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MELDUNG/1097: Menschen- und Bürgerrechtler:innen in tiefer Sorge um Pressefreiheit wegen anhaltender Verfolgung von Julian Assange (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Brandbrief an US-Justizministerium

Menschen- und Bürgerrechtler:innen in tiefer Sorge um Pressefreiheit wegen anhaltender Verfolgung von Julian Assange

von FreeAssange.eu, 21. Oktober 2021


Eine breite Koalition aus namhaften Organisationen für Menschen- und Bürgerrechte sowie für Pressefreiheit, darunter Amnesty International, Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen, wandte sich am 15. Oktober 2021 erneut mit einem dringenden Schreiben an den US-Justizminister Merrick Garland (Democratic Party). Sie sehen eine extreme Gefahr für die Pressefreiheit, die von der anhaltenden Verfolgung des WikiLeaks-Journalisten Julian Assange ausgeht. Durch seine Verfolgung droht eine Kriminalisierung ganz regulärer journalistischer Tätigkeiten, die sich bereits jetzt auf die Pressefreiheit weltweit auswirkt. Im Februar 2021 hatten sie deswegen einen ersten Brief an das US-Justizministerium geschrieben.

Am 27. und 28. Oktober 2021 wird der High Court in London in Berufungsanhörungen über eine von den USA geforderte Auslieferung von Julian Assange entscheiden. Am 4. Januar 2021 hatte Bezirksrichterin Vanessa Baraitser eine Auslieferung abgelehnt, da in diesem Fall ein Suizid von Julian Assange nach Einschätzung verschiedener unabhängiger Experten nahezu unausweichlich erfolgen würde.


Im folgenden dokumentieren wir das aktuelle Schreiben in deutscher Übersetzung:

U.S. Department of Justice
950 Pennsylvania Avenue, NW
Washington, DC 20530-0001

15. Oktober 2021

Sehr geehrter Herr Justizminister Merrick Garland,

wir, die unterzeichnenden Organisationen, die sich für Pressefreiheit, Bürgerrechte und internationale Menschenrechte einsetzen, schreiben erneut, um unserer tiefen Besorgnis über das laufende Straf- und Auslieferungsverfahren gegen den WikiLeaks-Gründer Julian Assange unter dem Espionage Act (US-Spionagegesetz) und dem Computer Fraud and Abuse Act (US-Gesetz gegen Computerbetrug und -missbrauch)[1] Ausdruck zu verleihen.

Im Februar schrieben Mitglieder dieser Koalition an den amtierenden Justizminister und forderten, dass die strafrechtlichen Anklagen gegen Herrn Assange fallen gelassen werden.[2] Angesichts eines kürzlich veröffentlichten Berichtes in den Yahoo News, der alarmierende Diskussionen innerhalb der CIA und der Trump-Regierung vor der Einreichung der Anklage gegen Assange beschreibt, erneuern wir nun diese Aufforderung mit noch größerer Dringlichkeit.[3] Der Yahoo News-Bericht verstärkt nur unsere Besorgnis über die Beweggründe für diese Strafverfolgung und über den gefährlichen Präzedenzfall, der geschaffen wird.

Wie wir in unserer früheren Korrespondenz angemerkt haben, haben die Unterzeichner dieses Briefes unterschiedliche Sichtweisen auf Herrn Assange und seine Organisation. Wir sind uns jedoch einig, dass das Strafverfahren gegen ihn eine große Bedrohung für die Pressefreiheit sowohl in den Vereinigten Staaten als auch im Ausland darstellt. Wir waren enttäuscht darüber, dass das Justizministerium gegen die Entscheidung von Richterin Vanessa Baraitser vom Westminster Magistrates' Court, den Auslieferungsantrag der Trump-Regierung abzulehnen, Berufung eingelegt hat.[4] Insbesondere angesichts des jüngsten Nachrichtenberichts bitten wir Sie dringend, die Berufung zurückzuziehen und die zugrundeliegende Anklage fallen zu lassen.

Wie wir in unserem früheren Schreiben erklärt haben, gehören für Journalisten viele der in der Anklageschrift beschriebenen Handlungsweisen zu ihrem routinemäßigen Vorgehen: Gespräche mit Informationsgebern führen, um nähere Angaben oder weitere Unterlagen bitten und Staatsgeheimnisse entgegennehmen und veröffentlichen. Nachrichtenunternehmen veröffentlichen häufig und notwendigerweise geheime Informationen, um die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von großer öffentlicher Bedeutung zu informieren. Wir verstehen, dass die Regierung ein legitimes Interesse daran hat, Belange der nationalen Sicherheit zu schützen, aber das Verfahren gegen Herrn Assange gefährdet den Journalismus, der für die Demokratie von entscheidender Bedeutung ist. Unserer Ansicht nach könnte ein Präzedenzfall, der durch die strafrechtliche Verfolgung von Assange geschaffen wird, gegen Verleger und Journalisten eingesetzt werden und deren Arbeit beeinträchtigen und die Pressefreiheit untergraben.

Große Nachrichtenorganisationen teilen diese Sorge. Die Anklagen gegen Assange werden von praktisch allen großen amerikanischen Nachrichtenunternehmen verurteilt[5], obwohl viele von ihnen Herrn Assange in der Vergangenheit kritisiert haben.

In Anbetracht dieser Bedenken und angesichts des schockierenden neuen Berichts über das Verhalten der Regierung in diesem Fall, fordern wir Sie mit allem Respekt auf, die laufende Berufung gegen die Entscheidung von Richterin Baraitser fallen zu lassen und die Anklage gegen Herrn Assange zurückzuziehen.

Hochachtungsvoll

(in alphabetischer Reihenfolge)

Access Now
American Civil Liberties Union
Amnesty International USA
Center for Constitutional Rights
Committee to Protect Journalists
Defending Rights & Dissent
Demand Progress Education Fund
Electronic Frontier Foundation
Fight for the Future
First Amendment Coalition
Free Press
Freedom of the Press Foundation
Human Rights Watch
Index on Censorship
Knight First Amendment Institute at Columbia University
National Coalition Against Censorship
Open The Government
Partnership for Civil Justice Fund
PEN America
Project on Government Oversight
Reporters Without Borders
RootsAction.org
The Press Freedom Defense Fund of First Look Institute
Whistleblower and Source Protection Program (WHISPeR) at ExposeFacts

Mit herzlichem Dank an die Übersetzerin Rada Lazic.

Weitere Informationen, wie Sie Julian Assange unterstützen und sich für die Pressefreiheit einsetzen können, sind unter FreeAssange.eu zu finden.


Anmerkungen:

[1] "WikiLeaks Founder Julian Assange Charged in 18-Count Superseding Indictment." Department of Justice. May 3, 2019.
https://www.justice.gov/opa/pr/wikileaks-founder-julian-assange-charged-18-count-superseding-indictment
and "WikiLeaks Founder Charged in Superseding Indictment." Department of Justice. June 24, 2020.
https://www.justice.gov/opa/pr/wikileaks-founder-charged-superseding-indictment

[2] Savage, Charlie. "Civil-Liberties Groups Ask Biden Justice Dept. to Drop Julian Assange Case." The New York Times. February 8, 2021.
https://www.nytimes.com/2021/02/08/us/politics/julian-assange-indictment.html

[3] Dorfman, Zach; Naylor, Sean D.; Isikoff, Michael. "Kidnapping, assassination and a London shoot-out: Inside the CIA's secret war plans against WikiLeaks." Yahoo News. September 26, 2021.
https://news.yahoo.com/kidnapping-assassination-and-a-london-shoot-out-inside-the-ci-as-secret-war-plans-against-wiki-leaks-090057786.html?guccounter=1

[4] Order of District Judge (Magistrates' Court) Vanessa Baraitser In the Westminster Magistrates' Court, January 4, 2021.
https://www.judiciary.uk/wp-content/uploads/2021/01/USA-v-Assange-judgment-040121.pdf

[5] Fassett, Camille. "Press freedom advocates and news outlets strongly condemn new charges against Julian Assange." Freedom of the Press Foundation. May 24, 2019.
https://freedom.press/news/press-freedom-advocates-and-news-outlets-advocates-strongly-condemn-new-charges-against-julian-assange/


Link zur Erstveröffentlichung:
https://blog.freeassange.eu/2021/10/21/brandbrief-an-us-justizministerium/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

*

Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 26. Oktober 2021

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