Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FAKTEN

FORSCHUNG/2787: Das Geheimnis des Alterns - Gleiches Gen macht Hydra unsterblich und Menschen älter (idw)


Christian-Albrechts-Universität zu Kiel - 13.11.2012

Dem Geheimnis des Alterns auf der Spur

Gleiches Gen macht Hydra unsterblich und Menschen älter



Warum altern wir? Wann sterben wir und wieso? Gibt es ein Leben ohne Altern? Schon seit Jahrhunderten faszinieren diese Fragen die Wissenschaft.

©/Foto: CAU/Fraune

An Hydra wurde das Langlebigkeitsgen untersucht. Das Tier ist ca. 1 cm groß.
©/Foto: CAU/Fraune

Jetzt haben Forscherinnen und Forscher aus Kiel untersucht, warum das Nesseltier Hydra unsterblich ist - und stießen unerwartet auf einen Zusammenhang mit dem menschlichen Altern. Die Studie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) erscheint in dieser Woche im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS). Sie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert.

Das Rätsel um die Unsterblichkeit der Hydra

Der winzige Süßwasserpolyp Hydra zeigt keine Alterungsprozesse und ist potentiell unsterblich. Dieses vermeintliche Paradoxon eines unsterblichen Organismus in einer Welt, in der alles Leben endlich ist, hat eine relativ einfache biologische Erklärung: in diesen Tieren erfolgt die Vermehrung ausschließlich ungeschlechtlich durch Knospung. Diese Art der Vermehrung setzt aber voraus, dass jeder individuelle Polyp Stammzellen enthält, die sich ständig teilen können. Gingen diese Stammzellen verloren, könnten die Tiere sich nicht mehr vermehren. Aufgrund dieser Unsterblichkeit ist Hydra seit vielen Jahren ein besonders interessantes Objekt für die Alterungsforschung.

Alterungsprozesse beim Menschen

Beim Menschen verlieren mit zunehmendem Alter mehr und mehr Stammzellen ihre Fähigkeit, neue Zellen zu bilden. Alterndes Gewebe kann sich dadurch kaum noch regenerieren, so dass sich beispielsweise Muskeln abbauen. Der Mensch hat weniger Kraft und fühlt sich schwach, da auch Herzmuskelzellen betroffen sind. Gelänge es, diesen Prozess zu beeinflussen, würden sich auch alte Menschen länger wohl und körperlich fit fühlen. Das Studium eines tierischen Gewebes wie das von Hydra, das ein Leben lang voller aktiver Stammzellen ist, kann daher wertvolle Erkenntnisse für das Verständnis von Alterungsprozessen bei Stammzellen allgemein liefern.

Menschliches Langlebigkeitsgen bei Hydra gefunden

"Auf der Suche nach dem Gen, das für die Unsterblichkeit der Hydra verantwortlich ist, sind wir unerwartet ausgerechnet auf das sogenannte FoxO-Gen gestoßen", sagt Anna-Marei Böhm, Doktorandin an der CAU und Erstautorin der neuen Studie. Um das Gen zu finden, hatte die Arbeitsgruppe zunächst Stammzellen isoliert und dann alle Stammzellgene untersucht. Das FoxO-Gen ist seit längerem bekannt und kommt in allen Tieren bis hin zum Menschen vor. Allerdings war bislang unklar, warum die menschlichen Stammzellen mit dem Alter weniger und inaktiver werden, welche biochemischen Mechanismen damit verbunden sind und ob FoxO hier eine Rolle spielt.

Mechanismus der Unsterblichkeit bei Hydra verstanden

Die Biologin Böhm untersuchte FoxO näher an verschiedenen, genetisch veränderten Polypen: Hydren mit normal aktivem FoxO, mit ausgeschaltetem FoxO und mit verstärktem FoxO. Das Kieler Forschungsteam konnte dabei zeigen, dass Tiere ohne FoxO deutlich weniger Stammzellen besitzen und langsamer wachsen. Interessanterweise veränderte sich in Tieren mit inaktivem FoxO-Gen gleichzeitig auch das Immunsystem. "Ähnlich drastische Veränderungen des Immunsystems wie bei den genetisch veränderten Hydren kennen wir auch von Menschen im Alter", erläutert Professor Philip Rosenstiel vom Institut für Klinische Molekularbiologie des UKSH, der an der Studie mitarbeitete.

FoxO verlängert auch menschliches Leben

"Unsere Forschungsgruppe konnte erstmals direkt zeigen, dass zwischen dem FoxO-Gen und der Alterung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht", sagt der Leiter der Hydra-Studie, Professor Thomas Bosch vom Zoologischen Institut der CAU. "Da besonders aktives FoxO bereits bei über hundertjährigen Menschen festgestellt wurde, ist es mit großer Wahrscheinlichkeit ein entscheidender Faktor beim Altern - auch beim Menschen." Doch am Menschen könne man natürlich keine genetischen Experimente durchführen. Als nächstes müsse man daher zunächst an Hydra weiter untersuchen, wie das Langlebigkeitsgen im Detail funktioniert und welchen Einfluss die Umwelt auf FoxO hat. Man sei mit diesen Ergebnissen dem Geheimnis des Alterns des Menschen einen wichtigen Schritt näher gekommen.

Ohne Stammzellen sterben wir

Zweierlei wissenschaftliche Schlüsse lassen die neuen Erkenntnisse zu. Zum einen bestätigen sie, dass das FoxO-Gen eine entscheidende Rolle beim Erhalt von Stammzellen und somit der Bestimmung der individuellen Lebensspanne spielt - vom ursprünglichen Nesseltier bis hin zum Menschen. Zum anderen verdeutlichen sie, dass der Alterungsprozess und die Langlebigkeit eines Organismus tatsächlich von zwei wesentlichen Faktoren abhängig sind: dem Erhalt von Stammzellen und der Aufrechterhaltung eines funktionellen Immunsystems.


Originalpublikation:
Anna-Marei Boehm, Konstantin Khalturin, Friederike Anton-Erxleben, Georg Hemmrich, Javier A. Lopez-Quintero, Ulrich C. Klostermeier, Hans-Heinrich Ober, Malte Puchert, Philip Rosenstiel, Jörg Wittlieb, and Thomas C. G. Bosch (2012):
FoxO is a critical regulator of stem cell maintenance in immortal Hydra
PNAS
www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1209714109


Kontakt:
Prof. Dr. Dr. Thomas Bosch
Zoologisches Institut
E-Mail: tbosch@zoologie.uni-kiel.de

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.uni-kiel.de/aktuell/pm/2012/2012-332-foxogen.shtml

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution235

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Dr. Boris Pawlowski, 13.11.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2012