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PRESSE/167: Sehnsucht nach Authenzität - die Archillesferse der Medien im Krieg (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2014

Sehnsucht nach Authentizität - die Achillesferse der Medien im Krieg

Von Anne Ulrich



Als am 21. März 2003 zur Primetime die Bombardierung der irakischen Hauptstadt Bagdad live im Fernsehen übertragen wurde, war eine neue Stufe der Kriegsberichterstattung erreicht. Der Krieg wurde in dem Augenblick im Fernsehen dargeboten, in dem er sich in Bagdad ereignete. Den Fernsehjournalisten Bruno Vespa rissen die zahlreichen Explosionen und Brände im Stadtgebiet gar zu der Äußerung hin, dies seien "bellisime immagini", wunderschöne Bilder. Auch Antonia Rados, Kriegskorrespondentin bei RTL, gab in einem Interview 2003 unumwunden zu: "Es ist schon klar, dass der Krieg sehr 'sexy' für das Fernsehen ist, weil es ein sehr visuelles Ereignis ist." Zwei Interessen trafen hier aufeinander und formierten sich zu einer unheiligen Allianz: Die auf die Demonstration von militärischer Stärke und dennoch "humaner" Kriegführung abzielenden militärischen Propagandisten und die auf aktuelle und möglichst sensationelle Bilder versessenen TV-Verantwortlichen.

Hier machte sich die Fernsehberichterstattung zum verlängerten Arm der Militärstrategen, indem sie ein Kriegsereignis inszenierte, über das sie eigentlich hätte berichten müssen. Besonders deutlich äußerte sich dies in der Live-Berichterstattung von CNN, als die ansonsten unaufhörlich sprechenden News Anchors, Korrespondenten und Militär-Experten beispielsweise an diesem Abend für sage und schreibe sieben Minuten gänzlich verstummten und auf diese Weise den Militärs selbst die Regie überließen. In zweierlei Hinsicht geriet das Bombardement zu einer beeindruckenden Machtdemonstration der Alliierten. Erstens trafen die Luftangriffe in Bagdad augenscheinlich auf keine nennenswerte Gegenwehr. Zweitens waren die Explosionen und Rauchsäulen zwar in voller Wucht zu sehen, ihre zerstörerische Kraft jedoch blieb zunächst verborgen. Die fest installierten Fernsehkameras auf dem Dach des irakischen Informationsministeriums ermöglichten ausschließlich einen distanzierten Panoramablick über die irakische Hauptstadt, der keine Details hervortreten ließ. Die Angriffe, bei denen 320 Tomahawk-Marschflugkörper auf Ziele in und um Bagdad abgefeuert worden sein sollen und nach irakischen Angaben 37 Zivilisten verletzt wurden, stellten sich im Fernsehen als ästhetisch erhabenes Feuerwerksspektakel dar.

Die Strippenzieher des US-Militärs und ihrer Verbündeten nutzten hier gleich mehrere Spezifika des Fernsehens aus: seinen Aktualitätszwang, insbesondere seine Fähigkeit zur Live-Berichterstattung, seinen Hang zu dramatischen Bildern wie die Tendenz, die Meldungen als Medienereignis zu inszenieren. Weil sie wussten, welche Stoffe der Fernsehjournalismus in welchen Formen bevorzugt verarbeitet, machten sie mit den auf die Bedürfnisse des Fernsehjournalismus perfekt abgestimmten Angriffen ein Angebot, das die Fernsehnachrichten-Macher kaum ablehnen konnten - berührte es doch die der Kriegsberichterstattung inhärente Sehnsucht nach Authentizität und Augenzeugenschaft. Diese Sehnsucht nach dem unvermittelten, quasi unmedialen Zugang zum Kriegsgeschehen speist jede Form von Kriegsberichterstattung, gerade weil sie unmöglich zu erfüllen ist. Selbst wenn Kriegskorrespondenten unbegrenzten Zugang zu allen Kriegsschauplätzen hätten, ließe sich das Geschehen nicht unvermittelt "abbilden", sondern bliebe ein Konstrukt, das von den Wahrnehmungs- und Verarbeitungsroutinen der Journalisten, den strukturellen Eigendynamiken des Mediensystems, den Strategien der politischen und militärischen Propagandisten genauso wie von bisherigen Kriegen und den in ihnen zum Tragen gekommenen Darstellungsmustern abhängig ist. Weil sie aber gleichzeitig unabdingbar für das Vertrauen der Fernsehzuschauer in die Kriegsberichterstattung sind, haben sich Inszenierungen von Unmittelbarkeit und Augenzeugenschaft in jedem Krieg neu zu zentralen Darstellungsmustern entwickelt, um die Berichterstattung zu beglaubigen und Zweifel an der Parteilichkeit der Aussagen zu zerstreuen. Im Irakkrieg wurden sie jedoch zu einer Achillesferse für den Journalismus, weil im Moment der Live-Bombardements unklar wurde, wer die eigentlichen Regisseure dieses Medienereignisses waren.

"Living room war"

Der Irakkrieg war ein besonders exemplarisches Beispiel für das vielfach verschränkte Verhältnis von Militär, Politik und Medien, bei dem das Fernsehen um sein Image als "Beglaubigungsagentur" (Karl Prümm) kämpfen musste. Dieses Image begründete das Fernsehen in einem ganz anderen Krieg unter ganz anderen Bedingungen: dem Vietnamkrieg. Das Fernsehen galt in den 60er Jahren als wichtigste Informationsquelle, welche die Art und Weise, wie die Öffentlichkeit den Vietnamkrieg "erfuhr", maßgeblich prägte. Die US-amerikanische Bevölkerung wurde pro Tag nur mit durchschnittlich etwa drei Minuten Nachrichten aus dem Kriegsgebiet versorgt. Anfangs in schwarz-weiß, später in Farbe berichteten zahlreiche Kriegskorrespondenten der drei großen amerikanischen Networks über die Kriegsgeschehnisse. Direkt abgefilmte Kampfszenen waren die Ausnahme und wurden daher sogar zum Teil re-inszeniert. Weil die Korrespondenten oft mit den US-Truppen mitreisten, übernahmen sie in erster Linie deren Perspektive. Durch die Anschaulichkeit und Lebendigkeit der Fernsehbilder, die Augenzeugenschaft der Korrespondenten und die mehr oder weniger tägliche Wiederkehr des Krieges als Nachrichtenthema wurde den Fernsehzuschauern der Eindruck vermittelt, der Krieg würde direkt in ihren Wohnzimmern ausgefochten. Das Fernsehen ließ in diesem "living room war" (Michael J. Arlen) den Krieg für die Fernsehzuschauer zu einem neuen Bestandteil der Alltagserfahrung werden und prägte das Image des Fernsehens als Beglaubigungsagentur. Obwohl sich die Journalisten besonders zu Beginn des Krieges einer Selbstzensur unterzogen und auch nach dem Umschwung, der sogenannten Tet-Offensive, nur äußerst selten schockierende Bilder von vietnamesischen Opfern oder von den Gräueltaten der US-amerikanischen Truppen zeigten, erhob die Regierung den Vorwurf, die Fernsehberichterstattung hätte den US-amerikanischen Truppen in Vietnam quasi den Dolchstoß versetzt. Die Wucht der neuen televisuellen Erfahrung von Augenzeugenschaft und Authentizität war offensichtlich so groß, dass dem Fernsehen eine enorme Wirkungsmacht zugeschrieben wurde - obwohl der Vorwurf von Beginn an haltlos war.

Die Konsequenz der US-Regierung war dennoch, so Andreas Elter, eine wesentlich restriktivere Pressepolitik, die im Wesentlichen auf Zensur basierte. Bei der Invasion in Grenada 1983 kam es zum ersten Mal zu sogenannten "Pool-Regelungen", bei denen vom Militär ausgewählte Journalisten gezielt an vermeintliche Kriegsschauplätze geführt wurden. De facto wurde ihnen der Zugang zu den eigentlichen Kriegsschauplätzen jedoch verweigert. Diese Journalisten bildeten darüber hinaus die einzige Nachrichtenquelle für die gesamte mediale Öffentlichkeit - ein Restriktions- und Zensur-Modell, das sich bei der Panama-Invasion 1989 verfestigte und im Golfkrieg 1991 schließlich perfektioniert werden sollte. Kriege sollten fortan, so das Kalkül, unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.

Dieses Unterfangen stellte sich aber spätestens im Golfkrieg als nicht praktizierbar heraus, der als der erste "echte" Fernsehkrieg, aber gleichzeitig auch als eine dreiste professionelle Kriegs-Marketing-Kampagne verstanden werden muss. Mit gezielten Täuschungen versuchten die Alliierten die Legitimation der Weltöffentlichkeit für die Befreiung Kuwaits zu erringen. Zudem stellten sie die Kriegshandlungen als "sauber", "klinisch" und "chirurgisch präzise" dar. Dafür stand insbesondere die schwarz-weiße Fadenkreuz-Aufnahme einer automatisch gesteuerten Rakete, die auf eine visuell völlig neuartige und faszinierende, die Tatsachen des Krieges jedoch vollkommen verbergende Weise Authentizität inszenierte.

Den Alliierten gelang es zumindest eine Zeitlang unter schamloser Ausnutzung ihrer Macht über die Medien, der Öffentlichkeit nahezulegen, man könne einen virtuellen, sauberen Krieg führen. Dies entpuppte sich im Nachhinein als großangelegte Täuschung, welche das Vertrauen in die Informationspolitik der Regierung und der Militärs genauso erschütterte wie den Glauben an die Fähigkeit des Fernsehens, Krieg "darzustellen".

Im Irakkrieg gut zwölf Jahre später mussten daher neue Beglaubigungsstrategien entwickelt werden. Angesichts der skeptischen Weltöffentlichkeit und der neuen, arabischen Senderkonkurrenz etwa durch Al-Jazeera konnte eine auf Zensur und Desinformation angelegte Strategie nicht mehr so leicht aufgehen. Stattdessen setzten die politisch-militärischen Strategen zum einen weiterhin darauf, den Krieg als Medienereignis zu inszenieren, das dann im Idealfall unkommentiert im Fernsehen präsentiert wurde. Daneben entwickelten sie mit dem embedding-System die bis dato "innovativste Form der Medienkontrolle" (Thymian Bussemer). Insgesamt wurden etwa 600 Journalisten verschiedenen Einheiten der alliierten Truppen zugewiesen, innerhalb derer sie weitgehend unbeschränkten Zugang zum Kriegsgeschehen hatten. Die embedded journalists - fasziniert von der Teilnahme an "vorderster Front" - produzierten eine Unmenge an Berichten, die oft ausschließlich genau diese Faszination zum Ausdruck brachten und damit das eigentliche Kriegsgeschehen wieder in den Hintergrund treten ließen. Den wenigsten Journalisten gelang es, aus dieser Position heraus distanziert über den Krieg zu berichten und auf aufregende Bilder zu verzichten, wenn diese dem journalistischen Nachrichtenfaktor der Relevanz nicht entsprachen.

Wie lässt sich also im Fernsehen über Krieg berichten, ohne auf der Suche nach den aktuellsten, faszinierendsten Bildern in die "Authentizitätsfalle" zu tappen? Diese Frage stellt sich nicht nur vor dem Hintergrund des Irakkriegs, sondern auch angesichts aktueller Kriege und Konflikte, in denen die Berichterstattungsbedingungen noch unübersichtlicher geworden sind: Das Konkurrenzmedium Internet kann noch schneller noch mehr Perspektiven präsentieren - so können etwa unmittelbar Kriegsbetroffene, aber auch Soldaten über Video-Plattformen selbst zu "Korrespondenten" des Krieges werden. Hier ist Mut zur Besonnenheit gefragt, um sich der visuellen Rüstungs- und Beschleunigungsspirale zu entwinden und einen Reflexionsraum zu schaffen. Fernsehsender müssen zusätzliches Personal einsetzen, das den Krieg parallel zur laufenden Live-Berichterstattung kritisch beobachtet, in Zusammenarbeit mit Experten reflektiert und regelmäßig interveniert, um den blinden Fleck auszugleichen - gerne auch auf eine anschauliche Weise.


Anne Ulrich, ist Akademische Rätin (a.Z.) am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen. 2012 erschien ihre Dissertation "Umkämpfte Glaubwürdigkeit. Visuelle Strategien des Fernsehjournalismus im Irakkrieg 2003".
anne.ulrich@uni-tuebingen.de

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2014, S. 41 - 43
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2014