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ONKOLOGIE/1727: Designierter Wirkstoff macht Tumorzellen aggressiver (idw)


Helmholtz Zentrum München / Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 27.04.2016

Designierter Wirkstoff macht Tumorzellen aggressiver


Neuherberg, 27. April 2016. Wissenschaftler am Helmholtz Zentrum München wollen einen bei invasivem Brustkrebs häufig veränderten Signalweg mit einem Wirkstoff unterbrechen. Doch anstatt an Aggressivität zu verlieren, reagieren die Zellen darauf mit vermehrtem Wachstum und verändern ihr Invasionsverhalten. Die überraschenden Ergebnisse sind in Fachmagazin "Oncotarget" publiziert und könnten neue Therapieoptionen beeinträchtigen.

Wenn sich Brustkrebs fortentwickelt, beginnen Tumorzellen, das ursprüngliche Drüsengewebe zu verlassen, indem sie aktiv in das umliegende Gewebe einwandern und sich so im Körper verteilen. Krebsforscher sprechen hier vom Invasionsverhalten. Das Wissenschaftlerteam um Dr. Christina Scheel versuchte in der aktuellen Studie, diesen Prozess mit einem Inhibitor aufzuhalten. Der Wirkstoff blockiert das Molekül TGFBR1 (TGF-beta Receptor Type I), welches entscheidend dafür ist, dass Brustkrebszellen die Fähigkeit zur Invasion erlangen.

Das Team vom Institut für Stammzellforschung (ISF) konnte so verhindern, dass der wichtige Transkriptionsfaktor Twist1* aktiviert wird, der das invasive Verhalten der Zellen auf Ebene der Gene einleitet. Da Twist1 selber aber momentan nicht therapeutisch angreifbar ist, hatten die Forscher versucht, ihn über Umwege wie TGFBR1 zu treffen, um das Invasionsverhalten von Brustkrebszellen zu stoppen.

Überraschende Ergebnisse zeigen Anpassungsfähigkeit von Krebszellen

"Anfangs zeigten unsere Ergebnisse mit herkömmlichen Zellkulturmethoden, dass wir durch die Blockade von TGFBR1 tatsächlich viele der vorher gezeigten Effekte von Twist1 verhindern konnten", sagt Diana Dragoi, Doktorandin am ISF und Erstautorin der Studie. Als die Forscher allerdings die Brustkrebszellen aus der zweidimensionalen Petrischale in eine körperähnliche 3D-Umgebung umsetzten, erlebten sie eine Überraschung. Die Zellen schienen sich anzupassen, sodass Twist1 die Zellen dennoch invasiv werden ließ, auch wenn die Signalkette von TGFBR1 unterbrochen war.

Die Zellen hatten zu einer alternativen Art von Invasion gewechselt: Anstatt sich als Einzelzellen in der 3D-Umgebung fortzubewegen, bildeten sie größere strangförmige Verbände. Darüber hinaus teilten sich die Zellen deutlich häufiger - für die Wissenschaftler ein Zeichen, dass sie leichter in der Lage sind, an entfernten Orten Sekundärtumore (Metastasen) zu bilden. Letzteres ist die Haupttodesursache von Brustkrebspatienten.

"Zusammengenommen deutet unsere Studie darauf hin, dass die Hemmung von TGFBR1 den Transkriptionsfaktor Twist1 nicht davon abhält, die Invasion von Brustkrebszellen einzuleiten. Es stimuliert Twist1 vielmehr dazu, Krebszellen zu schaffen, die eher noch aggressiver sind", fügt Co-Autorin Anja Krattenmacher vom ISF hinzu.

"Diese Daten zeigen, wie wichtig sorgfältige präklinische Tests sind, um die in vivo Situation so gut wie möglich abzubilden und so viele Parameter wie möglich zu testen", fasst Studienleiterin Scheel zusammen. "Dies ist vor allem entscheidend, wenn man es mit einem so komplexen und mehrstufigen Prozess wie der Metastasierung zu tun hat."


Weitere Informationen

Hintergrund:
* Der Transkriptionsfaktor Twist1 kontrolliert das Verhalten von Zellen indem er festlegt wie oft bestimmte Bereiche im Erbgut abgelesen werden. Dabei handelt es sich in vielen Fällen um Gene, die Stammzelleigenschaften vermitteln. Gerät Twist1 außer Kontrolle, kann das jedoch zur Entstehung von Krebs beitragen. Erst kürzlich hatte die Gruppe von Christina Scheel herausgefunden, dass es für die Funktion von Twist1 auch eine Rolle spielt, wie lange es in den Zellen ununterbrochen wirkt.
https://www.helmholtz-muenchen.de/aktuelles/uebersicht/pressemitteilungnews/article/25893/index.html


Original Publikation:
Dragoi D. et al. (2016). Twist1 induces distinct cell states depending on TGFBR1-activation, Oncotarget, DOI: 10.18632/oncotarget.8878
http://www.impactjournals.com/oncotarget/index.php?journal=oncotarget&page=article&op=view&path[]=8878&author-preview=6um

• Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören. Das Helmholtz Zentrum München ist Partner im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung e.V.
www.helmholtz-muenchen.de

- Das Institut für Stammzellforschung (ISF) untersucht die grundlegenden molekularen und zellulären Mechanismen der Stammzellerhaltung und -differenzierung. Daraus entwickelt das ISF Ansätze, um defekte Zelltypen zu ersetzen, entweder durch Aktivierung ruhender Stammzellen oder Neuprogrammierung anderer vorhandener Zelltypen zur Reparatur. Ziel dieser Ansätze ist die Neubildung von verletztem, krankhaft verändertem oder zugrunde gegangenem Gewebe.
www.helmholtz-muenchen.de/isf


Fachliche Ansprechpartnerin:
Dr. Christina Scheel
Helmholtz Zentrum München -
Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)
Institut für Stammzellforschung
Nachwuchsgruppe "Mammary Stem Cells"
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg
E-Mail: christina.scheel@helmholtz-muenchen.de

Weitere Informationen finden Sie unter
https://www.helmholtz-muenchen.de/aktuelles/uebersicht/pressemitteilungnews/article/34445/index.html
Link zur Pressemitteilung

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution44

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, Sonja Opitz, Abteilung, 27.04.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2016

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