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INTERVIEW/009: Europas Auge - Ein kultureller Seiltanz ...    Peter Boudgoust im Gespräch (SB)


Zusammenhänge aufklären - Verständnis wecken

Interview am 5. Februar 2016 in Hamburg


Der Jurist Peter Boudgoust war Spitzenbeamter im baden-württembergischen Staatsministerium, Finanzdirektor und Justitiar des Süddeutschen Rundfunks (SDR) und nach der Fusion mit dem Südwestfunk (SWF) Verwaltungschef des Südwestrundfunks (SWR), dessen Intendant er seit 2007 ist. Er übte zudem eine Reihe von Funktionen innerhalb der ARD aus, deren Vorsitz er 2009 und 2010 innehatte. Seit Januar 2016 ist Boudgoust neuer arte-Präsident und hat damit im turnusmäßigen Wechsel zwischen Deutschland und Frankreich die Nachfolge der Französin Véronique Cayla angetreten. Auf der arte-Jahrespressekonferenz in Hamburg beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zum Selbstverständnis des Senders im europäischen Kontext.


Auf der arte-Jahrespressekonferenz - Foto: © 2016 by Schattenblick

Peter Boudgoust
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Herr Boudgoust, arte ist ein deutsch-französisches Projekt. Inwieweit spielte bei seiner Gründung auch eine Rolle, gegen die angloamerikanische Kultur ein europäisches Gegengewicht zu schaffen?

Peter Boudgoust (PB): Das mag ein Nebenaspekt gewesen sein, aber die Gründung von arte war wirklich ein starker deutsch-französischer Impuls. Man wollte gerade die kulturelle Dimension von Europa betonen, weil schon vor 25 Jahren klar war, daß Europa auf Dauer nicht Bestand haben kann, wenn man es nur als Wirtschaftsraum begreift. Daß man arte als Schaufenster europäischer Kultur genutzt hat, liegt in dieser Intention, aber ich glaube, daß dies mehr vom Wunsch getragen war, aufzuzeigen, was Europas Reichtum ausmacht, als daß man sich gegenüber den USA abgrenzen möchte. Schließlich sind auch amerikanische Filme auf arte zu sehen. Natürlich haben gerade in der Popkultur, die nicht nur im Themensommer eine große Rolle gespielt hat, angloamerikanische Einflüsse Zeichen gesetzt. Und das wird nicht verschwiegen, aber von einem Gegensatz kann nicht die Rede sein. In erster Linie geht es um das, was Europa genuin ausmacht, ohne dabei auszulassen, was an anderen kulturellen Prägungen um uns herum auch auf Europa und die europäische Kultur einwirkt.

SB: Hat sich aus Ihrer Sicht die Identität Europas dadurch verändert, daß beispielsweise Peripherieländer wie Griechenland mit der EU eher ein negatives Image verbinden?

PB: Auf jeden Fall wird das große Einwirkungen auf Europa haben. Heute kann man noch gar nicht absehen, wo das enden wird. Um so wichtiger ist es in dieser Krisenzeit Europas, die wir ja erleben, deutlich zu machen, daß es starke Verbindungen gibt, die oft Jahrhunderte zurückreichen, aber auch in der Gegenwart noch wirken, damit nicht nur das Krisenszenario die Agenda bestimmt, eben weil man weiß, daß ein großer Kanon von Gemeinsamkeiten existiert.

SB: Im Moment spielt die Frage der Medien- und Pressefreiheit, die in einigen osteuropäischen Ländern stark eingeschränkt wird, eine große Rolle. So hat arte beispielsweise die Zusammenarbeit mit dem polnischen Sender TVP vorerst eingestellt. Steht zu befürchten, daß sich diese Entwicklung noch zuspitzen wird?

PB: Das bleibt abzuwarten, ich will mich jetzt nicht als Prophet betätigen. Wir hatten ähnliche Entwicklungen in Ungarn. Ich hoffe sehr, daß es singuläre Entwicklungen bleiben und man wie im Fall Polens wieder zu dem zurückkehrt, was wir schon einmal hatten. Aus diesem Grund haben wir die Zusammenarbeit mit TVP auch nur suspendiert, also auf Eis gelegt, und der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß wir, wenn entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden, die die Unabhängigkeit von TVP gewährleisten, die alte Zusammenarbeit gern wieder aufnehmen würden. Uns liegt viel am Input der polnischen Kollegen, und wir hoffen sehr, daß die großartigen kreativen Leistungen, die durchaus vorhanden sind, auch wieder genutzt werden können.

SB: In Ihrem Beitrag hatten Sie auch die Frage der Quote angesprochen. Bei arte hat man oft den Eindruck, daß die Arbeit in einem quoten-, weil auch werbefreien Raum vonstatten geht. Verhält es sich wirklich so?

PB: Nein, es gibt zwar keine absoluten Quotenvorgaben für arte, und ich warne auch immer davor, die Quote jetzt zu hoch zu setzen, aber es ist nun einmal ein menschliches Bestreben, daß jeder Künstler, Regisseur oder Autor auch wissen möchte, wie viele Menschen sich für sein Werk interessieren. So gesehen haben wir natürlich auch den Ehrgeiz, mit hochwertigen und anspruchsvollen Themen möglichst viele Menschen zu erreichen und keinen geschlossenen elitären Club zu bedienen. Aber das bedeutet nicht, daß wir bei den Inhalten Kompromisse machen. Wir wollen weiterhin ein Publikum für uns gewinnen, das nicht schon alles weiß, sondern auch auf kulturelle Implikationen neugierig ist.

SB: Gab es denn Tendenzen, Entwicklungen oder Versuche in irgendeiner Form, das Spektrum der Inhalte bei arte einzuschränken oder Vorgaben zu machen?

PB: Nein, das würden wir auch strikt zurückweisen, weil es mit der Gründungsidee von arte überhaupt nicht vereinbar wäre. Es gibt solche Versuche auch nicht.

SB: Und wie verhält es sich mit der Konkurrenz zwischen arte und den kommerziellen Sendern, daß Ihnen beispielsweise auf rechtlichem Wege vorgeworfen wird, bestimmte Dinge in dieser oder jener Form nicht machen zu dürfen?

PB: Arte lebt in einem relativ großen und freien Raum. Dennoch glaube ich, daß wir uns in der Zukunft auf eine stärkere Konkurrenz einstellen müssen, um uns zum Beispiel gegenüber Portalen wie Netflix behaupten zu können, aber mit den klassischen kommerziellen Fernsehanbietern haben wir relativ wenig Konfliktlinien.

SB: Arte hat einen erstaunlichen Erfolg in einer Zeit, in der Kultur bzw. hochwertiges Fernsehen eigentlich totgesagt wurde. Wie erklären Sie sich die starke Resonanz?

PB: Ich glaube, daß es immer schon einen Bedarf an Inhalten gab und gibt. Das Besondere an arte ist, daß man sich darauf verlassen kann, ein hochwertiges Programm zu haben. Arte muß nicht wie andere große Sender einen weiten Spagat machen, sondern kann seine Zielgruppen direkt ins Auge nehmen. So ist es uns gelungen, deutlich zu machen, daß arte kein hochnäsiger, arroganter Sender ist, sondern Kultur auch mit einem Augenzwinkern vermittelt. Wir nehmen auch Menschen, die vielleicht nicht von der Hochkultur kommen, aber durchaus ein Interesse daran haben, mit und laden sie ein, die Programme zu genießen. Uns ist es sehr wichtig, auch diejenigen zu erreichen, die nicht immer schon im Konzertsaal saßen, aber durchaus neugierig sind, was sie dort erwartet.

SB: Im Medienbereich bzw. Journalismus herrscht ein ungeheurer Druck auf die Kolleginnen und Kollegen, schnell und effektiv zu arbeiten, was nicht selten zur Folge hat, daß sie sich mit den Inhalten nicht lange aufhalten. Offensichtlich pflegt man bei arte einen anderen Arbeitsstil.

PB: Ich würde diese Aussage so in der Allgemeinheit nicht stehenlassen. Jedenfalls gibt es bei den Mutterhäusern von arte nach wie vor gute Arbeitsbedingungen, wo man ausreichend Gelegenheit hat, sich mit Inhalten zu befassen. Vollkommen klar ist jedoch, daß wir von Inhalten leben, und diese müssen brillant und großartig sein, sonst nützt auch die schönste Verpackung nichts.

SB: Sie sind weiterhin auch Intendant des SWR. Vor kurzem gab es dort eine Kontroverse um die Frage, wer bei Vorwahlsendungen mit dabei sein darf und wer nicht. Im Endeffekt haben Sie sich dafür stark gemacht, daß alle, die öffentlich relevant sind, vertreten sein sollen. Könnten Sie Ihren Standpunkt ein wenig erläutern?

PB: Ich glaube, daß der demokratische Diskurs davon lebt, daß man sich mit unterschiedlichen Meinungen auseinandersetzt, auch dann, wenn einem einzelne Meinungen nicht gefallen oder man sie sogar verurteilt. Meines Erachtens nützt es nichts, eine Partei oder Strömung in die Ecke zu drängen, weil ihr damit eine Märtyrerrolle zugedacht wird, die ihr nicht zukommt. Deswegen bin ich der Auffassung, daß sie ins Scheinwerferlicht muß, damit sich die Politiker der klassischen Parteien mit diesen neuen Kräften konfrontieren. Das ist vielleicht sogar der beste Weg, sie zu entzaubern und zu entmystifizieren.

SB: Gäbe es für Sie eine Grenze, ab der eine politische Partei nicht mehr zugelassen werden sollte?

PB: Wir haben in Deutschland ein klares Parteienprivileg. Wir lassen ja nicht jede Partei oder Strömung zu, aber wenn eine Partei nicht verboten ist und realistische Chancen hat, in die Parlamente einzuziehen, dann muß man ihr aus Gründen formaler Gleichheit diese Möglichkeit geben. Das ist aber bitte schön nicht so zu verstehen, daß ein Werbeschaufenster gestaltet wird, sondern es ist die Einladung zu einer öffentlichen Auseinandersetzung all der Politiker oder Parteien, die diese Meinung nicht teilen und sie bekämpfen. Es geht um den Meinungsstreit, um die geistige Kontroverse, nicht darum, daß man den einzelnen Parteien Werbemöglichkeiten verschafft.

SB: Ein aktueller Konflikt dreht sich um die Flüchtlingsfrage, und auch im Falle Syriens gibt es eine erhebliche Polarisierung der Meinungen und Positionen. Wie läuft der Diskussionsprozeß bei arte, wenn eine Sendung zu einem derart kontroversen Thema gemacht wird? Welche Aussagen sind vertretbar und welche nicht?

PB: Grundsätzlich herrscht bei uns keine Zensur. Wir sagen nicht, es gibt akzeptable und nicht-akzeptable Meinungen. Dokumentationen stellen einen künstlerischen Prozeß dar. Ich glaube, es funktioniert auch so, daß die Künstler und Autoren sich vorher Gedanken um die Botschaft machen bzw. um das, was sie damit vermitteln wollen. Es ist ja nicht so, daß mit diesen Programmen primär Politik gemacht wird, sondern im Gegenteil sollen die Augen geöffnet werden für kulturelle oder historische Hintergründe. Es geht darum, die Ursachen und vielleicht auch denkbare Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, warum eine bestimmte Situation so entstanden ist, wie sie sich aktuell darstellt, und darüber auch den Blick für geschichtliche, geopolitische und kulturelle Zusammenhänge zu weiten, weil man nur so versteht. Wer nicht versteht, agiert emotional und schwankt nur zwischen Ablehnung und Zustimmung. Verständnis zu wecken, darin sehe ich die originäre kulturelle Aufgabe.

SB: Was Europa betrifft, gibt es im Moment eine unverkennbare Polarisierung in verschiedenen Ländern mit einer starken Rechtsentwicklung. Was wäre aus Ihrer Sicht - auch mit Blick auf den Sender arte - notwendig, um einer weiteren Verschärfung der Lage vorzubeugen?

PB: Voranstellen möchte ich, daß wir keine politische Aufgabe haben. Dennoch beschäftigen wir uns mit diesem Phänomen aus einer journalistischen und auch distanzierten Sicht, indem wir die Entstehungsbedingungen solcher Parteien und ihren ökonomischen wie auch soziokulturellen Hintergrund aufzeigen. Warum haben wir dieses Phänomen, das jetzt in so vielen europäischen Staaten gleichzeitig auftritt, obwohl es Europa im großen und ganzen immer noch sehr gut geht, sowohl hinsichtlich der Ökonomie als auch der langen Friedensperiode? Man muß sich mit diesen Phänomenen sehr tief- und hintergründig beschäftigen, weil man sie sonst nicht versteht. Das ist unsere Aufgabe.

SB: Herr Boudgoust, vielen Dank für das Gespräch.


Beiträge zur arte-Jahrespressekonferenz im Schattenblick:

BERICHT/007: Europas Auge - arte im Wandel ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/report/mreb0007.html

INTERVIEW/008: Europas Auge - Konsens, Plural und Programme ...    Anne Durupty im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/report/mrei0008.html

16. Februar 2016


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