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REZENSION/038: Schweinezucht - warum hast du so ein niedliches Rüsselchen ... (SB)




Lag einst das Glück junger Mädchen auf dem Rücken der Pferde, so scheint es heute eher im Kampf gegen die Ausbeutung sogenannter Nutztiere hervorzutreten. Den Eindruck vermittelt der Film "Okja", in dem junge Koreanerin Mija verhindert, daß ihr bester Freund, das genmodifizierte Schwein Okja, in die Fleischproduktion eines global operierenden Nahrungsmittelkonzerns eingespeist wird. 2016 als Netflix-Produktion unter Regie des koreanischen Filmemachers Bong Joon-ho gedreht und seit dem Sommer dieses Jahres exklusiv auf dem Streaming-Portal zu sehen, bezieht "Okja" durchaus Stellung gegen monströse Entwicklungen in der Massentierhaltung. Bong Joon-ho, der sich bereits mit seinem vorherigen Film "Snowpiercer" einen Ruf als herrschaftskritischer Regisseur verschafft hat, bedient sich dabei aller Mittel des modernen Actionkinos, was seinen Filmen meist gute Rezensionen und weltweite Beachtung verschafft.

Zwar wurde auch "Okja" wohlwollend besprochen, das jedoch in weit kleinerem Rahmen als der Vorläufer "Snowpiercer". Das hat weniger mit dem Inhalt des Films als der erbitterten Auseinandersetzung zwischen passionierten Cineasten und der Vermarktungsstrategie digitaler Streaming-Anbieter zu tun. Auf den Internationalen Filmfestspielen von Cannes wurde der Film schon zu Beginn der Premierenvorführung ausgebuht. Jury-Präsident Pedro Almodóvar hatte bereits beim Festivalauftakt erklärt, daß er sich nicht vorstellen könne, einen Film auszuzeichnen, der nicht auf dem Big Screen zu sehen ist. Nach dem Eklat wurde beschlossen, keine Filme mehr für das überaus renommierte Festival zuzulassen, die nicht in Frankreich im Kino gezeigt werden.

Im Trubel dieser Kontroverse ging der Inhalt des Films weitgehend unter. Da half es auch nicht, daß Tilda Swinton, die die Rolle des durchtriebenen CEOs des fiktiven Konzerns Mirando Corporation übernommen hatte, zu bedenken gab, daß nur wenige Menschen die in Cannes gezeigten Filme jemals im Kino zu Gesicht bekämen. Auch der Versuch des Streaming-Portals, "Okja" zumindest in Südkorea auf die Leinwand zu bringen, scheiterte am Boykott der Kinobetreiber des Landes. Da seine Reichweite auf das Netflix-Publikum beschränkt blieb, hält sich der allgemeine Bekanntheitsgrad des Filmes in Grenzen.

Das ist bedauerlich, denn "Okja" hat trotz einiger Schwächen viel zu erzählen. Die hektische, ins karikierende abgleitende und bei Blockbustern scheinbar unvermeidliche Überzeichnung besonders stark polarisierender Charaktere und die etwas stereotypisch aufs vermeintlich Mädchenhafte gebrachte Beziehung der Sympathieträgerin Mija zu dem von Größe wie Kontur eher einem Nilpferd als einem Schwein gleichenden Okja hätten angesichts des kontroversen Potentials des Themas nicht notgetan. Warum sollte eine aufwendige, mit einem Budget von 50 Millionen Dollar ausgestattete Produktion nicht einen ernsteren Tonfall anschlagen und dennoch erfolgreich sein? Die Abgründe der Tierproduktion bewegen heute Menschen in aller Welt, doch ruft eine entschiedene Positionierung in der Sache auch starke Widerstände hervor, wie etwa eine Lehrerin für Tierschutz in einer Veranstaltung berichtete. Sie wurde bisweilen nicht zum Unterricht zugelassen, weil Eltern befürchteten, ihre Kinder würden durch sie negativ beeinflußt und verschmähten plötzlich Fleisch, Milch und Eier.

Solche Bedenken mit einer positiven Imagekampagne zu umschiffen hat sich die Mirando Corporation vorgenommen. Indem sie den Eindruck erweckt, ihre Superschweine seien als Ergebnis eines natürlichen Zuchtprozesses nicht nur von bester Fleischqualität, sondern auch ökologisch integer, betreibt die Firma Greenwashing an vorderster Front. Nicht einverstanden damit ist eine Gruppe der Animal Liberation Front (ALF), die Okja entführt und mit einer Kamera darauf präpariert, Filmaufnahmen in dem wie ein Hochsicherheitsgefängnis bewachten New Yorker Forschungslabor des Konzerns zu machen. Sie sollen die grausame Wahrheit hinter dem schönen Schein fortschrittlicher Fleischproduktion enthüllen und ALF einen PR-Coup bescheren.

Die AktivistInnen dieser in den USA als terroristische Gruppe behandelten militanten Bewegung, die seit den 1970er Jahren auch mit Sabotageaktionen gegen Tierausbeutung vorgeht, werden nicht rundheraus als HeldInnen gezeichnet, erscheinen jedoch deutlich sympathischer als die Akteure auf der Gegenseite. Nicht weiter reflektiert wird die moralische Überposition, alle menschlichen Belange dem Eintreten für diejenigen Tiere nachzuordnen, die als verteidigungs- und befreienswert erachtet werden. Indem der Film an den heroischen Nimbus der in Zellenstruktur autonom agierenden Tierbefreiungsfront anknüpft, macht sich sein Regisseur allerdings auch angreifbar, wie den illegalen Charakter ihrer Aktionen betreffende Fragen auf der Pressekonferenz in Cannes belegen.

Gerade mit der Persiflierung einer Konsumkultur, die den Menschen nach allen Regeln werbetechnischer Kunst so einwickelt, daß die KundInnen am Ende glauben, mit barer Münze das eigene Seelenheil zu erstehen, bietet "Okja" eine Fülle von Anknüpfungspunkten für produktive Überlegungen zum Mensch-Tier-Verhältnis. Was kann die Befreiung eines zum Schlachten vorgesehenen Tieres ausrichten in einem System kapitalistischer Produktion, das die Ausbeutung von Mensch und Natur auch über die Propagierung eines veganen Lebensstils vorantreibt? Wie sinnvoll ist die Entfachung moralischer Betroffenheit, wenn schuldbeflissene Verhaltensänderungen beim Einkauf den Raub lediglich außerhalb des wahrnehmbaren Horizontes verlagern? Geht es überhaupt um die Differenzierung zwischen Mensch und Tier, oder setzt Befreiung nicht die Beseitigung jeder Form des Raubes und damit eine grundsätzliche Überprüfung auf Vergleich und Unterscheidung beruhender Werturteile voraus?

"Okja" ist sehenswert, nicht weil dort eine wie auch immer geartete Wahrheit über das, was auf dem Teller liegt, der den Voraussetzungen stoffwechselbedingten Verbrauchs entfremdeten Metropolenbevölkerung vermittelt wird, sondern weil das stets vorhandene Wissen um die Unteilbarkeit des Schmerzes auf unterhaltsame wie traurige Weise ins Bild marktförmiger Suggestionen und ihrer nicht minder fremdbestimmten Dechiffrierung gesetzt wird. Die Frage danach, wie dieses Dilemma zu seiner aktiven Überwindung entwickelt werden kann, wird weder im Kino noch im Videostream gestellt oder gar beantwortet.



"Okja"
Regie: Bong Joon-ho
Südkorea/USA 2017
121 Min.


27. Dezember 2017


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