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ONKOLOGIE/1556: Forschung - Wenn die Uhr im Kopf falsch tickt. Ursprungsmechanismus der Tumorbildung entdeckt (idw)


IMBA / Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften GmbH - 14.03.2014

Wenn die Uhr im Kopf falsch tickt



Eine der häufigsten Ursachen für Krebs beim Menschen sind Mutationen in den Genen für einen Proteinkomplex namens SWI/SNF. Bisher war aber unklar, wie diese Erbgutveränderungen zur Tumorentstehung führen. Jürgen Knoblich und sein Team vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) konnten nun im Modellorganismus Fruchtfliege erstmals aufdecken, wie im Gehirn als Folge der Erbschäden das Wachstum von Nerven-Vorläuferzellen außer Kontrolle gerät. Ein solches Verständnis des Ursprungsmechanismus eines Tumors ist wichtig, um gezielt Medikamente zu seiner Bekämpfung entwickeln zu können.

Die Bildung von Organen wie zum Beispiel dem Gehirn wird aus einem Pool von Stammzellen gespeist. Diese besitzen die faszinierende Fähigkeit zur asymmetrischen Teilung. Dabei entsteht jeweils wieder eine neue Stammzelle und eine Zelle, die sich über weitere Teilungsschritte zu einer Nervenzelle ausdifferenziert.

"In dieser Stammzellabfolge bewegen sich die Zellen immer von unspezialisiert zu spezialisiert", erläutert Jürgen Knoblich, Gruppenleiter und Letztautor der aktuellen Studie im Fachmagazin Cell. "Das kehrt sich niemals um, außer in einem Tumor." Mit fatalen Folgen: Die Zellen erlangen ihre Fähigkeit zur Selbsterneuerung wieder. Es kommt zu ungebremstem Wachstum und schließlich zu den tödlichen Krebsgeschwüren.

Fruchtfliegen mit Krebs

Den Schuldigen vermuteten die Wissenschaftler um Jürgen Knoblich und seine Postdoktorandin Elif Eroglu in dem SWI/SNF Komplex. Wie viele andere Eiweiße in der Zelle nimmt auch dieser Proteinkomplex regulatorische Aufgaben wahr. Er verändert das sogenannte Chromatin, also die Struktur, in der das Erbmolekül DNA verpackt ist. Auf diese Weise steuert er, dass ein Gen zur richtigen Zeit abgelesen wird. Interessanterweise gibt es diesen Komplex sowohl bei der Fruchtfliege als auch beim Menschen. Bei Krebsarten wie Hirntumoren oder Leukämie haben Forscher beobachtet, dass die Gene, die die Bauanleitung für SWI/SNF enthalten, mutiert sind.

Was aber passiert genau in der Zelle, wenn der Proteinkomplex als Folge der Erbschäden fehlt? Das Team um Jürgen Knoblich hat dies am Gehirn der Fruchtfliege Drosophila untersucht. Bei diesem Modellorganismus lassen sich die Gene für den Komplex gezielt ausschalten. Die Forscher ließen derart mutierte Embryonen zu Fliegenlarven heranwachsen. Krebsgeschwülste überwucherten bald das ganze Gehirn. Die Wissenschaftler isolierten Zellen aus dem Tumor und untersuchten mit biochemischen Verfahren, welche Gene in den Zellen aktiv waren. Dabei stießen sie auf ein ausgefeiltes molekulares Uhrwerk, das in den Krebszellen empfindlich gestört war.

SWI/SNF schaltet die Zelluhr ein

Wie sich zeigte, ist der SWI/SNF-Komplex in der Stammzelle nicht aktiv. Sobald sie aber anfängt, sich zu spezialisieren, tritt er in Aktion. Dabei ist der Komplex wie ein Uhrmacher, der eine Uhr einschaltet, nämlich ein kompliziertes Programm aus Proteinen, den sogenannten Transkriptionsfaktoren. Diese sorgen dafür, dass Gene im richtigen Moment eingeschaltet werden, damit die Zelle sich über Zwischenschritte zu einer Nervenzelle entwickeln kann.

Gleichzeitig schaltet der Uhrmacher SWI/SNF noch ein wichtiges Eiweiß ein: Hamlet. Dieses ist das Uhrwerk und sorgt dafür, dass die Uhr nur ein paarmal "tickt", dann wird die Zellteilung gestoppt. Das Schlüsselprotein Hamlet gibt es auch beim Menschen, es heißt dort Evi1. Es ist zum Beispiel bekannt, dass bei Leukämie häufig auch Evi1 mutiert ist.

Die Ursprungszelle des Tumors

"Wenn der SWI/SNF-Komplex fehlt, machen die Stammzellen also zwar noch die Nerven-Vorläuferzellen, aber weder die Uhr noch das Uhrwerk. Obwohl sie dann aussehen wie spezialisierte Zellen, teilen sie sich unendlich oft", sagt Jürgen Knoblich.

"Es ist sehr wichtig, dass wir die Ursprungszelle eines Tumors identifizieren", betont auch Postdoktorandin Elif Eroglu. "Tumoren in späten Stadien sind aus verschiedenen Zellen aufgebaut. Bei manchen Krebsformen nimmt man an, dass sie in Stammzellen ihren Anfang genommen haben. In diesem Fall ist es aber eine Vorläuferzelle, die wieder stammzellartige Eigenschaften erlangt." Eine solche detaillierte Kenntnis des Mechanismus der Tumorentstehung ist wichtig, damit Krebsmediziner gezielt Medikamente zu seiner Bekämpfung entwickeln können.

Rückfragehinweis
Mag. Evelyn Devuyst, MAS
Pressesprecherin / Abteilungsleiterin Kommunikation
Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA)
Dr. Bohr Gasse 3
A-1030 Wien
evelyn.devuyst@imba.oeaw.ac.at


IMBA
Das IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie ist ein international anerkanntes Forschungsinstitut mit rund 200 Mitarbeitern aus 25 Ländern. Die Wissenschaftler wollen molekulare Prozesse in Zellen und Organismen erforschen und Ursachen für die Entstehung humaner Erkrankungen aufklären. Zwölf wissenschaftliche Arbeitsgruppen arbeiten an biologischen Fragestellungen aus den Bereichen Zellteilung, Zellbewegung, RNA-Interferenz und Epigenetik, ebenso wie an unmittelbaren medizinischen Fragestellungen aus den Gebieten Onkologie, Stammzellforschung und Immunologie. Das IMBA ist eine 100% Tochtergesellschaft der ÖAW.
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Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist die führende Trägerin außeruniversitärer akademischer Forschung in Österreich und verfügt über ein Jahresbudget von rund 75 Millionen Euro. Die 28 Forschungseinrichtungen beschäftigen insgesamt etwa 1.300 Personen und betreiben anwendungsoffene Grundlagenforschung in gesellschaftlich relevanten Gebieten der Natur-, Lebens- und Technikwissenschaften sowie der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften.
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften GmbH
Mag. Evelyn Devuyst, 14.03.2014
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2014