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BILDUNG/1072: Medizinstudium - Mit mehr Praxisnähe zum erfolgreichen Arzt (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2017

Medizinstudium
Mit mehr Praxisnähe zum erfolgreichen Arzt

von Dirk Schnack


Der Masterplan 2020 für das Medizinstudium war ein mühsamer Kompromiss. In der Ärzteschaft wird nicht alles begrüßt, was die Politiker für die Ausbildung planen.


Der Masterplan Medizinstudium ist einer der letzten Kompromisse, auf den sich die große Koalition vor dem Bundestagswahlkampf einigen konnte. Das Thema ist fachlich und politisch anspruchsvoll, denn neben dem Bundesgesundheits- und dem Bundesforschungsministerium mussten die Fraktionen der beiden Regierungsparteien und die Bundesländer mit ins Boot geholt werden. Daneben begleitete die Ärzteschaft das Thema kontinuierlich mit ihren Anregungen.

Herausgekommen ist ein umfangreiches Maßnahmenpaket, das auf eine größere Praxisnähe in der Ausbildung setzt und die Schulung der kommunikativen Fähigkeiten sowie die Allgemeinmedizin an den Hochschulen stärken soll. Auch bei der Zulassung wurden Änderungen vorgenommen. Neben der Abiturnote sollen künftig vorherige Ausbildungen und soziale Fähigkeiten eine größere Rolle spielen. Die Hochschulen sollen außerdem in die Lage versetzt werden, künftig zehn Prozent ihrer Studienplätze an Bewerber zu vergeben, die sich zu einer Landarzttätigkeit verpflichten.

Der Kompromiss ist wie zu erwarten auf ein geteiltes Echo gestoßen. Prof. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, hätte sich Finanzierungszusagen und zusätzliche Studienplatzkapazitäten gewünscht. Dr. Franz Hartmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, ist insbesondere mit der Landarztquote nicht zufrieden. "Wir müssen aufpassen, dass wir die jungen Kollegen nicht in eine Sackgasse manövrieren", sagt Bartmann. Sinnvoller wäre es, die Bedingungen für diese Tätigkeit zu verbessern. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein und der Bundesverband der Medizinstudierenden sehen die Landarztquote kritisch.

Ob die Quote in Schleswig-Holstein kommt, war bis Redaktionsschluss ungewiss. Für Wissenschafts- und Gesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD) kommt sie laut einer vor der Landtagswahl getroffenen Aussage erst in Betracht, wenn alle anderen Maßnahmen die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung nicht gewährleisten können - von der Opposition in Kiel erntete sie dafür heftige Kritik.


Medizinstudium mit Landzwang

Der Masterplan Medizinstudium 2020 hat für Aufmerksamkeit auch im Norden gesorgt. Nicht alle Erwartungen werden erfüllt.

Das künftige Medizinstudium soll praxisorientierter werden, es soll die kommunikative Kompetenz der künftigen Ärzte stärken und diese sollen nach veränderten Auswahlverfahren ausgesucht werden. Soweit entspricht der "Masterplan Medizinstudium 2020" den Forderungen der Ärzteschaft, die sich in den vergangenen Jahren intensiv in die Diskussion um eine Reform eingebracht hatte. Einen entscheidenden Punkt aber haben Bund und Länder bei ihrer Einigung auf die Reform ausgeklammert: die Finanzierung. Offenbar auf Betreiben der Länder wurde die vollständige Umsetzung des Masterplans unter Haushaltsvorbehalt gestellt.

Damit ist auch zu erklären, dass die Resonanz bei ärztlichen Körperschaften und Verbänden eher verhalten ausfiel. Prof. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, nannte die fehlende langfristige Finanzierungsvereinbarung "enttäuschend", denn: "Dadurch fehlen klare Vorgaben für wichtige Bereiche." So wurde etwa die aus seiner Sicht "dringend erforderliche" Erhöhung der Studienplatzkapazitäten auf unbestimmte Zeit vertagt. Nur als Soll-Bestimmung taucht die bundesweite Etablierung von Lehrstühlen für Allgemeinmedizin im Masterplan auf; finanzschwächere Länder werden diese Bestimmung also kaum umsetzen. Nicht alle Bundesländer haben wie SchleswigHolstein schon an zwei Hochschulstandorten Lehrstühle für Allgemeinmedizin.

"Bloße Absichtserklärungen bringen uns nicht weiter. Hier muss dringend nachgebessert werden", forderte Montgomery in diesem Zusammenhang. Er erinnerte die Länder an ihre Verantwortung für die ärztliche Nachwuchsförderung und an die lange Zeitspanne, bis eingeleitete Änderungen wirksam werden: "Allen Beteiligten sollte klar sein: Wer die Ausbildung der Mediziner ändert, muss etwa 15 Jahre warten, bis die Ergebnisse in der Patientenversorgung ankommen." Für ihn steht fest, dass "wir keine Zeit mehr vergeuden dürfen".

Deutlich positiver lesen sich die Mitteilungen des Bundesgesundheitsministeriums und des Bundesforschungsministeriums nach der Einigung mit den Ländern. Auch die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) zeigte sich von der Einigung auf die Reform erleichtert. DEGAM-Präsidentin Prof. Erika Baum erwartet nun eine wesentliche Qualitätsverbesserung und eine praxisnähere Ausrichtung. Bundesforschungsministerin Prof. Johanna Wanka lobte die Einigung: "Mit dem Masterplan werden die Herausforderungen an die nächste Medizinergeneration definiert und Weichen für deren Ausbildung gestellt. Das Studium erhält mehr Praxisbezug, kommunikative und soziale Fähigkeiten bekommen mehr Gewicht, um die Arzt-Patienten-Beziehung zu stärken, die für den Behandlungserfolg besonders wichtig ist. Außerdem wird die Allgemeinmedizin ausgebaut. Der sichere Umgang mit wissenschaftlichen Konzepten und Methoden soll bereits während der Ausbildung systematisch vermittelt werden." Ähnlich positiv fielen die Statements aus der Gesundheits- und der Kultusministerkonferenz und von den gesundheitspolitischen Sprechern der großen Koalition auf Bundesebene aus.

Zentrale Punkte aus dem Masterplan sind:

Kompetenzorientierung
Das Studium soll sich an den künftigen ärztlichen Aufgaben und den dafür notwendigen Kompetenzen ausrichten. Die Studierenden sollen neben Wissen auch Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen erwerben. Das soll vor allem fächerübergreifend erfolgen, um der Komplexität von Gesundheit und der Entstehung von Krankheit Rechnung zu tragen. Ärzte sollen imstande sein, das eigene Handeln vor den Hintergrund neuer medizinischer Erkenntnisse fortwährend zu prüfen. Das Studium soll deshalb zu einem routinierten Umgang mit wissenschaftlichen Konzepten, Methoden und Befunden befähigen. Besonderes Augenmerk gilt der Arzt-Patienten-Kommunikation. Im Studium sollen die Grundlagen für eine gute ärztliche Gesprächsführung als zentrales Element in der ärztlichen Tätigkeit gelegt werden. Die arbeitsteilige Zusammenarbeit mit mitbehandelnden bzw. hinzuzuziehenden Ärzten anderer Fachrichtungen und mit Angehörigen anderer Gesundheitsberufe einschließlich der Pflegeberufe soll eine stärkere Rolle spielen als bisher.

Praxisnähe
In der Ausbildung soll die Orientierung am Patienten und seinen Bedürfnissen früh erlernt und eingeübt werden. Weil sich die ärztliche Versorgung zunehmend vom stationären in den ambulanten Bereich verlagert, sollen angehende Ärzte auch ganz alltägliche Erkrankungen in der ambulanten und stationären Praxis kennenlernen. Dazu werden klinische und theoretische Inhalte künftig vom ersten Semester an miteinander verknüpft. Lehrpraxen werden verstärkt in die ärztliche Ausbildung einbezogen. Um ein ausreichendes Netz an Lehrpraxen aufzubauen, werden die medizinischen Fakultäten neue Praxen rekrutieren und Lehrärzte qualifizieren. Von Ärztekammern, Kassenärztlichen Vereinigungen und ärztlichen Berufsverbänden wird in dieser Frage Unterstützung erwartet.

Stärkung der Allgemeinmedizin:
Damit soll dem Fach Allgemeinmedizin schon in der Ausbildung der Stellenwert beigemessen werden, der ihm in der Versorgung zukommt. Ziel ist es, das Interesse der Studierenden an dem Fach zu stärken und mehr Allgemeinärzte zu gewinnen. Deshalb werden alle Studierenden im Staatsexamen in der Allgemeinmedizin geprüft. Die Struktur des PJ wird von Tertialen auf Quartale und damit auf vier Ausbildungsabschnitte von je zwölf Wochen umgestellt. Die Ausbildungsabschnitte in der Inneren Medizin und in der Chirurgie werden als Pflichtquartale beibehalten. Sie werden durch zwei Wahlquartale in anderen klinisch-praktischen Fachgebieten (Wahlfächer) ergänzt, von denen mindestens eines im ambulanten vertragsärztlichen Bereich zu absolvieren ist. Sofern ein Wahlquartal in der Allgemeinmedizin absolviert wird, wird das zweite Wahlfach viertes Prüfungsfach. Wird keines der beiden Wahlquartale in der Allgemeinmedizin absolviert, wird eines der Wahlfächer am Ende des PJ durch das Landesprüfungsamt per Losentscheid zum vierten Prüfungsfach (neben der Chirurgie, der Inneren Medizin und der Allgemeinmedizin) bestimmt. Der longitudinale Aufbau der allgemeinmedizinischen Lehrveranstaltungen wird im Medizinstudium verankert durch z. B. regelmäßig wiederkehrende Hospitationen in allgemeinmedizinischen Praxen von Beginn des Medizinstudiums an, durch die Ableistung eines Praktikums in der hausärztlichen Versorgung - bevorzugt in ländlichen Regionen - oder durch andere Formen wie z. B. "Landarzt-Track", "Landpartie", "Klasse für Allgemeinmedizin" usw. Von den medizinischen Fakultäten wird erwartet, dass sie Mentoring-Programme initiieren, an denen sich u. a. Kassenärztliche Vereinigungen, Ärztekammern und Kommunen beteiligen können. Das Blockpraktikum in der Allgemeinmedizin wird beibehalten. Außerdem wird von den medizinischen Fakultäten erwartet, dass sie das Fach Allgemeinmedizin für Nachwuchsmediziner attraktiver gestalten und schon in der Ausbildung stärker in den Fokus rücken. Es wird das Ziel verfolgt, an den medizinischen Hochschulen Lehrstühle für Allgemeinmedizin zu errichten. Damit will man die Attraktivität des Faches Allgemeinmedizin für Studierende erhöhen und die Hochschulen bei der Stärkung ihrer Profilierung in der Allgemeinmedizin unterstützen.

Praxisnahe Prüfungen
Ablauf, Inhalt und Form der Prüfungen sollen standardisiert und aufeinander abgestimmt sein. Durch einheitliche staatliche Prüfungen werden Unterschiede zwischen den derzeitigen Regel- und Modellstudiengängen aufgehoben, die Leistungsstandards an den Fakultäten sollen damit vergleichbar gemacht werden. Die Ärztliche Prüfung ist in drei Abschnitten abzulegen. Nach dem ersten Studienabschnitt wird eine einheitliche staatliche Prüfung vorgegeben. Sie besteht aus einem schriftlichen (nach vier Semestern) und einem mündlich-praktischen Teil (nach sechs Semestern). Für den zweiten, schriftlichen Abschnitt der Staatsprüfung wird der bisher faktenorientierte Gegenstandskatalog überarbeitet. Mittelfristig soll die Durchführung des schriftlichen Teils des Staatsexamens mit elektronischer Unterstützung stattfinden und damit das Spektrum von kompetenzorientierten schriftlichen Prüfungsformaten erweitert werden. Die dritte staatliche Prüfung am Ende des Studiums beinhaltet wie bisher die Prüfung am Patientenbett. Dabei werden Anamnese und körperliche Untersuchung unter Aufsicht der Prüfer erfolgen und mittels standardisierter Checklisten bewertet. Der bisherige zweite Prüfungstag in der abschließenden staatlichen Prüfung wird umgestaltet.

Zulassung
Ziel ist es, diejenigen Bewerber zum Medizinstudium zuzulassen, die die beste Aussicht mitbringen, das Studium erfolgreich abzuschließen, gute Ärzte insbesondere in der Versorgung der Patienten zu werden oder in der Wissenschaft und Forschung erfolgreich tätig zu sein. Die Abiturnote wird auch weiterhin ein wichtiges Auswahlkriterium im Zulassungsverfahren bleiben, ihr Gewicht relativiert sich aber mit der Anzahl zusätzlicher Kriterien. Soziale und kommunikative Kompetenzen sowie einschlägige Berufserfahrung im Auswahlverfahren sollen stärkeres Gewicht erhalten. 60 Prozent der Studienplätze werden über das Auswahlverfahren der Hochschulen vergeben. Dieses Verfahren wird stärker auf Fähigkeiten ausgerichtet, die für künftige Ärzte wichtig sind. Das Hochschulzulassungsrecht wird dahingehend geändert, dass die Hochschulen in ihren Auswahlverfahren neben der Abiturnote mindestens zwei weitere Auswahlkriterien anwenden. Diese sollen insbesondere die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten sowie die Leistungsbereitschaft der Bewerber einbeziehen. Eine Ausbildung oder Tätigkeit in medizinischen Berufen soll stärker gewichtet werden. Auch andere Erfahrungen im Rahmen von Studien-, Ausbildungsoder Praxiszeiten im Gesundheits- oder Pflegebereich bzw. durch ehrenamtliches Engagement in einem medizinnahen Bereich sollen als Nachweis einer besonderen Motivation für den Arztberuf berücksichtigt werden. Zur Einschätzung arztrelevanter Kompetenzen empfiehlt sich der Einsatz von Studierfähigkeitstests und Auswahlgesprächen.

Flächendeckende Versorgung
Absolventen des Medizinstudiums sollen in höherem Maße als bislang für eine ärztliche Tätigkeit auf dem Land gewonnen werden. Dazu sollen die Studierenden frühzeitig Erfahrungen mit der ärztlichen Tätigkeit in ländlichen Regionen sammeln können. In der Hochschulzulassung wird die Möglichkeit eröffnet, bis zu zehn Prozent der Medizinstudienplätze vorab an Bewerber zu vergeben, die sich verpflichten, nach Abschluss des Studiums und der fachärztlichen Weiterbildung in der Allgemeinmedizin für bis zu zehn Jahre in der hausärztlichen Versorgung in unterversorgten oder in von Unterversorgung bedrohten Planungsbereichen tätig zu sein. Hierbei sind die fachliche Eignung und Motivation zur hausärztlichen Tätigkeit in besonderen Auswahlverfahren zu überprüfen. Die eingegangene Verpflichtung wird mit wirksamen Sanktionen abgesichert. Ob eine solche Quote eingeführt wird, entscheiden die jeweiligen Bundesländer.

Die Hochschulen sollen außerdem ihre Gestaltungsspielräume nutzen, um mehr Lehrkrankenhäuser auch im ländlichen Raum dauerhaft einzubinden und bei der Auswahl der Lehrpraxen auf angemessene regionale Verteilung achten.

Studierende sollen bei den zusätzlichen Fahrt- und Unterkunftskosten, die im Einzelfall mit Ausbildungsabschnitten im ländlichen Raum einhergehen, unterstützt werden. Studienbegleitende Angebote zum aktiven Kennenlernen des Berufsalltags niedergelassener Ärzte werden begrüßt. Das Bundesgesundheitsministerium wird außerdem eine Informationsplattform initiieren, um den Bekanntheitsgrad und die Information über bereits bestehende Ausbildungsmodelle und die vielfältigen finanziellen Fördermaßnahmen bei den Hochschulen und den Studierenden zu steigern.

"Es ist nicht sinnvoll, jungen Menschen, die gerade die Schule verlassen haben, eine so weitreichende Entscheidung abzuverlangen."

Insbesondere die Zehn-Prozent-Quote mit späterer Verpflichtung führte im Norden zu kritischen Stimmen. "Aus meiner Sicht kommt eine Landarztquote erst dann in Betracht, wenn alle anderen Maßnahmen die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung nicht gewährleisten können", sagte Schleswig-Holsteins Gesundheits- und Wissenschaftsministerin Kristin Alheit (SPD). Während die CDU ihr daraufhin - noch im Wahlkampf - sogar "Versagen bei der Bekämpfung des Landarztmangels" vorwarf und ankündigte, das Problem "anzupacken", warmen Schleswig-Holsteins Kammerpräsident Dr. Franz Bartmann (siehe Interview) und die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) in dieser Hinsicht vor Aktionismus. Die KVSH begrüßte zwar, dass das Medizinstudium durch die Reform patientenorientierter und praxisnäher gestaltet werden soll. Auch sei es richtig, den Stellenwert der Allgemeinmedizin weiter anzuheben und allgemeinmedizinische Inhalte künftig möglichst ab dem ersten Semester über das gesamte Studium hinweg zu vermitteln: "Es müssen sich wieder mehr Studenten für den Hausarztberuf entscheiden, damit in Zukunft - vor allem auf dem Land - keine allzu großen Lücken in der allgemeinmedizinischen Versorgung entstehen", so die KVSH. Aber Vorstandschefin Dr. Monika Schliffke gab auch zu bedenken: "Skeptisch sehen wir die sogenannte Landarztquote (...) Ein solcher Zwang löst nicht das Versorgungsproblem. Es ist nicht sinnvoll, jungen Menschen, die gerade die Schule verlassen haben, eine so weitreichende Entscheidung abzuverlangen. Zumal diese erst ein Jahrzehnt später - nach Studium und mehrjähriger Weiterbildung - wirksam wird." Auf dem Land werden nach Erfahrung Schliffkes vielmehr Ärzte benötigt, die sich bewusst und motiviert für eine Tätigkeit abseits der großen Städte entscheiden und diese Option nicht nur als "Preis" für einen Studienplatz in Kauf nehmen. Ein solches Vorgehen könne sich sogar kontraproduktiv auf das Image des ländlichen Raums bei Medizinern auswirken. Ob und wann es in Schleswig-Holstein eine Landarztquote geben wird, ist nach derzeitigem Stand also offen. Ohnehin lässt sich vorerst nicht abschätzen, inwieweit die Maßnahmen des Masterplans tatsächlich greifen. Im Plan selbst formuliert die Politik es so: "Das Medizinstudium ist nicht nur durch Bundes- und Landesrecht geprägt, vielmehr gewährt die mit Verfassungsrang ausgestattete Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre den Hochschulen hier weitreichende Spielräume. Wir sind überzeugt, dass die Hochschulen diese Spielräume eigenverantwortlich und verantwortungsvoll ausschöpfen."

Sollten sie dies nicht tun und auch andere Maßnahmen nicht wie erwartet greifen, soll zeitnah eingegriffen werden. Mit der Verabschiedung des Masterplans ist zugleich eine Expertenkommission eingesetzt worden, die die Auswirkungen der beschlossenen Maßnahmen auf die Studienplatzsituation u nd die Kosten untersucht und innerhalb eines Jahres einen Vorschlag zur Änderung der Approbationsordnung für Ärzte erarbeiten soll.

Der Marburger Bund begrüßt zwar manche Punkte aus der Reform, berichtet aber von "zwiespältigen Reaktionen" unter den Medizinstudierenden. Für die Ärztegewerkschaft steht fest: "Der Ärztemangel, insbesondere der Mangel an Landärzten, wird sich nicht durch den Masterplan beheben lassen. Angehende Ärzte werden sich nur dann für bestimmte, besonders versorgungsrelevante Fachrichtungen entscheiden, wenn sie gute Arbeits- und Lebensbedingungen vorfinden", sagte Victor Banas, Vorsitzender des Sprecherrats der Medizinstudierenden im Marburger Bund.

Der Bundesverband der Medizinstudierenden begrüßte zwar die Einigung, kann sich mit der Landarztquote aber ebenfalls nicht anfreunden. Sie ist aus Sicht der Studierenden "eine unverhältnismäßige Einschränkung der beruflichen Wahlmöglichkeiten, die keine nachhaltige Lösung des Versorgungsproblems bietet". Stattdessen fordert der bvmd "eine ehrliche Debatte über die Gründe, warum es junge Ärzte nicht in ausreichendem Maße in unterversorgte, ländliche Regionen zieht". Und er liefert gleich eine Antwort: Bürokratieabbau, geregelte Arbeitszeiten, anziehende infrastrukturelle Aspekte, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie eine finanzielle Förderung für Ausbildungsabschnitte in ländlichen Gebieten spielen dabei eine entscheidende Rolle. Daneben müssten Weiterbildungs- und Arbeitsbedingungen für Ärzte auf dem Land deutlich attraktiver gestaltet werden, um eine flächendeckende Versorgung auch in Zukunft sicherzustellen.

Als "eher enttäuschend" hat der Hartmannbund den Masterplan bezeichnet. Mit der optionalen Landarztquote, dem zusätzlichen ambulanten Pflichtabschnitt im Praktischen Jahr und einer nach Ansicht des Hartmannbundes "zu einseitigen Fokussierung auf das Fach Allgemeinmedizin" setze man in wichtigen Fragen eher auf Zwang und Lenkung statt auf Motivation und Freiheit. "Dahinter verblassen leider einige durchaus positive Ansätze, wie wir sie zum Beispiel in einer Veränderung der Zulassungsbedingungen zum Studium oder in der Stärkung der Wissenschaftlichkeit sehen", sagte Moritz Völker, Vorsitzender des Ausschusses der Medizinstudierenden im Hartmannbund. Statt noch mehr innovativen Konzepten eine Chance zu geben und das Medizinstudium zukunftsfähig zu gestalten, habe sich die Politik mit ihrer Konzentration auf versorgungspolitische Aspekte in der Masterplan-Debatte "verkrampft". Folge: Der Masterplan wird nicht zu den gewünschten Erfolgen führen.

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Interview mit Dr. Franz Bartmann

SHÄB: Nach mehreren Verhandlungsjahren haben sich Bund und Länder auf den Masterplan geeinigt - aus Ihrer Sicht der große Wurf oder eher ein Kompromiss auf kleinem Nenner?

Dr. Franz Bartmann: Bei dem Begriff "großer Wurf" muss man in der Politik sofort misstrauisch werden - dass ein solcher gelingt, ist nur schwer vorstellbar und ich halte es auch für falsch, ihn in Zusammenhang mit dem Masterplan anzuwenden. Die Entscheidungswege sind ja auch eher so angelegt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Kompromisses auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner deutlich größer ist. So ist es beim Masterplan für das Medizinstudium auch eingetreten. Etwas anderes war aus meiner Sicht kaum möglich.

Was erhoffen Sie sich konkret von den dort vereinbarten Punkten?

Bartmann: Ich hoffe, dass die Reform eine Ausbildung ermöglicht, die angehende Ärzte in ihrer Persönlichkeit stärkt und formt. Es kommt auch, aber eben nicht nur auf das Abrufen von Wissen an, sondern auf den Umgang mit den Patienten. Je früher die Medizinstudierenden an die künftigen ärztlichen Basistätigkeiten herangeführt werden, desto besser. Zum Glück sind wir da in Schleswig-Holstein mit einigen Maßnahmen ohnehin schon ziemlich weit.

Gibt es Punkte, die Sie vermissen?

Bartmann: Nein, die Reformliste ist ja tatsächlich ziemlich umfangreich und in Teilbereichen auch erfreulich konkret. Wichtig ist jetzt, dass es nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt und die Reform auch wirklich etwas bewirkt. Ich kann Ihnen aber sagen, was ich persönlich auf keinen Fall vermisse - nämlich die von vielen Seiten geforderte Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze. Die Fokussierung auf Köpfe halte ich für genauso wenig zielführend wie die Landarztquote. Beides trägt aus meiner Sicht nicht zur Lösung unserer Probleme bei. Um es klar zu sagen: Wenn Ärzten eine Tätigkeit auf dem Land nicht attraktiv genug erscheint, muss die Attraktivität gesteigert werden. Auch wenn wir 1.000 Absolventen mehr an den Hochschulen hätten, würde dies nicht automatisch zu einer erhöhten Nachfrage nach Landarztpraxen führen. Auch die Verpflichtung von angehenden Medizinstudenten auf eine Landarzttätigkeit sehe ich mit großer Skepsis. Was ist von einer Tätigkeit zu halten, auf die junge Menschen zwangsverpflichtet werden müssen? Wir müssen aufpassen, dass wir die jungen Kollegen nicht in eine Sackgasse manövrieren. Sinnvoller wäre es, die Bedingungen für diese Tätigkeit zu verbessern. Mit Zwang lösen wir diese Probleme nicht.

Stichwort Landarztpraxen: Viele Landärzte haben bei ihrer Lebensplanung auf eine Alterssicherung durch Veräußerung ihrer Praxen gesetzt. Hätten die bei einer höheren Zahl von Absolventen nicht größere Chancen, dies zu realisieren?

Bartmann: Nein, weil dieses über Jahrzehnte bewährte Modell für die nächste Generation nicht das bevorzugte ist. Für die jetzt und in den kommenden Jahren aus dem Berufsleben ausscheidende Generation ist das eine schwere Hypothek und ich kenne persönlich Beispiele, in denen das zu wirtschaftlichen Härten führt, die ich niemandem wünsche. Aber für solche Fälle brauchen wir andere Lösungen, als die neue Generation zu einem Modell zu zwingen, das schon heute für viele nicht erstrebenswert erscheint.

Zurück zum Masterplan, der besonderes Augenmerk auf die Arzt-Patienten-Kommunikation legt. Im Studium sollen die Grundlagen für eine gute ärztliche Gesprächsführung als zentrales Element in der ärztlichen Tätigkeit gelegt werden. Ist das in der Vergangenheit zu kurz gekommen? Wie haben Ärzte denn bislang das Gespräch mit dem Patienten erlernt?

Bartmann: Ich gebe Ihnen recht: Viele der jetzt tätigen Ärzte beherrschen eben nicht nur das Fachliche, sondern verstehen sich sehr gut auf die Kommunikation mit ihren Patienten. Aber wer nicht gerade ein Naturtalent auf diesem Gebiet ist, hat sich das mühsam und nicht immer konfliktfrei im Laufe des Berufslebens erarbeitet. Und längst nicht immer ist das Ergebnis wie erwünscht und erwartet. Es wäre schon gut, wenn man da auf einer soliden Basis aus der Ausbildung aufbauen könnte. Diesen Punkt des Masterplans begrüße ich daher außerordentlich.

Unterschiede zwischen Regel- und Modellstudiengängen sollen aufgehoben und die Leistungsstandards an den Fakultäten damit vergleichbar gemacht werden - berauben wir uns damit nicht einer Vielfalt, die Innovationen fördert?

Bartmann: Diese Gefahr besteht. Die Modellstudiengänge haben uns vorangebracht und ich halte es für fatal, dies für Gleichmacherei zu opfern. Wir dürfen uns nicht der Möglichkeit berauben, Neues auszuprobieren.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Dirk Schnack

Dr. Franz Hartmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, hält die Landarztquote für den falschen Weg.

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Blockpraktikum in der Landarztpraxis

Gemessen an den Schlagzeilen, die die politische Einigung auf den Masterplan Medizinstudium 2020 hervorrief, sind die Reaktionen von Olaf Petzoldt und Nils Hansen sehr verhalten. So richtig im Detail, räumen sie ein, haben sie sich auch noch nicht damit beschäftigen können. Schließlich wird die Reform sie nicht mehr persönlich betreffen. Petzoldt ist längst Facharzt für Allgemeinmedizin und seit 13 Jahren niedergelassen in Karby bei Kappeln. Hansen ist Medizinstudent im zehnten Semester und war gerade zum einwöchigen Blockpraktikum bei Petzold - zum zweiten Mal schon, weil ihm die ersten Einblicke im fünften Semester vielversprechend erschienen.

Das Blockpraktikum ist einer der Bestandteile im Studium, die die Politik weiterhin als notwendig erachtet. Der frühe Kontakt mit der Allgemeinmedizin, der damit ermöglicht wird, wird als erstrebenswert angesehen und soll gefördert werden. Der 54-jährige Petzoldt begrüßt diesen Ansatz und gewährt den Studierenden gerne den Einblick in sein Fach, das er persönlich als "Königsdisziplin" empfindet, weil es so breite Anforderungen an den Mediziner stellt und er manche Patienten durch ihr Leben - bis zum Ende - begleiten kann. Auch hat er selbst als Student in Kiel schon ein Praktikum in einer allgemeinärztlichen Praxis machen dürfen, damals bei Matthias Seusing in Kiel. Die von der Politik als Ziel formulierte Praxisnähe gab und gibt es also zumindest in Ansätzen. "Besser wäre es aber, wenn die Studenten im fortgeschrittenen Studium in die Praxen kommen. Das fünfte Semester ist zu früh. Besser wäre stattdessen ein längerer Zeitraum im zehnten Semester", sagt Petzoldt. Nach seiner Wahrnehmung bringt es den Studierenden später mehr, weil sie sich mit dem Arzt im Hintergrund mehr trauen und weil sie mehr lernen.

Hansen dagegen ist froh über seinen ersten Einblick schon im fünften Semester gewesen. Er hatte sich immer schon für die Allgemeinmedizin interessiert, das erste Praktikum vor zweieinhalb Jahren bei Petzoldt aber hat ihm erstmals hautnahe und wertvolle Einblicke in die Tätigkeit der Allgemeinmediziner auf dem Land gewährt. Schließlich gibt es gravierende Unterschiede zur Arbeit von allgemeinärztlichen Kollegen in größeren Städten, gibt Petzoldt zu bedenken: "Das ist schon anders als in der Stadt. Die Verantwortung ist größer, die Wege sind weiter und für die Familie ist die Landarzttätigkeit auch eine größere Herausforderung. Aber es macht auch mehr Spaß."

Hansen hat besonders das breite Spektrum an der Tätigkeit auf dem Land beeindruckt. "Man bekommt ganz viele Erkrankungen zu sehen. Das Patientenalter reicht vom Kind bis zum alten Menschen und es werden Haus- und Heimbesuche gemacht", zählt Hansen zu den Pluspunkten. Zwar hat auch er das Gefühl, im Praktikum im zehnten Semester mehr zu lernen, den ersten Aufenthalt in der Praxis möchte er aber dennoch nicht missen.

Zur Landarztquote, die die Politik nun möglich macht, haben Landarzt und Medizinstudent beide eine ablehnende Meinung. Dass sich junge Menschen so früh festlegen und verpflichten sollen, halten sie grundsätzlich für falsch, auch wenn der aus Berlin stammende Hansen schon früh ein Faible für die landärztliche Tätigkeit entwickelt hat. Vom Spezialcurriculum "Ländliche Versorgung" bis zum Blockpraktikum hat er in seinem bisherigen Studium in Kiel so ziemlich alle Angebote genutzt, um diese Tätigkeit näher kennenzulernen. Damit stößt er nicht bei jedem Kommilitonen auf Verständnis. "Viele glauben, das sei langweilig und man habe nur mit Schnupfen zu tun. Dabei habe ich in der Allgemeinmedizin eine Menge außergewöhnliche Erkrankungen kennengelernt", berichtet er.

Möglicherweise sind selbst unter den Dozenten anderer Fachrichtungen noch nicht alle Vorurteile über die Allgemeinmedizin ausgeräumt. Darauf deuten zumindest Aussagen hin, von denen Hansen berichtet. So heiße es bei der Vorstellung von Fallbeispielen manchmal: "Da hat der Hausarzt folgenden Fehler gemacht ..." Petzoldt bedauert zwar solche Vorurteile, vermisst die Verbreiter derselben aber auch nicht in seinem Fach. "Wer sein Leben durch solche Vorurteile beeinflussen lässt, ist auch nicht für die Arbeit als Allgemeinmediziner geeignet."

Aber es sind nicht nur Vorurteile über die Allgemeinmedizin, die Medizinstudenten vom Fach fernhalten - andere Fächer punkten schließlich ebenfalls mit ihren speziellen Stärken. Hansen weiß, dass für viele seiner Kommilitonen andere Fächer Merkmale aufweisen, die sie faszinieren. Als Beispiele nennt er Technik und komplexe Eingriffe. Er persönlich glaubt auch nicht, dass die Reformpläne etwas an dem nach seiner Wahrnehmung bestehenden Ungleichgewicht zwischen der Allgemeinmedizin und den anderen Fächern an der Uni werden ändern können - dafür ist nach seiner Beobachtung die spezialärztliche Präsenz an den Unikliniken zu stark.

Ob der Masterplan nun erfolgreich wird oder nicht, mag Hansen genauso wie Petzoldt nicht prognostizieren. Der erfahrene Hausarzt hegt eine grundsätzliche Skepsis gegen große Reformen: "Oftmals greifen die nicht, weil vieles sich dann praktisch doch nicht umsetzen lässt." Fest steht für beide dagegen, dass der Wille, die Allgemeinmedizin zu stärken, richtig ist. Einen Vorschlag, wie das umzusetzen wäre, hat Petzoldt: "Vielleicht sollten alle Ärzte ein halbes Jahr in der Grundversorgung gearbeitet haben, egal, was sie werden wollen. In dieser Zeit lernt man, worum es geht."


Olaf Petzoldt betreibt gemeinsam mit Dr. Rolf Reinicke die Gemeinschaftspraxis in Karby bei Kappeln. Beide sind Fachärzte für Allgemeinmedizin und haben Zusatzbezeichnungen u. a. in Chirotherapie und Sportmedizin. Die Praxis wurde schon nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet und wurde von mehreren Ärzten geführt. Das über 100 Jahre alte Praxisgebäude diente auch schon für Filmaufnahmen für die bekannte Fernsehserie "Der Landarzt".

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Infos

- Medizinstudium zwischen Theorie und Praxis: Der Masterplan soll u. a. dafür sorgen, dass die Ausbildung an den Universitäten künftig praxisnäher erfolgt. Auch die kommunikativen und sozialen Fähigkeiten sollen gestärkt werden.

- Ca. 80% der Medizinfakultäten in Deutschland verfügen über selbständige Institute oder Abteilungen für Allgemeinmedizin.

- 91.938 Medizinstudierende gab es im Wintersemester 2016/2017 laut Statista in Deutschland. 56.240 von ihnen waren weiblich, 35.698 männlich. Zehn Jahre zuvor waren es 11.440 Studierende weniger, nämlich 80.498. Das Geschlechterverhältnis hat sich in dieser Zeit aber nicht deutlich verändert. Damals waren 48.771 Frauen und 31.728 Männer unter den Studierenden.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201705/h17054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Mai 2017, Seite 1, 6 - 11
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2017

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