, Quantenphysik, Hirnforschung und Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Heute ist sie eine der zehn drittmittelstärksten und drei größten Universitäten Deutschlands mit drei Exzellenzclustern in Medizin, Lebenswissenschaften sowie Geisteswissenschaften."

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution131

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Dr. Anne Hardy, 15.07.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2015

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