Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → FAKTEN

PRESSE/149: Jeder stirbt für sich allein (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 4/2013

Jeder stirbt für sich allein
Die Verwerfungen auf dem Zeitungsmarkt sind auch hausgemacht

Von Rudolf Walther



Anzeigenschwund, Gratisblätter, Online-Boom, Blogger-Hype - wenn es darum geht, die Zeitungskrise zu deuten, sind wohlfeile Erklärungen schnell zur Hand. Damit wird aber verschleiert, dass vielfach Selbstüberschätzung und verlegerische Fehlentscheidungen den Anfang vom Ende markieren.


Im deutschen Pressewesen beginnt das große Schlottern. Wie Menetekel wirken die Einstellung der Financial Times Deutschland und der Verkauf der Frankfurter Rundschau an die FAZ, die gerade einmal 28 Redakteursstellen übernimmt und die Druckerei einfach dicht macht. Ein besonders krasser Fall ist die Westfälische Rundschau. Die Mehrheitseigner in der WAZ-Mediengruppe haben beschlossen, die 120 Redakteurinnen und Redakteure der Westfälischen Rundschau zu entlassen, aber das Blatt ohne eigene Redaktion weiterzuführen und es mit Material anderer Konzernblätter (Westfalenpost), aber auch mit Beiträgen von Konkurrenten wie den Ruhr Nachrichten, zu füllen. Gewerkschaften protestieren gegen diesen Kahlschlag und werfen der Konzernleitung vor, bei der Westfälischen Rundschau offenen Auges in den letzten fünf Jahren einen Schuldenberg von 50 Millionen aufgetürmt zu haben, statt rechtzeitig nach Alternativen zum Schuldenmachen gesucht zu haben.

Alle diese Fälle werden pauschal mit dem Anzeigenschwund und mit dem Online-Boom, mit der zunehmenden Zahl an Blogs und anderen medialen Instant-Produkten in Verbindung gebracht. Diese Lesart der Zeitungskrise stimmt gerade soweit, dass alles mit allem irgendwie zusammenhängt. Dagegen gibt es aber zwei grundsätzliche Einwände:

Erstens ist der Niedergang jeder Zeitung anders gelagert und kann nicht generell mit dem Hinweis auf die ganz einfachen Gründe (Internet, Gratisblätter, Rückgang im Anzeigengeschäft, junge Leser lesen nur noch am Bildschirm usw.) erklärt werden. Besonders einfältig ist die Behauptung, der Niedergang der FR sei von der Umstellung auf das Tabloid-Format im Jahr 2007 verursacht worden. So wenig wie die Krise der FR am Format liegt, so wenig hat die Krise der EU mit der Energiesparlampen-Verordnung zu tun. Beides ist nur populistisches Stammtischgeschwätz.


Fehlentscheidungen

Zweitens haben alle Zeitungsverlage den gleichen Fehler gemacht. Als die Krise im Anzeigengeschäft bereits eingesetzt hatte, setzten sie sehr viel Geld und Manpower ein für Internetauftritte und Online-Ausgaben. Sie wollten mithalten mit der medialen Entwicklung. Statt sich auf die Stärken der Zeitungen zu besinnen, kostümierte man sich à la mode und vergrätzte alte Leser, ohne in nennenswertem Umfang neue zu gewinnen. Die Fehlentscheidung kostete irrsinnig viel Geld, denn die Online-Auftritte fast aller Zeitungen sind Zuschussgeschäfte. Als die finanziellen Löcher größer wurden, machten sich die Zeitungen ans Sparen, um im Wettlauf mit Netz- und anderen Gratisprodukten zu bestehen. Die zweite Fehlentscheidung: Die rigorosen Sparrunden bei den Etats der Ressorts und die personelle Ausdünnung der Redaktionen wirkten sich sehr schnell auf die Qualität und das intellektuelle Niveau der Zeitungen aus. Die personelle Ausdünnung drückte auf das Niveau, und seichter und trendiger Opportunismus, der sich als "Entideologisierung" feilbot, bewirkte den Rest. Die Fehler kumulierten sich. Damit begann endgültig der Sinkflug der FR. Der zeichnet sich auch bei der Wochenzeitung der Freitag ab, wo man die Personalunion von Eigentümer und Chefredakteur wohl als eine Art Rettungsschirm und Beitrag zur Pressefreiheit versteht. Berechtigte Kritik daran gilt als Majestätsbeleidigung.

Beim Freitag soll jetzt knapp ein Fünftel der Stellen gestrichen werden. Ein exemplarischer Fall für verlegerische Fehlentscheidungen und Illusionen. Als Jakob Augstein das Blatt 2009 kaufte, kündigte er in einem Interview so etwas wie einen Revolution an: "Wir sind keine reine Zeitung mehr, sondern ein Medium, das versucht, Online und Print komplett ineinander zu verschränken." Auf der Jahrestagung des "Netzwerkes Recherche" schwärmte Augstein von seinem "Projekt": "Wir drucken alles: Bürgerjournalismus, Blogger und Experten. (...) Unsere freien Autoren müssen ihr Geld woanders verdienen. Ich bin für meine Leser zuständig, nicht für die freien Journalisten". Die forsche Ansage blieb fast ohne kritisches Echo. In einem Anfall von Hybris nannte Augstein den britischen Guardian als Vorbild. Der Guardian beschäftigt allerdings 650 Redakteure, der Freitag rund 20. Das englische Blatt hat noch eine Auflage von 220.000 Exemplaren, das deutsche eine von 14.000.


Millionen im Netz versenkt

Aber in einem Punkt sind die beiden Blätter doch vergleichbar. Augstein entlässt ein Fünftel der Mitarbeiter, der Guardian gut ein Sechstel. Das Geschäftsmodell beider Zeitungen war von Anfang an auf Sand gebaut, denn es geht davon aus, die Verknüpfung von Online und Print, Bloggerei und Meinungshuberei auf der einen, Qualitätsjournalismus auf der anderen Seite sei nicht nur zukunftsweisend, sondern auch finanziell lukrativ. Augstein: "Die Tageszeitungen machen meiner Meinung nach jetzt schon keinen Sinn mehr, weil auf den ersten zwei, drei Seiten nur Nachrichten stehen, das ist völliger Schwachsinn. (...) Ich wüsste nicht, warum es die Süddeutsche in 20 Jahren noch geben soll. (...) Ich glaube, dass ich über das, was tatsächlich in der Gesellschaft los ist, aus der BILD mehr erfahre als aus der Süddeutschen (...). Ich bin ein großer Freund vom Boulevard, weil ich glaube, dass er genau dahin geht, wo die ganzen arrivierten Journalisten nicht mehr hingehen" - so Augstein in der Frankfurter Rundschau vom 10./11.6.2009.

Ein halbes Jahr später durchschaute Augstein seine Illusion, man könnte mit Gratisangeboten im Netz Geld verdienen. Das gelang bis heute nur ganz wenigen Zeitungen. Die Verlage blieben in ihrer Selbstverblendung auf ihren Kosten sitzen, und den Print-Ausgaben halfen die sündhaft teuren Netz-Auftritte gar nichts, weil sich Blogger an Luhmann halten: "Das System tut, was es tut". Und der Blogger bloggt seine Meinungen in die Sphäre, aber abonniert keine Zeitung und schaltet erst recht keine Anzeigen. Beim Guardian, dessen Auflage von 2000 bis heute von 400.000 Exemplaren auf 220.000 sank, wuchs auch nur das Defizit - im letzten Jahr auf 55 Millionen Euro. Den größten Teil dieser Summe hat der Guardian mit seiner aufwändigen Online-Ausgabe buchstäblich im Netz versenkt. Wie hoch das Defizit beim Freitag ist, weiß man nicht. - Mit der Sparrunde wird für den Freitag die letzte Runde eingeläutet. Das ist traurig, aber absehbar.


Bildung vortäuschendes Ego-Gestelz statt Qualitätsjournalismus

Augstein stimmte Mathias Döpfner, dem Chef der Axel Springer AG, am 30.6.2011 noch ausdrücklich zu, das Netz sei "ein Freiheitsmedium" und beide verteidigten die "Gratiskultur" als Ausdruck substanzieller Freiheit. Mittlerweile hat man bei Springer solche ideologischen Schimären über Bord geworfen, den Taschenrechner herausgeholt und sich der Vernunft der Bilanzen gebeugt und eine Pay-Wall errichtet. Jetzt spricht man dort nur noch vom notwendigen "Ende der Kostenfreiheit" (SZ 12.12.2012). Döpfner hat gemerkt, dass das Geschäftsmodell Journalismus und die Erhaltung von Qualitätsjournalismus finanziell und substanziell nicht aufrecht zu erhalten sind mit Gratisangeboten, Community-Gärtchenpflege und "Bürgerjournalismus". Augstein weiß zwar: "Community ersetzt keine Redakteure und spart kein Geld" und bringt auch keines, aber für seine Behauptung, "mit der Community kann man eine bessere Zeitung machen", bleibt er jeden Beleg schuldig. Die gedruckten Kommentare aus dem Community-Kindergarten sind meistens von steinerner Einfalt oder zum dritten Mal aufgekochter Kaffee.

Von der jüngsten Sparrunde beim Freitag ist die Boulevard-Rubrik "Alltag" stark betroffen. Sie wird von acht auf vier Seiten halbiert. Dieser Teil für Szenen-, Personality- und Style-Gewese, sowie für vermeintlich "unkorrekte" Befindlichkeiten und anderen Klimbim ist mit vier Seiten zwar weniger auffällig, aber immer noch völlig überflüssig. Und die Ankündigung, "Alltags"-Themen in die erste Lage zu verschieben, ist nur ein Hinweis, die Qualität der Zeitung auf Community- und Blogger-Niveau zu senken. Oder soll der Leser zukünftig in der ersten Lage Bildung vortäuschendes Ego-Gestelz in dieser Preislage lesen: "Ich werde am Alex morgens mittlerweile zur Menschenfeindin und fange an, Thomas Hobbes zu verstehen." Für derlei Quark bietet das Netz gratis Tausende von Adressen an, auf einer nach unten offenen Niveau-Skala.

Augstein hat also mit seiner Verschränkung von Print und Online viel Geld versenkt und für die Qualität des Blattes gar nichts gewonnen. In seinem ursprünglichem Redaktionskonzept stand: "Die Stärken des Freitag sind Hintergrund, Analyse, Meinung. Und das auf hohem journalistischen Niveau." Stark war Augsteins Community, soweit sie überhaupt etwas beitrug zur Zeitung, freilich nur beim substanzlosen "Meinen". Im Juli 2012 startete Augstein eine aussichtslose und ökonomisch wenig sinnige Kampagne. Er bot seinen leseunlustigen Dauer-Bloggern in der Community ein um 40 % reduziertes Abonnement für die Printausgabe an. Aber Bildschirmnarren interessieren sich nicht einmal für Geschenke auf Papier.


Rudolf Walther (* 1944) ist Historiker und freier Publizist. Er arbeitet für Schweizer und deutsche Zeitungen und lebt in Frankfurt/M. Unter der Titel Aufgreifen, begreifen, angreifen sind bisher zwei von geplanten vier Bänden mit seinen Arbeiten im Oktober-Verlag erschienen.
rudolf.walther@t-online.de

*

Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 4/2013, S. 51 - 53
herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer, Bascha Mika und Peter Struck (†)
Redaktion: c/o Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin
Hiroshimastraße 17, 10785 Berlin
Telefon: 030/26 935-71 51, -52, -53, Telefax: 030/26 935-92 38
E-Mail: ng-fh@fes.de
Internet: www.ng-fh.de
 
Die NG/FH erscheint monatlich, wobei die Hefte 1+2
und 7+8 im Januar bzw. Juli als Doppelheft erscheinen.
Einzelheft: 5,50 Euro zzgl. Versand
Doppelheft: 10,80 Euro zzgl. Versand
Jahresabonnement: 50,60 Euro frei Haus


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2013