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BUCH/1282: Friedrich von Esmarch - Ein Buch über den berühmten Kieler Chirurgen (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 3, März 2023

"Er hat wahrscheinlich Tausende Leben gerettet"

von Martin Geist


BIOGRAFIE. Brillanter Arzt, aber langweiliger Dozent. Lebensretter, aber bescheidener Wissenschaftler: Aus dem Leben des "Kriegschirurgen" Friedrich von Esmarch gibt es vieles zu berichten. Christian Zöllner verfasste eine lesenswerte Biografie über den Kieler Ehrenbürger, der in Tönning geboren wurde.


Sein Geburtstag jährte sich am 9. Januar zum 200. Mal: Friedrich von Esmarch. Christian Zöllner hat kürzlich ein Buch über den Kieler Arzt verfasst ("1823-1908 - Friedrich von Esmarch - Eine Biografie"), das auf fast 600 Seiten jede Menge Persönliches und Zeitgeschichtliches enthält. Zugleich ist das Buch eine Hommage an die Kraft praxisorientierten ärztlichen Wirkens.

Auf kurzweilige Weise vorgestellt wurde die Biografie am 23. Januar beim "KN-Talk" der Kieler Nachrichten in der Kunsthalle. Mehr als 150 Interessierte lernten dabei die vielen Facetten des in Tönning geborenen Friedrich von Esmarch kennen.

Prof. Joachim Thiery, Dekan der Medizinischen Fakultät der Uni Kiel, würdigte Esmarch in seinem Grußwort als "herausragenden Arzt und Hochschullehrer, der für die praktische Medizin Pionierarbeit geleistet hat". Er zählte zum Beweis eine lange, wenngleich immer noch unvollständige Reihe von teils bahnbrechenden Innovationen auf, die Esmarch zugeschrieben werden.

Das bis heute in jedem Erste-Hilfe-Kasten zu findende Dreieckstuch, die "Esmarchsche Blutleere" genannte Abbindung von Oberarm und Oberschenkel zur Blutstillung, der Esmarch-Handgriff, der Mund und Kiefer umfasst und die Atemwege Bewusstloser freihält - das und vieles mehr zeigt die so einfache wie effektive Philosophie des Arztes: Gut ist, was den Kranken und Verletzten hilft.

Laut Thiery gehörte Esmarch außerdem zu den Medizinern, die sich früh abwandten von mystisch angehauchten Theorien wie etwa der sogenannten Säftelehre. Orientiert an Pionier Rudolf Virchow hielt er es stattdessen mit der Zellpathologie und überhaupt mit dem Grundsatz, den Organismus und seine Erkrankungen logisch zu verstehen.

Weiter ins Detail gingen in der folgenden Talkrunde Jens Ahlers, ehemaliger Leiter der Landesbibliothek Schleswig-Holstein, und Buchautor Christian Zöllner, der eine Fülle von Fakten über das Leben von Friedrich von Esmarch ausgegraben hat. So galt der platt sprechende Arzt bei aller Brillanz als volksnah und erfreute sich bei den Kielerinnen und Kielern großer Beliebtheit.

"Fiete Isbüdel", wie er gern genannt wurde, weil er Entzündungen stets mit Eisbeuteln zu behandeln pflegte, blieb denn auch dem Norden bis ans Ende seiner Tage treu, obwohl er reizvolle Rufe nach Heidelberg und Berlin erhalten hatte.

Das ärztliche Wirken Esmarchs kann aus Zöllners Sicht nicht ohne dessen Erfahrungen als Kriegschirurg gedeutet werden. In den Kriegen 1848, 1864, 1866 und 1870/1871 sammelte er tatsächlich vielfältige Erfahrungen, die in sein umfassendes "Handbuch der Kriegschirurgischen Technik" von 1877 eingingen. Ob die zitierten "Isbüdel" gegen Entzündungen oder die antiseptische Wundbehandlung, die Entwicklung neuartiger Prothesen oder die Resektion zur Erhaltung von Gliedmaßen - in weiten Bereichen stand Esmarch nach Worten Zöllners "an der Spitze der chirurgischen Bewegung". Und das nach seiner Einschätzung nicht zuletzt, weil ihn das Streben nach bestmöglicher Versorgung der Kriegsverwundeten zu immer neuen Verfahren und Techniken trieb. "Er hat wahrscheinlich Tausende von Leben gerettet", zeigt sich Zöllner überzeugt.

Herausragend war Esmarch gleichwohl nicht in allen Bereichen. Sein Wirken als Wissenschaftler wird von der Nach welt als eher bescheiden eingeschätzt, seine Vorlesungen - zumal dann, wenn er sie mit Rücksicht auf Allgemeinverständnis auf Hochdeutsch statt auf Platt hielt - galten geradezu als langweilig.

Als Chirurg hingegen genoss Esmarch, der 1872 zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie gehörte, ein grandioses Renommee. Aus weiter Entfernung reisten die seinerzeit fast ausschließlich männlichen Ärzte an, um vom Meister zu lernen. Dies und ebenso die Arbeit mit dem medizinischen Nachwuchs an der eigenen Hochschule, hat Esmarch nach Einschätzung seines Biografen tiefe Befriedigung verschafft. Eines seiner großen Ziele war es einfach, "gute praktische Ärzte auszubilden".

Ginge es nach heutigen Maßstäben, so hätte von Esmarch, der 1903 Kieler Ehrenbürger wurde und zwei Jahre später noch zu Lebzeiten ein Denkmal in seiner Heimatstadt Tönning gesetzt bekam, indes wohl kaum eine solch bemerkenswerte Karriere gemacht. "Er war ein viel zu schlechter Schüler und hätte überhaupt keinen Studienplatz bekommen", verwies Thiery darauf, dass auch mittelprächtige Noten ganz offensichtlich großartige Ärzte hervorbringen können.

Prägend war der Nordfriese nicht allein für die Mediziner. Nachdem er 1881 in England den Johanniterorden und dessen Bemühungen um Erste Hilfe kennengelernt hatte, gründete er in Deutschland eine Samariter-Schule, die als Keimzelle des 1888 gegründeten Arbeiter-Samariter-Bundes gilt.

Das Buch von Christian Zöllner "1823-1908 - Friedrich von Esmarch - Eine Biografie" (39,90 Euro) ist ebenso wie Zöllners erster Band "Der Kieler Samariter" im Ludwig Verlag erschienen.

Eine Auswahl der umfassenden medizinischen Zeichnungen, die von Esmarch hinterlassen hat, zeigt die Medizin- und Pharmaziehistorische Sammlung der Universität Kiel (Brunswiker Straße 2) in der Ausstellung "Vor aller Augen. Menschen in Prof. Esmarchs Klinischer Bildersammlung". Geöffnet ist diese noch bis zum 23. November dienstags bis freitags von 10 bis 16 Uhr und sonntags von 12 bis 16 Uhr.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 3, März 2023
76. Jahrgang, Seite 32-33
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 28. März 2023

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