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PRESSE/152: Hütchenspiel auf dem Zeitungsmarkt (M - ver.di)


M - Menschen Machen Medien Nr. 2/2013
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift

Brennpunkt Lokaljournalismus - alles aus einer Hand?
Hütchenspiel auf dem Zeitungsmarkt

von Horst Röper



Der Minister war sauer und ließ seinen Zorn raus. "Wenn ich morgens zum Briefkasten gehe und die Zeitung fehlt, fängt der Tag schon beschissen an", erzählte der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Guntram Schneider den Teilnehmern einer Demonstration für den Erhalt der redaktionellen Eigenständigkeit der Westfälischen Rundschau (WR) in Dortmund. Der Abonnent Schneider forderte, die Schließung sämtlicher Redaktionen zurückzunehmen. Die Bosse im Essener WAZ-Konzern hat auch er nicht umstimmen können. Seit Anfang Februar wird die WR ohne eigene Redaktion produziert. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf den Lokaljournalismus im Allgemeinen und die Vielfaltsproblematik im Besonderen - der Versuch einer Bestandsaufnahme.

Von der einst bedeutenden WR ist nur ein verstörendes Produkt geblieben. Der Hauptteil wird von der großen Schwester WAZ zugeliefert und die Lokalteile werden von den örtlichen Konkurrenten übernommen. Wird das künftig die Vielfalt des Angebots ausmachen, identische Berichte und Fotos in unterschiedlicher Verpackung, mal rot, mal blau, mal sechs-, mal siebenspaltig umbrochen?

Der Tageszeitungsmarkt kannte auch schon in besseren Zeiten eine Vielzahl von Kuriosa: Inhaltlich identische Ausgaben mit unterschiedlichen Titeln, um den Lesern Lokalkolorit vorzugaukeln. Impressumänderungen, bei denen Verleger zu Herausgebern mutierten, um den Verlagsverkauf zu kaschieren. Und nun die WR: Eine Zeitung mit einer Auflage von über 100.000 Exemplaren und ohne Redaktion ist ein Novum. Im Verbreitungsgebiet der WR betätigt sich der WAZ-Konzern als Hütchenspieler. Der Leser hat vor Ort neben der WR noch jeweils ein Konkurrenzblatt zur Auswahl. Egal welche Zeitung er kauft, der Lokalteil ist inhaltlich identisch. Die Vielfalt ist auf der Strecke geblieben.

Der Rausschmiss der Redakteure der WR kam völlig überraschend. Dass Veränderungen anstanden, war allerdings kein Geheimnis. Die WR hatte gleich mehrere Ausgaben mit geringen Auflagen und schwachen Marktpositionen. Sie waren schon seit Jahren quersubventioniert worden. Solche Quersubventionen machen betriebswirtschaftlich oft Sinn, dürften sich aber nicht zu Gesamtverlusten entwickeln. In einem schrumpfenden Markt wird insbesondere für Zweitzeitungen mit schwacher Marktposition die wirtschaftliche Basis immer geringer. Die stetig wachsenden Kooperationen unter konkurrierenden Titeln tun ein Übriges. Der Gesamtmarkt wird auch in den nächsten Jahren von Einstellungen geprägt sein. Das Verschwinden ganzer Titel wird die Ausnahme bleiben. Aufgegeben werden einzelne Ausgaben, vornehmlich an den Rändern von Verbreitungsgebieten, wo Überlappungen mit Nachbarzeitungen für Wettbewerb sorgen.

Das Nachsehen haben vor allem die Leser, zum Teil die Anzeigenkunden, weniger die Verlage. Die einstigen monomedialen Zeitungsverlage sind längst multimedial diversifiziert. Viele haben sich auch außerhalb der klassischen Medienindustrie engagiert, z.B. bei Postdiensten. Zumal: die größeren Unternehmen sind im Internet nicht nur mit journalistischen Angeboten unterwegs, sondern verkaufen Blumen, Tiernahrung, Schuhe, Handwerkerdienste, kurz alles was nicht niet- und nagelfest ist.


Marktführerschaft. Wie stark die Diversifizierung bei Zeitungsunternehmen inzwischen ausgeprägt ist, hat im letzten Jahr eine Untersuchung über "Multimediale Anbieter- und Angebotsstrukturen auf lokaler Ebene" für den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gezeigt(1). Auf der Basis von 49 Medienregionen, in denen 70 Prozent der Bevölkerung Deutschlands leben, wurden die lokal informierenden Medien Tageszeitung, lokale/regionale Zeitschrift, Anzeigenblatt, lokale Internet-Portale, lokaler Hörfunk und Lokal-TV untersucht. Die in den Medienregionen jeweils führenden Zeitungsunternehmen waren durchschnittlich in 4,6 der 6 Medienbranchen aktiv. Vielfach bestanden neben der führenden Marktstellung im Zeitungsmarkt auch die Marktführerschaften oder gar Monopolstrukturen in anderen Branchen.

Diese Diversifizierung ist für Zeitungsunternehmen betriebswirtschaftlich alternativlos. Auf der Kehrseite hat sich damit in vielen lokalen Medienmärkten aber eine multimediale Konzentration zugunsten einzelner Unternehmen entwickelt, die das Gegenteil einer vielfältigen Anbieterstruktur und einer publizistischen Machtteilung ist. Ein Musterbeispiel für solche vermachteten Strukturen ist der Regierungsbezirk Schwaben in Bayern mit seinem Zentrum Augsburg.


Beispiel: Augsburger Allgemeine

Die Mediengruppe um die Augsburger Allgemeine (222.000 Exemplare) ist der Marktführer im Regierungsbezirk Schwaben. Der Norden des Regierungsbezirks mit den Kreisen Augsburg, Aichach-Friedberg, Dillingen, Donau-Ries, Günzburg, Neu-Ulm und Unterallgäu sowie dem Oberzentrum Augsburg bildet die Medienregion Augsburg. Sie hat mit rund 1,3 Millionen Einwohnern eine stattliche Größe. Im südlichen Teil des Regierungsbezirks dominiert die Allgäuer Zeitung, die zur Hälfte der Verlagsgruppe um die Augsburger Allgemeine gehört. Die beiden Zeitungsverlage haben sukzessive kleine Lokalzeitungen in ihrer Nachbarschaft übernommen. Zuletzt kaufte die Allgäuer Zeitung die Memminger Zeitung an der Grenze zu Baden-Württemberg. Diese Übernahme war auch insofern von Vorteil, weil die andere Hälfte der Allgäuer Zeitung der Familie Waldburg zu Zeil gehört, die auch an dem Nachbartitel Schwäbische Zeitung beteiligt ist, deren Gebiet an jenes von Allgäuer und Memminger Zeitung sowie der Augsburger Allgemeinen grenzt. Die Verbreitungsgebiete sind gegeneinander abgegrenzt.

Auch darauf beruht die komfortable Wettbewerbssituation der Augsburger Allgemeinen mit einem Marktanteil von 88 Prozent bei den Abozeitungen in der Medienregion. Eine Konkurrenzstellung gibt es ausschließlich im Kreis Neu-Ulm mit der benachbarten Südwest Presse aus Ulm und im Kreis Aichach-Friedberg mit der Aichacher Zeitung. Die Marktstellung der Augsburger in der Medienregion ist unangefochten. Vor Jahren war dort einer der letzten Expansionsversuche im westdeutschen Zeitungsmarkt gescheitert. Mit viel Aufwand hatte die Abendzeitung aus München eine weitere Ausgabe mit stattlicher Lokalredaktion in Augsburg aufgebaut. Bereits nach wenigen Monaten wurde der Versuch zur Erweiterung des Verbreitungsgebietes beendet. Heute dominiert Bild den Boulevard und hält 90 Prozent der Auflage der Kaufzeitungen in der Region. Den Rest teilen sich tz und Abendzeitung, beide aus München. Insgesamt geht knapp ein Viertel der Gesamtauflage der Tagespresse auf das Konto der Kaufzeitungen.


Wettbewerber. Im Markt der Anzeigenblätter stößt die Mediengruppe Augsburg allerdings auf heftigen Wettbewerb. Sie verbreitet in allen Teilgebieten unter der Woche Ausgaben, aber nicht am Wochenende. Damit kommt sie in der Medienregion mit einer Gesamtauflage von über 550.000 Exemplaren auf einen Marktanteil von knapp 40 Prozent. Ein wesentlicher Wettbewerber ist die Meyer & Söhne Druck- und Mediengruppe GmbH & Co KG in Aichach, die dort auch die Lokalzeitung verlegt. Insgesamt werden in der Medienregion wöchentlich fast 1,5 Millionen Exemplare von Anzeigenblättern verteilt.

Im regionalen Zeitschriftenmarkt ist die Augsburger Mediengruppe nicht aktiv. Elf Verlage bringen für die Medienregion 13 Titel mit einer Gesamtauflage von 170.000 Exemplaren heraus. Andere Zeitungsunternehmen (Schwäbische Zeitung, Südwest Presse, Aichacher Zeitung) sind hier mit Beteiligungsunternehmen engagiert.

Die Augsburger Mediengruppe ist früh mit erheblichem Kapitaleinsatz und umfassend in den Privatfunk eingestiegen. Das Unternehmen hat sich auch nicht vor Investments außerhalb des Stammgebiets gescheut. Es besitzt heute an den drei Mediengesellschaften bayerischer Zeitungsverlage jeweils rund 10 Prozent und hält durchgerechnet über ein Viertel der Anteile an der Holding RBTZ, die ihrerseits mit gut 40 Prozent an einem der führenden Lokalfunkunternehmen, der Studio Gong, beteiligt ist. Studio Gong und eine der Mediengesellschaften der Verleger halten jeweils knapp ein Drittel der Anteile am Rahmenprogrammanbieter BLR, der die meisten bayerischen Lokalradios versorgt. Über ihre Zwischenholding rt1.media group GmbH hält die Mediengruppe beispielsweise auch einen Anteil (11 %) an münchen.tv. Das Unternehmen arbeitet außerdem als regionaler TV-Dienstleister für bundesweite Programme.


Rundfunkbeteiligungen. In Schwaben hat die Verlagsgruppe keine Beteiligungschance an Rundfunkaktivitäten ausgelassen: Beim Lokalfernsehen augsburg.tv, dessen Vorläufer schon 1994 auf Sendung ging, hält sie gut 40 Prozent und indirekt weitere Anteile über die Beteiligung von Studio Gong (12,6 %). Gleichfalls gut 40 Prozent trägt der Sankt Ulrich Verlag. Das Programm ist in der gesamten Medienregion zu sehen. Das werktägliche Magazin a.tv aktuell erreicht 37.000 Zuschauer nach der Funkanalyse Bayern 2011. Der Kreis Neu-Ulm gehört zum Sendegebiet des Nachbarprogramms Regio tv Schwaben, an dem die Augsburger gleichfalls beteiligt sind (26 %).

Bei den Lokalradios besitzt die Mediengruppe vollständig das Programm hitradio.rt1, das von Augsburg aus die Stadt und den Kreis sowie den Kreis Aichach-Friedberg und Teile des Kreises Landsberg erreicht. Beim Nachbarprogramm hitradio.rt1 Nordschwaben sind die Augsburger mit knapp 60 Prozent dabei. Das Programm ist auf die Kreise Dillingen und Donau-Ries ausgerichtet. hitradio.rt1 Südschwaben wird in der Stadt Memmingen, dem Kreis Unterallgäu und in Teilen des Kreises Günzburg ausgestrahlt. Durchgerechnet sind die Augsburger auch an diesem Programm mit rund 60 Prozent beteiligt. In Augsburg besteht allerdings Konkurrenz durch das Programm Radio Fantasy, das je hälftig dem Radiounternehmer Peter Bradl (Künstlername Peter Valentino) und Studio Gong gehört.

Der Kreis Neu-Ulm ist Teil des Verbreitungsgebietes des Lokalradios Donau 3FM, das seinen Sitz jenseits der Landesgrenze in Ulm hat. Studio Gong ist Gesellschafter des Veranstalters und damit indirekt auch die Augsburger. Umfangreiche indirekte Beteiligungen besitzen die Augsburger auch am Privatfunk im Süden Schwabens über den Allgäuer Zeitungsverlag. Die Anzahl der Portale mit lokaljournalistischem Angebot ist in Relation zur Größe der Medienregion begrenzt. Die Augsburger Mediengruppe ist an immerhin neun der insgesamt 25 Portale mindestens beteiligt.

Die Mediengruppe um die Augsburger Allgemeine ist auch im gesamtdeutschen Zeitungsmarkt durch Zukäufe immer wieder gewachsen. Das Mutterunternehmen, die Presse-, Druck- und Verlags GmbH, die vollständig der Familie Holland gehört, hat schon in den frühen Jahren der Republik Kooperationsverträge mit Verlagen von Lokalzeitungen im Regierungsbezirk geschlossen. Diese Kooperationen wurden auf Beteiligungen und letztlich oft auf Übernahmen ausgedehnt, bis das Unternehmen im großflächigen Markt die Angebots- und Anbieterstrukturen zu seinen Gunsten geregelt hatte. Mit der gewachsenen Größe wurden später auch große Deals realisiert: In Ostdeutschland haben sich die Augsburger nach der Wende mit einem Drittel am Nordkurier in Neubrandenburg beteiligt. Deutlich größer war das Investment 2010, als sie die Zeitungsgruppe Main-Post in Würzburg vom Holtzbrinck-Konzern übernommen haben. Ende 2011 kamen 51 Prozent an der Südkurier GmbH in Konstanz dazu, die unter anderem die gleichnamige Tageszeitung verlegt. Die übrigen Anteile hält weiterhin der Holtzbrinck-Konzern. Unter den auflagenstärksten Verlagsgruppen in Deutschland nehmen die Augsburger inzwischen Rang 8 ein (2).


Medienkonzentration in NRW

Die Studie über die "Multimedialen Anbieter- und Angebotsstrukturen auf lokaler Ebene" hat gezeigt, dass ähnlich wie in Schwaben viele Medienregionen inzwischen geprägt werden von der Dominanz jeweils eines multimedial agierenden Zeitungsunternehmens. Zu einem ähnlichen Befund kommt der Konzentrationsbericht der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM). In diesem Bericht werden nicht einzelne Medienregionen untersucht, sondern die Angebots- und Anbieterstrukturen aller lokal informierenden Medien im gesamten Bundesland NRW. Die so genannte Zeitungsdichte, also die Anzahl von konkurrierenden Zeitungen mit lokaler Information in den Gebietskörperschaften, war in NRW stets wesentlich größer als in den anderen Flächenstaaten. Dies gilt auch heute noch weitgehend, aber der Konzentrationsprozess im Zeitungsmarkt hat in den letzten Jahren auch in NRW die Zeitungsdichte erheblich verringert. Der Anteil der Bürger ohne Auswahl beim Zeitungskauf, weil sie in Monopolgebieten leben, ist stetig gewachsen. Damit ist zugleich die Bedeutung des Lokalfunks gestiegen, der eine willkommene Ergänzung zum verringerten Angebot an Tageszeitungen gerade in Bezug auf die lokale Information ist.

Zeitlich parallel ist das Angebot an Anzeigenblättern und deren Gesamtauflage gestiegen. Auch die Anzeigenblätter haben schon vor Jahren eine flächendeckende Verbreitung in ganz NRW erreicht. Dabei wurde zugleich die Erscheinungshäufigkeit gesteigert. Viele Blätter werden inzwischen zweimal wöchentlich verteilt. Dies gilt nicht nur für die Großstädte mit ihren relativ geringen Vertriebskosten, sondern auch für die Mehrzahl der Landkreise. Statistisch werden jedem Haushalt in NRW inzwischen 2,6 Exemplare wöchentlich zugestellt. Anzeigenblätter leisten mehrheitlich eine spezifische Lokalberichterstattung, bei der Vereinsberichte und die Servicefunktion eine bedeutende Rolle spielen. Bei den Sonntagsblättern kommt zum Teil mit einem erheblichen Umfang die aktuelle Sportberichterstattung hinzu. Nicht zuletzt wegen ihrer begrenzten Erscheinungsweise sind Anzeigenblätter aber kein Äquivalent zu Tageszeitungen.

Auch das Angebot an lokalen oder regionalen Zeitschriften ist größer geworden. Aktuell werden in NRW 201 Titel mit eine Gesamtauflage von knapp 4 Mio. Exemplaren verlegt. Die Mehrheit erscheint monatlich. Nur der kleinere Teil der Gesamtauflage wird an Abonnenten oder im Einzelverkauf abgesetzt, zumal die hochauflagigen Titel in der Regel kostenlos abgegeben werden. Anders als Anzeigenblätter werden sie nicht den Haushalten zugestellt, sondern an stark frequentierten Plätzen zur Mitnahme ausgelegt.

In den 70er Jahren gab es noch Titel der so genannten Alternativpresse, die redaktionelle Konzepte entwickelten, mit denen gerade "vernachlässigte" Themen in den Fokus gerückt werden sollten. Als einer der letzten Vertreter dieses Typs kann der in Köln erscheinende Titel StadtRevue angesehen werden. Im Gegensatz dazu gibt es heute die hochauflagigen Kostenlos-Magazine wie heinz, Coolibri und andere, bei denen Veranstaltungskalender im Mittelpunkt stehen. Die Auswahl der Veranstaltungen ist auf das Interesse einer jungen Zielgruppe ausgerichtet, die besser als andere über Werbung vermarktet werden kann.


Lokale Internetangebote. Nur ein kleiner Teil der Titel mit deutlich niedrigeren Auflagen betreibt die klassische Lokalberichterstattung. Diese Titel zählen zu den letzten eines einst bedeutenderen Mediums, den so genannten lokalen Wochenblättern, die überwiegend von den Anzeigenblättern verdrängt worden sind. Mehrheitlich leisten die lokalen und regionalen Zeitschriften also bewusst keine inhaltliche Vielfalt, wie sie für die Tageszeitung schon definitorisch mit dem Merkmal der inhaltlichen Universalität vorgegeben ist und auch zur Abgrenzung von den Fachtageszeitungen dient (etwa Handelsblatt).

Inhaltlich mit einer enormen Breite hat sich dagegen das Angebot im Internet entwickelt. Die Lokalberichterstattung hat dabei schon seit einigen Jahren eine große Bedeutung. Praktisch alle Anbieter aus den klassischen Medienbereichen unterhalten eigene Online-Portale. Dies gilt für sämtliche Zeitungsverlage in NRW und auch für die überwiegende Mehrheit der Anzeigenblatt- und Zeitschriftenverlage. Auch die Anbieter von lokalem Radio oder lokalem Fernsehen sind im Internet mit eigenen Angeboten präsent. Unter publizistischen Aspekten handelt es sich dabei in der Regel nicht um eine Verbreiterung des Angebots, sondern nur um einen anderen Distributionsweg für Nachrichtenmaterial, das von einer bi-medial arbeitenden Redaktion erstellt wird.

Anders verhält es sich bei der zunehmenden Zahl von Online-Portalen, die von neuen Anbietern ohne Verbindungen zur klassischen Medienindustrie angeboten werden. Deren Redaktionen arbeiten ausschließlich für das Internetportal und leisten damit einen Beitrag zur Vielfalt. Die Zahl der Anbieter und auch der Angebote steigt, ohne dass allerdings ihre Relevanz im Medienmarkt insgesamt eingeschätzt werden kann, da derzeit noch keine harten Nutzungsdaten - vergleichbar mit den Auflagen- oder Nutzungszahlen für andere Medien - für diese kleinräumigen Angebote vorliegen. Solche Daten werden inzwischen für die größeren Portale erhoben und regelmäßig von der ivw bzw. von der AGOF veröffentlicht (3). Für die kleinen Anbieter sind diese Messungen allerdings (noch) zu kostspielig.


Gefährdungspotenzial für Vielfalt

Diese Strukturen werden in der aktuellen Untersuchung dokumentiert und die Konzentrationsproblematik wird sowohl im Bereich der Angebote als auch im Bereich der Anbieter analysiert, wobei crossmediale Aktivitäten eine erhebliche Rolle spielen. Die Dokumentation ist fokussiert auf die Printmedien und die Online-Portale. Im Zentrum der Darstellung stehen die Zeitungsunternehmen in NRW. Dafür sind zum einen die Bedeutung der lokalen Zeitungen für die lokale Publizistik und zum anderen die stark diversifizierten Strukturen der Zeitungsunternehmen und damit ihre Relevanz auch in anderen Branchen maßgeblich, was zu folgenden Schlussfolgerungen führt:

• Die ehemaligen Zeitungsverlage haben sich zu multimedial agierenden Anbietern entwickelt und sind inzwischen mehrheitlich breit diversifiziert.

• Zeitungsunternehmen sind die wesentlichen Anteilseigner der Betriebsgesellschaften (BG) des Lokalfunks. Die Höhe ihrer jeweiligen Anteile wurde bei der Gründung der BG häufig in Relation zum Marktanteil ihrer jeweiligen Zeitungen im Verbreitungsgebiet des Lokalradios festgelegt. Die meisten Verlage haben diese Beteiligungsmöglichkeiten genutzt und zwar gleichfalls meistens jeweils bei allen Gesellschaften. Ausnahmen hat es schon zur Gründungszeit gegeben. Andere sind im Verlauf der Jahre hinzugekommen, sind aber Ausnahmen geblieben.

• Die Konzentrationsbewegungen im nordrhein-westfälischen Zeitungsmarkt haben gezeigt, dass der Rückzug aus einem lokalen Teilmarkt, beispielsweise durch Aufgabe einer Lokalausgabe, nicht auf den Zeitungsmarkt beschränkt bleibt. In der Regel werden auch andere mediale Aktivitäten für das Teilgebiet eingestellt, so etwa lokale Online-Portale - auch weil die zuvor bi-medial arbeitende Lokalredaktion aufgegeben wurde - und Anzeigenblätter. Ähnliches kann auch für die Beteiligungen am Lokalfunk gelten.

• Auch bei den nur wenigen bestehenden Angeboten des Lokalfernsehens sind in NRW mit einer Ausnahme Zeitungsunternehmen mindestens Mehrheitseigner. Sie produzieren die kleinen Programme jeweils für Teile des Verbreitungsgebiets ihrer Zeitungen.

• Das Gefährdungspotential für die Zeitungsvielfalt wird in der Kombination von relativ niedrigen Auflagenzahlen und geringen Marktanteilen einzelner Ausgaben deutlich. Solche Ausgaben benötigen vielfach unternehmensinterne Quersubventionen, zu denen die Bereitschaft unter den Rahmenbedingungen eines schwierigen Marktumfeldes sinkt. In der Folge muss auch künftig mit Marktausstiegen gerechnet werden. Reste an Vielfalt werden verloren gehen.

• Der Konzentrationsbericht betont die zentrale Rolle der Tageszeitungen in der Lokalberichterstattung. Andere Medien sind nicht in der Lage, deren Rolle zu übernehmen, schon weil ihnen eine ausdifferenzierte Redaktionsstruktur bis in strukturschwache ländliche Gebiete fehlt. Das zweitgrößte Redaktionsnetz unterhalten die Anzeigenblätter. Deren redaktionelle Leistungen sind aber nur eine Ergänzung, kein Ersatz für jene der Tageszeitungen. Dies schon deshalb, weil knapp 80 Prozent der Gesamtauflage der Anzeigenblätter in NRW von über 25 Mio. Exemplaren von Zeitungsunternehmen stammt oder mit Beteiligung von ihnen erscheint. An Kannibalisierungseffekten mit den Zeitungen hat die Branche entsprechend kein Interesse.


Stiftungsmodell. Die Problematik des Vielfaltverlustes ist auch in der Politik angekommen. Um dem grundgesetzlichen Anspruch für Vielfalt im Medienangebot zu entsprechen, werden allerdings kaum Handlungsoptionen entwickelt. Den Vorreiter macht derzeit die Landesregierung in NRW. Rot und Grün haben in ihrem Koalitionsvertrag die Errichtung eine "Stiftung Vielfalt und Partizipation" vereinbart. Zentrales Ziel: Förderung des Journalismus. Das Unterfangen ist schwierig. Zum einen dürfte eine solche Stiftung letztlich nicht vor Marktinterventionen zurückschrecken, die im Printmedienbereich in Deutschland keinerlei Tradition haben. Quasi reflexartig sprach die Opposition denn auch gleich von "Staatsjournalismus". Die Stiftung muss staatsfern organisiert sein, auch wenn sie staatliche Mittel einsetzen will. Diese Mittel werden zweifellos zu begrenzt sein, um gefährdete Zeitungsausgaben erhalten zu können. Ein besserer Journalismus soll unter anderem mit Bildungsangeboten für die seit Jahren vernachlässigte Weiterbildung von Journalisten und mit Recherche-Stipendien erzielt werden. Die lokale Angebotsvielfalt lässt sich wohl nur mit der Unterstützung von kostengünstigen Online-Portalen erzielen. Noch aber ist das Zukunftsmusik. Die Stiftung soll im nächsten Jahr die Arbeit aufnehmen (4).

Anmerkungen
1 Die Studie ist veröffentlicht:
www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/BKM/2012-09-18-zusammenfassung-studie.pdf

2 Vgl. Röper, Horst: Zeitungsmarkt 2012: Konzentration erreicht Höchstwert. Daten zur Konzentration der Tagespresse in der Bundesrepublik Deutschland im I. Quartal 2012. In: Media Perspektiven 5/2012, S. 268-285, hier 278ff.

3 Die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. in Berlin hat ursprünglich nur die Auflagenzahlen von Printmedien kontrolliert. Später wurde die Kontrolle auch auf Kinobesuche und noch später auf Online-Portale ausgedehnt. Die Nutzungsdaten zu Onlineangeboten werden monatlich veröffentlicht. Im Juni 2012 wurden der ivw 1.154 Angebote gemeldet (www.ivw.de).
Die Arbeitsgemeinschaft Online Forschung e.V., kurz AGOF, versteht sich selbst als "Zusammenschluss der führenden Online-Vermarkter in Deutschland" (www.agof.de).

4 Die LfM hat den Konzentrationsbericht veröffentlicht:
http://www.lfm-nrw.de/fileadmin/lfm-nrw/Publikationen-Download/Medienkonzentrationsbericht_2012.pdf

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Quelle:
M - Menschen Machen Medien Nr. 2/2013, S. 6-10
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift, 62. Jahrgang
Herausgeber:
ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Fachbereich 8 (Medien, Kunst, Industrie)
Bundesvorstand: Frank Bsirske/Frank Werneke
Redaktion: Karin Wenk
Anschrift: verdi.Bundesverwaltung, Redaktion M
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2013