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REPRODUKTIONSMEDIZIN/123: Mehr Totgeburten nach IVF und ICSI (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 93 - 1. Quartal 2010
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Mehr Totgeburten nach IVF und ICSI

Von Stefan Rehder


Eine dänische Studie zeigt: Kinder, die mittels einer In-vitro-Fertilisation (IVF) oder einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) im Labor erzeugt werden, besitzen ein signifikant höheres Risiko, tot geboren zu werden, als Kinder, die durch Geschlechtsverkehr oder durch Insemination nach Hormontherapie gezeugt werden.


Seit Längerem ist bekannt, dass Kinder, die mittels einer In-vitro-Fertilisation (IVF) oder einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) erzeugt werden, ein deutlich höheres Risiko besitzen, mit schweren Fehlbildungen geboren zu werden, als Kinder, die noch auf traditionelle Weise von ihren Eltern gezeugt werden. Einige Untersuchungen - so etwa eine im Frühjahr 2002 im renommierten "New England Journal of Medicine" publizierte australische Studie - bezifferten das Fehlbildungsrisiko nach Labor-Zeugung per IVF beziehungsweise ICSI dabei gar als doppelt so hoch wie nach einer Zeugung durch Geschlechtsverkehr. Wer Reproduktionsmediziner fragte, wie sie es angesichts solcher Daten eigentlich verantworten könnten, IVF und ICSI weiterhin als Methoden der Wahl zu offerieren, wurde in der Regel schnell abgefertigt. Keine der zu diesem Thema erschienenen Studien könne belegen, dass die beiden Methoden der künstlichen Befruchtung ursächlich für die vermehrt beobachteten Fehlbildungen seien. Wahrscheinlich sei vielmehr, dass die eigentliche Ursache für die höhere Fehlbildungsrate das "oft schwer belastete Ausgangsmaterial" sei. Anders formuliert: Schuld sei nicht die Technik, sondern seien diejenigen, die sich ihrer zum falschen Zeitpunkt bedienten. Eine Sicht der Dinge, der trotz aller spontanen Antipathie, die man gegen sie hegen mag, eine gewisse Plausibilität nicht abgesprochen werden konnte. Denn tatsächlich sind es ja überwiegend Paare mit angeborenen oder erworbenen Fruchtbarkeitsstörungen, die sich mit der Bitte um ein Kind an die Reproduktionsmediziner wenden; noch dazu meist in einem Alter, in dem viele Paare die "Familienplanung" längst abgeschlossen haben.

Doch nun haben Forscher der dänischen Universität Aarhus diesem "Argument" einen kräftigen Dämpfer versetzt. Für ihre Studie, deren Ergebnisse jetzt in der Fachzeitschrift "Human Reproduction" veröffentlicht wurde, werteten die Wissenschaftler die Daten von mehr als 20.000 Frauen in Europa aus, die zwischen dem Sommer des Jahres 1989 und dem Herbst des Jahres 2006 niedergekommen waren. Dabei verglichen die Forscher die Totgeburten von Frauen, die ihr Kind einer natürlichen Zeugung verdankten, mit denen jener, deren Kinder durch eine einfache künstliche Befruchtung (Insemination nach Hormonbehandlung) und jener, deren Kinder durch IVF und ICSI erzeugt worden waren. Das Ergebnis: Frauen, die sich einer künstlichen Befruchtung mittels IVF oder ICSI unterzogen hatten, erlitten viermal so häufig Totgeburten wie Frauen, deren Kinder natürlich oder mittels einer Insemination nach Hormonbehandlung gezeugt worden waren. Während in den letzten beiden Fällen - bezogen auf je 1000 Schwangerschaften - 3,7 beziehungsweise 2,3 Totgeburten zu beklagen waren, schoss der Anteil der Totgeburten nach IVF und ICSI auf 16,2 in die Höhe.

Brisant sind die Ergebnisse der dänischen Forscher auch, weil durch eine so genannte Multivariatsanalyse denkbare Einflussfaktoren wie Alter, Body-Mass-Index sowie Tabak-, Alkohol- und Koffeinkonsum während der Schwangerschaft als mögliche Erklärungen ausgeschlossen wurden. Die Leiterin der Studie, Kirsten Wisborg vom Universitätsklinikum Aarhus, interpretiert die erhaltenen Ergebnisse denn auch so: "Es hat sich gezeigt, dass das Totgeburtrisiko von allen Frauen in etwa gleich war - ausgenommen derjenigen, die sich IVF oder ICSI unterzogen hatten. Deshalb müssen wir davon ausgehen, dass das Totgeburtrisiko nicht vom Grad der Fruchtbarkeit abhängt, sondern mit der Empfängnismethode zusammenhängt."

Die Empfängnismethode hat Einfluss auf das Totgeburtsrisiko

Gegner künstlicher Befruchtungen hatten in der Vergangenheit sowohl die In-vitro-Fertilisation als auch die intrazytoplasmatische Spermieninjektion immer wieder besonders scharf kritisiert. Dabei wurde bei der IVF vor allem kritisiert, dass es unmöglich sei, im Labor exakt die Bedingungen zu simulieren, die eine Eizelle im Uterus vorfindet. Wie angebracht dieser Kritikpunkt ist, zeigt die Tatsache, dass die Rate der Totgeburten bei Frauen, die sich nach einer Hormonbehandlung einer Insemination unterzogen hatten, wenn auch unwesentlich, so doch unterhalb der Rate der Totgeburten bei Frauen lag, die durch natürliche Zeugung schwanger wurden. Bei ICSI ist der widernatürliche Anteil im Zeugungsgeschehen noch weitaus größer als bei der IVF. Dies liegt zum einen daran, dass das Spermium bei dieser Methode direkt in die Eizelle gespritzt wird. Damit umgeht das Verfahren die natürlichen Barrieren, die Eizellen gegen Spermien errichtet haben, die nicht zur Befruchtung fähig sind. Zum anderen wird bei der ICSI die Eizelle gewissermaßen "vergewaltigt". Während es bei der natürlichen Zeugung zunächst zu einer Interaktion von Spermium und Eizelle kommt, die zur Freisetzung von Substanzen aus der Spitze des Spermienkopfes führt, welche die Eizellhülle für das Spermium durchlässig macht, wird mit der ICSI-Methode die so genannte Imprägnation einfach übergangen.

Die Daten der dänischen Forscher legen den Schluss nahe, dass sowohl Abweichungen von der natürlichen Umgebung als auch das Übergehen einzelner Schritte des natürlichen Zeugungsvorgangs verheerende Folgen nach sich ziehen können. Dass die Reproduktionsmediziner es künftig ablehnen werden, die Verantwortung für derartige Folgen zu tragen, braucht indes so lange nicht erwartet werden, wie das Tragen dieser Verantwortung weiterhin kostenlos zu haben ist.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Gewaltsame Befruchtung: Bei der ISCI-Methode kann die Eizelle keine natürliche Barriere gegen fehlerhafte Spermien aufbauen.


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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 93, 1. Quartal 2010, S. 19 - 20
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminsky (V.i.S.d.P.)
Verlag: Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2010