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REZENSION/010: "Reporter im Krieg" - Phoenix Dokumentation (SB)


"Reporter im Krieg" - Phoenix Dokumentation


Denkwürdige Beweihräucherung angloamerikanischen Kriegsjournalismus



2007 sind weltweit 93 Journalisten bei der Ausübung ihres Berufs getötet worden - allein 42 von ihnen im Irak. Das sind Zahlen, die am 8. Mai das in Wien ansässige International Press Institute in seinem aktuellen Jahresbericht veröffentlichte. Seit dem angloamerikanischen Einmarsch in den Irak am 19. März 2003 und dem Sturz der Regierung Saddam Husseins sind dort bis zum vergangenen Frühjahr 127 Journalisten und 50 weitere Medienvertreter - doppelt so viele wie im Zweiten Weltkrieg und dreimal so viele wie im Vietnamkrieg - durch Gewalt ums Leben gekommen. Dies berichtete Amy Goodman, preisgekrönte Moderatorin der linken US-Radiosendung "Democracy Now!" in dem am 7. Mai auf der Website Truthdig.com erschienenen Artikel "The U.S. War on Journalists".

Die zunehmende Gefährlichkeit des Kriegsschauplatzes für Journalisten führen Goodman und viele andere Beobachter auf das Militär der USA und ihrer Verbündeten zurück, die bei ihren "humanitären" oder sonstwie begründeten Interventionen im Ausland freie Hand haben wollen, ohne eine allzulästige Kontrolle durch die Vertreter der "Vierten Gewalt" erdulden zu müssen. Im Zeitalter des "Informationskrieges" gilt die unabhängige Berichterstattung als Risikofaktor, der die Vermittlung positiver Lagebeurteilungen durch die eigenen Militärs und Politiker an das Volk negativ beeinflussen könnte. Man beachte den jüngsten Streit zwischen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung und der deutschen Presse darüber, ob sich die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan im "Krieg" befinden oder nicht und ob man sie als "Gefallene" bezeichnen dürfe oder nicht, wenn sie dort bei einem Überfall oder einem Bombenanschlag seitens irgendwelcher Aufständischer ums Leben kommen. Nicht umsonst hat vor kurzem der preisgekrönte Bagdad-Korrespondent und Nahostexperte Ulrich Tilgner seinen Vertrag mit dem ZDF auslaufen lassen, um künftig nur noch für das Schweizer Fernsehen zu arbeiten. Zur Begründung des Schritts führte Tilgner seine Verärgerung über den zunehmenden Zwang bei den deutschen Rundfunkanstalten, nur der Regierung in Berlin und dem großen Bruder in Washington genehme Botschaften aus der Kriegsregion zu verbreiten, an.

Vor dem Hintergrund solcher Spannungen, die mit der allmählichen Rückkehr Deutschlands zu seiner traditionellen Rolle als führende europäische Ordnungmacht mit besonderer Verantwortung für "Frieden" und "Stabilität" in der Welt infolge der Aufhebung der militärischen Zwangspause Berlins nach dem Ende des verlorenen Zweiten Weltkrieges zunehmen dürften, lohnt es sich, die spannende, vierteilige Dokumentation "Reporter im Krieg" anzuschauen, die Phoenix in einer synchronisierten Version an den Sonntagen 16., 23. und 30. November sowie 7. Dezember ausstrahlt. Bereits 2004 wurde "Reporters in War", eine Produktion des Discovery Channel in der Regie des in London lebenden Südafrikaners Jon Blair, in den USA und Großbritannien ausgestrahlt und erhielt 2005 den begehrten Emmy als beste Dokumentation des vorangegangenen Jahres.

Die Verleihung des Emmy spricht für sich. Für die Serie "Reporter im Krieg", deren Dreharbeiten bereits vor Beginn des Irakkrieges begonnen hatten, betreibt Blair eine auffällige Legendenbildung um die Kriegsberichterstatter und bedient sich jeder Menge historischer Standardbehauptungen, während gleichzeitig auf die zunehmenden Tendenzen Richtung Zensur hingewiesen wird. Herausgekommen ist ein Werk, das ein allzu schmeichelhaftes Bild von der angloamerikanischen Presse zeichnet und grundsätzliche Kritik am Wesen des Krieges und aller seiner Akteure weitestgehend vermeidet.

Was die Legendenbildung betrifft, so hat Blair in einem Artikel, der am 6. Januar 2004, kurz vor dem Anlauf der Serie im US-Fernsehen, bei der Online-Version der Fachzeitschrift Editor & Publisher erschienen ist, gegenüber Sonya Moore selbst zugegeben, "der Öffentlichkeit die Gelegenheit" geben zu wollen, der Art von Geschichten zu lauschen, "die Reporter spät in der Nacht nach dem 76. Drink austauschen". Solche Geschichten, mal ergreifend, mal voller schwarzen Humors, kommen en masse vor, ob es nun die Erzählungen des amerikanischen Kameramanns John Steele von seinen Aufnahmen des Tods eines von einem serbischen Heckenschützen getroffenen Mädchens oder des BBC-Reporters John Simpson vom vergeblichen Versuch des damals noch nicht berühmten Osama Bin Laden, ihn und seine Kollegen in Afghanistan als "Ungläubige" hinrichten zu lassen, sind.

Zu den meisten Erzählungen gibt es auch aktionsreiche Bilder, von denen die Sequenz über den Raketenangriff der US-Luftwaffe auf einen Konvoi kurdischer Kämpfer im Nordirak im Frühjahr 2003, mit denen Simpson und sein Kamerateam unterwegs waren, wohl die spektakulärste ist. Der Zuschauer lernt zudem aus Großbritannien neben Simpson Terry Lloyd, Brian Hanrahan, Kate Adie, Martin Bell, Robert Fisk, Maggie O'Kane, Michael Nicholson, Alan Little und aus den USA neben Steel Walter Cronkite, Bob Simon, Andy Rooney, John F. Burns, Richard Hottelet, Alan Dizzy, Gloria Emerson, David Halbersham, Morley Safer, Bernard Shaw zahlreiche, in der englischsprachigen Welt bekannte Kriegsberichterstatter kennen, die mit ihren zum Teil aufsehenerregenden Beiträgen und Artikeln in den letzten 50 Jahren Geschichte geschrieben haben. Seltsamerweise fehlen in Blairs Reporter-Pantheon der Australier John Pilger und der ehemalige New York-Times-Korrespondent Chris Hedges - vielleicht, weil sie, obwohl jeder von ihnen mehrfach ausgezeichnet, keinen Hehl aus ihrer Kritik am kriegslüsternen Wesen der westlichen Industriestaaten machen.

Das Fehlen einer kritischen Linie ist auch vermutlich der Grund, warum die Unterteilung der Serie in vier Komplexe - "Reporter im Krieg", "Dein Leben für die Story", "Krieg der Bilder" und "Krieg, Lügen und Videos" - etwas beliebig wirkt. Häufig kommt es zu Wiederholungen, die überflüssig sind. Zudem läßt die Auswahl der Kriege, die ausgiebig besprochen werden, und derjenigen, die wenig oder gar nicht berücksichtigt werden, auf den Wunsch schließen, sich weitestgehend innerhalb des Mainstream-Konsenses zu bewegen. Anders kann man sich nicht erklären, warum zum Beispiel in der Serie die abstoßenden Bilder von den getöteten US-Marines, deren Leichen 1993 durch Mogadischu geschleift wurden -, nicht gezeigt, geschweige denn, thematisiert werden.

Edward Murrow wird - wie üblich - als Goldstandard der Kriegsberichterstattung hochgehalten, obwohl der CBS-Radioreporter mit seinen bewegten Live-Berichten aus dem von Nazi-Deutschland bombardierten London nicht unwesentlich zum Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg beigetragen hat und damit im Grunde genommen weniger als objektiver Journalist als vielmehr als Kriegspropagandist agiert hat. Mit Sehnsucht blickt man auf die Freiheiten zurück, welche die Reporter bei der Landung der Alliierten im Juni 1944 in der Normandie und danach unter General Dwight D. Eisenhower genossen. Dabei wird vergessen, daß die lange Leine damals nur möglich war, weil der Feind und die Kriegsziele klar definiert waren und es keine nennenswerte oppositionelle Friedensbewegung gab.

Seltsamerweise wird der Koreakrieg gänzlich übersprungen, als hätte es ihn gar nicht gegeben. Dafür wird der Vietnamkrieg mit allen üblichen Klischees - Aufnahmen von Bombenabwürfen auf Reisfelder und Dörfer, untermalt von irgendwelchen Protestliedern aus den sechziger Jahren - verbraten (Höhe- bzw. Tiefpunkt dieser Trivialisierung des Kriegsgrauens ist Blairs Zusammenstellung der Bilder von Leichen massakrierter Menschen in Ruanda mit dem REM-Stück "Everybody Hurts" als musikalischer Sinngebung. Auf dieses krasse Zugeständnis an den Massengeschmack hätte man verzichten können.). Inwieweit die negativen Einschätzungen der Lage in Vietnam seitens Journalisten wie Halversham, Cronkite und Safer politisch etwas bewirkt haben, ist bis heute unklar. Fest steht jedoch, daß das US-Militär seit damals die Presse für die Niederlage in Vietnam mitverantwortlich macht und seitdem bestrebt ist, ihr Zügel anzulegen.

Ein Lehrbeispiel dafür, wie man die Presse in Kriegszeiten praktisch mundtot und zu einer PR-Abteilung des Verteidigungsministeriums macht, liefert der Falklandkrieg, der in der Dokumentation in medienpolitischer Hinsicht ausführlich behandelt wird. Die Instrumentalisierung der Presse hing in diesem Fall besonders mit den geographischen Gegebenheiten zusammen. Über den Zugang zu den Falkland-Inseln und den Kriegsschauplätzen dort konnte die britische Marine selbst entscheiden und ihn handhaben, wie sie es für richtig hielt. Später im Golfkrieg und dem jüngsten Krieg gegen den Irak haben die angloamerikanischen Militärs versucht die Lehren aus der Falkland-Expedition in die Tat umzusetzen. 1991 mußten sich die Journalisten gefallen lassen, einem Pool anzugehören und die Pressemeldungen Norman Schwarzkopfs umzuschreiben, während sie 2003 bei der kämpfenden Truppe "eingebettet" waren und dadurch zwangsläufig aus der Perspektive der sie beschützenden Einheiten berichteten.

In der Serie kommt der Bosnienkrieg häufiger vor, vermutlich weil man damit die Legende zementieren kann, der interethnische, interreligiöse Konflikt dort hätte die "Schwäche der westlichen Demokratien" (O-Ton Martin Bell) gezeigt. Bezeichnend ist die Tatsache, daß der Kosovokrieg gegen Jugoslawien, als die westlichen Journalisten 1999 die erfundenen Gruselgeschichten der NATO über Greueltaten der Serben an ihren albanischen Mitbürgern zum besten gaben und Brüssel zahlreiche zivile Ziele - darunter die Studios des serbischen Staatsfernsehens RTS mit Marschflugkörpern - angreifen ließ, mit keiner Silbe erwähnt wird. Bei dem Angriff auf das RTS-Gebäude, das nach den Genfern Konventionen nicht hätte angegriffen werden dürfen, kamen 16 Menschen ums Leben, während 16 weiter verletzt wurden.

Inzwischen dürften sich die westlichen Kriegsberichterstatter nicht mehr wundern, wenn sie sich selbst gelegentlich aus Sicht kriegsführender Generäle "am falschen Ort zur falschen Zeit" befinden. Im Blairs Film werden zurecht unter anderem die Angriffe der US-Luftwaffe auf die Büros des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera 2001 in Kabul und 2003 sowie der Beschuß des Hotels Palestine durch einen US-Panzer bei der Einnahme Bagdads angeprangert. John Simpson spricht in diesem Zusammenhang von "Kriegsverbrechen" und "gezielten Schüssen", welche einschüchternd auf alle Reporter wirken sollten. Daniel Pearl wird als "Symbol der Menschenwürde" gepriesen, und Ausschnitte aus dessen Hinrichtungsvideo werden gezeigt, während man gleichwohl die Umstände des bestialischen Todes des Wall-Street-Journal-Reporters verschweigt. Pearl wurde 2002 in Karatschi vom britischen Dschihadisten Omar Scheich entführt und ermordet, der im Sommer 2001 im Auftrag des Chefs des pakistanischen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence (ISI) 100.000 Dollar an den damals bereits in den USA weilenden Mohammed Atta, den Kopf der 9/11-Flugzeugattentäter, überwies.

Insgesamt geben sich die Journalisten, die in der Serie zu Wort kommen, einigermaßen selbstkritisch, was ihre Arbeit, ihre eigene Motivation und ihren Wirkungsgrad betrifft. Sie bemängeln, daß aus politischen Gründen Krieg niemals in der Berichterstattung so schlimm gezeigt oder geschildert wird, wie sie es selbst vor Ort erleben. Sie glauben nicht, daß die neuen digitalen Technologien diesen Umstand beheben werden, sondern befürchten eher das Gegenteil. Und während sich Rageh Omaar von der BBC in einem Anflug von Größenwahn rühmt, auf einem "Logenplatz der Geschichte" gesessen zu haben, während vor seinem Hotelfenster die irakische Hauptstadt Bagdad zurück in die Steinzeit bombardiert wurde, sieht Gloria Emerson, die Ende der sechziger Jahre als erste Journalistin nach Südvietnam ging, die Dinge anders. Die ehemalige NYT-Reporterin stellt fest, die ganze Kriegsberichterstattung habe nichts Positives bewirkt, sondern mit zur geistigen Abstumpfung der Menschen beigetragen. Rückblickend meint sie, sie hätte sich die für sie im nachhinein sehr belastenden Erfahrungen mit dem ganzen Leid der Vietnamesen ersparen, weiterhin über Mode berichten, sich einen reichen Millionär angeln und ein schönes Leben im New Yorker Nobel-Vorort The Hamptons auf Long Island führen sollen.


29. Oktober 2008