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TV/004: "Die Zäsur: Scheidung ohne Schuld!" (Phoenix) (SB)


Besprechung

Die Zäsur - Scheidung ohne Schuld! Die Reform des Ehescheidungsrechts 1977

Ausstrahlung: 3. Mai 2009, 16.15 Uhr, Phoenix


Auch öffentlich-rechtliche Fernsehsender sind bekanntlich nicht dagegen gefeit, mit gewissen Überhöhungen für ihre Beiträge zu werben, zumal wenn es sich um die Einführung einer neuen Senderreihe handelt. So lesen wir in einer Presseerklärung des Senders Phoenix zu der Reihe "Die Zäsur", deren erster Teil sich der Reform des Scheidungsrechts annimmt: "Einschneidende Bundestagsentscheidungen der neueren deutschen Geschichte, die in ihrer Wirkung als revolutionär bezeichnet werden können, stehen im Mittelpunkt der neuen Sendereihe ..."

Fraglos war das 1977 verabschiedete Scheidungsgesetz, das der Autor Ignaz Lozo und Programmgeschäftsführer Christoph Minhoff zum Anlaß des 45minütigen Beitrags genommen haben, ein längst fälliger Schritt für die Bewegungsfreiheit der Frauen in der Bundesrepublik. Fortan war der Ehemann nicht mehr alleiniger Herr im Haus und per Gesetz derjenige, der allein über das Schicksal von Frau und Kinder bestimmen durfte. Auch Ehebruch wurde nicht mehr mit bis zu sechs Monate Gefängnis bestraft; geschieden wurde ohne Schuld.

Damit wurden fast dreißig Jahre nach der Aufnahme von Artikel 3 des Grundgesetzes, der die Gleichberechtigung von Mann und Frau festschrieb und für den emanzipatorische Bewegungen in der Bundesrepublik schon seit langem gestritten hatten, endlich die noch herrschenden und überkommenen Konventionen überwunden und in ein zeitgemäß angemessenes Gesetz gegossen. Diese Reform des Scheidungsrechts war mehr als überfällig. Mit dem Begriff "revolutionär" hingegen, wie er in der Ankündigung von Phoenix gebraucht wird, sollte man besser nicht an jeder beliebigen Stelle hausieren gehen. Treffender wäre es in diesem Fall, von einem nachholenden Reformkurs des patriarchalischen Bundestags, der sich bis dato dem berechtigten Anliegen der Frauen widersetzt hatte, zu sprechen.

Frauen besaßen damals kaum eine Stimme in der Volksvertretung. Lag ihr Anteil unter den Abgeordneten 1949 noch bei neun Prozent, so erreichte er 1972 mit 5,4 Prozent seinen Tiefststand, um bis 1980 auf gerade mal acht Prozent zu klettern. Kurzum, von einer Volksvertretung im Sinne ihres Wortes konnte nicht die Rede sein, mehr als die Hälfte der Bevölkerung war weitgehend unterrepräsentiert. Es läßt sich vorstellen, daß man(n) im Bundestag nicht erpicht darauf war, liebgewordene Gewohnheiten preiszugeben.

In der Geschichtsbetrachtung, wie sie Phoenix hier betreibt, stehen nicht gesamtgesellschaftliche Entwicklungen der Bundesrepublik im Mittelpunkt - bezeichnend für die damalige Zeit: 1977 wurde auch erstmals die Frauenzeitschrift "Emma" herausgebracht -, sondern Entscheidungen des Bundestags. Das ist selbstverständlich zulässig, und der Autor löst die Aufgabe durchaus professionell, indem er Zeitzeugen zu Wort kommen läßt, Ausschnitte aus Bundestagsdebatten einblendet und dabei auch die weiteren Reformen des Scheidungsrechts benennt und erörtert.

Als revolutionär hingegen könnte man allenfalls das bezeichnen, für das emanzipatorische Kräfte in den Jahren und Jahrzehnten vor dem neuen Scheidungsrecht gestritten haben und für das sie noch heute streiten, da Revolutionäres sicherlich nichts sein kann, was über einen Reformkurs zu verwirklichen wäre. So wurde die generelle Diskriminierung des "schwachen" Geschlechts bis heute keineswegs überwunden. Statt dessen wurde die angestrebte Emanzipation von der Dominanz des "starken" Geschlechts von den vorherrschenden gesellschaftlichen Kräften erfolgreich in systemstabilisierende Sackgassen gelenkt, so daß die Frau erstens heute nicht mehr nur am Herd, sondern auch am Fließband stehen darf, und sie zweitens das Recht hat, der Bundeswehr beizutreten und all die Dinge zu tun, die von einer umfassenden Emanzipationsbewegung zutiefst abgelehnt werden.

Bleibt abschließend festzuhalten, daß das Scheidungsgesetz aus dem Jahr 1977 der Erfolg einer mühseligen Vorarbeit innerhalb wie außerhalb des Bundestags war. Der Sender Phoenix hat sich entschieden, dies als Zäsur zu bezeichnen. Die nächsten "Zäsuren" werden zeigen, ob ähnlich einschneidende Veränderungen beispielsweise hinsichtlich des repressiven oder expansionistischen Charakters von neuen Gesetzen und Beschlüssen, zu nennen wäre die erste Kriegsbeteiligung Deutschlands gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, beleuchtet werden.

2. Mai 2009