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UMWELT/245: Zur Bedeutung von Klimawandel und Luftverschmutzung als Bedrohung für die Gesundheit (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7-8/2017

Meinung
Die Ärzte und die Kohle

Von Dr. Ludwig Brügmann, Wilfried Deiss


Zur Bedeutung von Klimawandel und Luftverschmutzung als Bedrohung für die Gesundheit.


In den letzten Jahren häufen sich Berichte über den Zusammenhang von Klimawandel, Luftverschmutzung und Gesundheit. Renommierte Wissenschaftler sind sich einig, dass das Fossilzeitalter spätestens in 20 bis 30 Jahren beendet werden muss. Die entscheidende Frage ist, ob dies noch so rechtzeitig gelingen kann, dass eine Begrenzung der Erderwärmung unter zwei Grad erreicht wird. Neue Studien zeigen, dass Kohlekraftwerke in Europa sogar innerhalb der nächsten zehn Jahre abgeschaltet werden sollten.(1)

Nach zahllosen Klimakonferenzen existiert immer noch eine inakzeptable Differenz zwischen Absichtserklärungen und Realität. Die Pariser Klimakonferenz 2015 war ein Wendepunkt. Erstmalig konnte ein die Nationen bindender Vertrag abgeschlossen werden, in dem alle Länder den Zusammenhang zwischen der Verbrennung fossiler Energien und der Erderwärmung akzeptierten und sich zu einer Begrenzung auf deutlich unter zwei Grad verpflichteten, wenn auch zunächst nur freiwillig.

Die Erderwärmung durch Klimagase und die Luftverschmutzung durch Stickoxide, Schwefeloxide und Feinstaub erhöhen signifikant die Morbidität und Mortalität (siehe Info). Die immer noch unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen werden nach der Pariser Konferenz in Politik und Gesellschaft engagiert diskutiert. Die globale "Divestment-Bewegung" wächst seit Jahren stetig und ist zu einer politischen Kraft geworden. Unter Divestment versteht man das Gegenteil von Investment. Es bedeutet den gezielten Abzug von Aktien, Anleihen und Investmentfonds aus Fossil-Unternehmen, da sie dem Klima schaden und ein hohes finanzielles Risiko beinhalten, vor dem Finanzinstitute wie die Bank of England, die HSBC, der IWF und die Weltbank warnen. Um innerhalb der Zwei-Grad-Grenze zu bleiben, müssen 70 bis 80 Prozent der derzeit vorhandenen und bilanzierten fossilen Energiereserven im Boden bleiben und verlieren damit ihren Wert. Divestment trägt diesem Risiko Rechnung und sendet ein deutliches Signal an Politik und Investoren, dass das auf fossiler Energieerzeugung beruhende Geschäftsmodell keine Zukunft hat. Divestment erschwert solchen Unternehmen zudem die Refinanzierung. Aktuell haben sich in 76 Ländern 700 Institutionen mit fünf Billionen US-Dollar Anlagevermögen verpflichtet zu devestieren.(4)

Den Klimawandel als wichtiges Gesundheitsthema zu begreifen, spielte in der deutschen Ärzteschaft bislang eine geringe Rolle, obwohl die WHO ihn als "die entscheidende Herausforderung für die öffentliche Gesundheit im 21. Jahrhundert" bezeichnet.(5) Viele internationale medizinische Verbände wie der Weltärzteverband (WMA), die WHO, britische (BMA) und kanadische (CMA) Ärzteorganisationen, skandinavische Pensionskassen, englische Fachgesellschaften (Royal Colleges) und Fachjournale (The Lancet, BMJ) positionierten sich dagegen früh und eindeutig für ein Divestment. Es gibt also neben moralischen auch ökonomische Gründe, Geld aus fossilen Brennstoffen abzuziehen: Geld hat eine positive Wirkung.

Ein in letzter Zeit im Vordergrund stehender Aspekt sind die staatlichen Subventionen für Produzenten fossiler Brennstoffe (weltweit 444 Mrd. USD/Jahr, das entspricht knapp 1 Mio. USD/Min.). Aus diesem Grund initiierte die NGO HEAL kürzlich eine neue Aufklärungskampagne.(6)

Die "UK Health Alliance on Climate Change", die alle großen britischen Gesundheitsorganisationen umfasst (BMA, Fachgesellschaften, das BMJ und The Lancet), hat die britische Regierung aufgefordert, Kohlekraftwerke bis 2025 zu schließen. Luftverschmutzung sei die zweitgrößte Public Health-Bedrohung nach Rauchen. Das Beenden von Investitionen in Kohle sei ein doppelter Gewinn, um der zweifachen Bedrohung durch Luftverschmutzung und Klimawandel zu begegnen.(2) Ärzteorganisationen sowie Fachkräfte im Gesundheitswesen dürfen aus ihrer besonderen Verantwortung für die Gesundheit nicht gleichgültig gegenüber den Auswirkungen eines ungebremsten Klimawandels handeln: Klimaschutz bedeutet Krankheitsprävention.(3)

Nach einem Brief von 110 Mitgliedern der Berliner Ärzteversorgung mit einer Divestment/Reinvestment-Forderung beschloss diese, ihre CO2-intensiven Anlagen bis Mitte 2016 zu beenden und die Kriterien ihres Divestments zu veröffentlichen. Sie ist damit Vorreiter unter den ärztlichen Versorgungswerken. Die übrigen 18 Versorgungswerke (mit einem Gesamtanlagevermögen über 90 Mrd. Euro) wurden im März 2016 durch eine bundesweite Petition aufgefordert, ihre Beteiligungen an den 200 größten fossilen Unternehmen offenzulegen, zu beenden und die Beiträge in ethisch-sozial-ökologische Anlagen umzuschichten. Die Prognose für die Divestment-Strategie ist insgesamt günstig (50 Prozent aller Energie-Investitionen weltweit sind inzwischen regenerativ). 2.800 Ärzte sowie fünf Ärzteorganisationen unterstützen den Appell (https://www.weact.campact.de/efforts/aerzte-appell). Wir verstehen uns als Teil der Zivilgesellschaft und möchten den menschengemachten Klimawandel begrenzen. Die hippokratische Weisheit "primum nil nocere" ist aktueller denn je. Erweitert wird sie noch durch den Leitspruch der Divestment-Bewegung "Wenn es falsch ist, das Klima zu zerstören, dann ist es falsch, von dieser Zerstörung zu profitieren".

Die bisherige Reaktion auf unseren Appell war bei den Versorgungswerken unterschiedlich: Einige reagierten gar nicht, viele beteuerten, sich der Verantwortung bei ihren Anlagen bewusst zu sein und entsprechend zu handeln, andere wehrten unser Anliegen ab. Bei ersten Gesprächen mit zwei Vorständen von Ärzteversorgungswerken bestand Interesse und Dialogbereitschaft. Die Portfolios dieser beiden Versorgungswerke - mit Überprüfen der Nachhaltigkeit und Transparenz der Anlagestrategien - wurden uns gegenüber jedoch nicht offengelegt, somit sind wir als Mitglieder weiterhin auf Treu und Glauben angewiesen.

Bei der Bekämpfung des Klimawandels dürfen wir den CO2-Fußabdruck des Gesundheitssektors - in England gibt es verbindliche CO2-Reduktionsziele - wie auch den unseres eigenen Lebensstils nicht vergessen. Nach der "UCL-Lancet Commission on Health and Climate Change" ist der Klimawandel "die größte Bedrohung für die globale Gesundheit im 21. Jahrhundert".(3) Die Zeit drängt.


Info

Eine neue Studie in Großbritannien berichtet von 40.000 vorzeitigen Todesfällen p. a. (meist Herz-/Lungenerkrankungen) und die Kosten für das Gesundheitssystem betragen bis zu 3,1 Mrd. Pfund p. a.(2) Die potenziell massiven direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit gelten im Grunde als gesichert und bedrohen alle Fortschritte in der Entwicklung und der globalen Gesundheit der letzten 50 Jahre.(3)


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201707/h17074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Juli/August 2017, Seite 12
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2017

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