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GESUNDHEIT/1265: Forschung - Warum macht Singen glücklich? (Einblicke - Uni Oldenburg)


Einblicke Nr. 60 - Ausgabe 2015
Das Forschungsmagazin - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

"Ich gebe dem Singen eine Lobby"

von Tobias Kolb


Gemeinsam mit dem Pius-Hospital Oldenburg rief er "Chorpidus" ins Leben, ein Chorpojekt für Lungenkranke: Gunter Kreutz forscht zu der Frage, warum Singen glücklich macht


In der Cafeteria des Pius-Hospitals Oldenburg: Sängerinnen und Sänger sitzen um ein Klavier herum. Der Chorleiter und Kapellmeister Michael Wintering beginnt mit Einsingübungen. Lang gehaltene Vokale und Zischlaute füllen den Raum. Das einzig Ungewöhnliche an diesem Chor: Viele der Sängerinnen und Sänger leiden an einer chronischen nicht reversiblen Lungenerkrankung.

Gast der Chorprobe ist Gunter Kreutz, Hochschullehrer für Systematische Musikwissenschaft der Universität Oldenburg. Gemeinsam mit Dr. Regina Prenzel, Direktorin der Klinik für Innere Medizin, Pneumologie und Gastroenterologie, hat er den Chor ins Leben gerufen. "Chorpidus - offenes Singen für Menschen mit (und ohne) Lungenerkrankungen", so lautet der Titel dieses außergewöhnlichen Projekts.

"Von chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen sind allein in Deutschland über fünf Millionen Menschen betroffen", erläutert Kreutz. "Es ist eine Volkskrankheit." Singen habe einen konservierenden Effekt auf den Gesundheitsstatus, darauf deuteten neue Studien hin. "Singen aktiviert die Atmung der Patienten. Stimm-, Atem- und Entspannungsübungen, wie beim Chorsingen üblich, öffnen die Lunge und können deren Kapazität erhöhen." Gleichzeitig verbesserten Sänger ihre Körperhaltung, stärkten so ihr Muskel-Skelett-System. "Mit Chorpidus wollen wir diese Aspekte untersuchen und schauen, wie Singen zum Wohlbefinden beitragen kann".

"Welche Emotionen lösen Musikstücke aus?"

Kreutz ist in seinem Element. Seit mehr als fünfzehn Jahren geht er der Frage nach, wie Musikhören, Singen, Tanzen und Musizieren auf Körper, Geist und Seele wirken. Ein breites Themengebiet - das erst im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere ins Zentrum seines Interesses rückte. Sein Studium der Musikwissenschaft nahm Kreutz zunächst in Marburg und später in Berlin auf. Er startete ganz klassisch mit Historischer Musikwissenschaft. "Musikwissenschaften verbindet man ja immer damit, dass man sie vom Kunstwerk her denkt. Da ist ein Komponist, der produziert Musik - und die Musikwissenschaft ist dieser Kunst und diesen Artefakten verpflichtet. Daran gibt es auch nichts auszusetzen", sagt Kreutz.

Der Wissenschaftler stellte allerdings ernüchtert fest: Für ihn kam diese Ausrichtung nicht in Frage. "Was macht Musik eigentlich mit dem Menschen? Was macht der Mensch mit der Musik? Und wie wirkt Musik auf den Menschen zurück? Diese Fragen kamen mir einfach zu kurz." Also entschied sich Kreutz für ein Studium der Systematischen Musikwissenschaften bei Prof. Dr. Helga de la Motte, die damals in Berlin die musikpsychologische Forschung begründete.

1998 promovierte der damalige Wissenschaftliche Mitarbeiter an der Universität Bremen zu einem Thema aus der musikalischen Performance-Forschung. "Ich wollte wissen, was passiert, wenn ein Pianist auf die Tasten hämmert", sagt der Wissenschaftler und lächelt. "Sind die Töne zufällig lang oder kurz, spielt er reflektiert laut oder leise?" Im Anschluss an die Performance-Forschung setzte sich Kreutz für seine Habilitation mit Emotionen und ihren Ausprägungen auseinander. "Gerade in der Musik bis in die 2000er Jahre werden Emotionen eher stiefmütterlich behandelt - und wenig untersucht."

So hat er Chorsänger nach ihrer Stimmung befragt und analysiert, welche Emotionen Musikstücke beim Hörer auslösen können - auch mit Kernspin und EEG. Schließlich hat er im Wohlbefinden und der Gesundheit sein Thema gefunden. "Die Gesellschaft stellt sich allmählich auf gravierende Veränderungen in der demographischen Struktur ein. Und darin spielen Kulturtechniken wie Singen und Tanzen eine enorm wichtige Rolle", so der Forscher.

Kreutz kann mittlerweile auf ein breites Spektrum an empirischen Studien zurückgreifen. Er untersuchte die psychophysiologischen Wirkungen des Paartanzens oder das Zusammenspiel von Instrumentalunterricht und kognitiver Entwicklung bei Kindern. Gemeinsam mit Kollegen des Bremer Instituts für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) fand er heraus, dass Berufsmusiker einem vierfach höheren Tinnitus-Risiko ausgesetzt sind als die Allgemeinbevölkerung. Und im vergangenen Jahr veröffentlichte er gemeinsam mit den britischen Musikwissenschaftlern Raymond MacDonald und Laura Mitchell das Buch "Music, Health and Wellbeing" - international anerkannte Experten beleuchten die Beziehung zwischen Musik, Gesundheit und Wohlbefinden aus multidisziplinären Perspektiven und stellen aktuelle Forschungsergebnisse aus der Musikwissenschaft, der Psychologie oder der Medizin vor.

Nach seiner Forschungsmotivation gefragt, verweist Kreutz auf die noch vielen offenen Fragen, ungeachtet aller Fortschritte und des in den letzten Jahren exponentiell zunehmenden Wissens, selbst in Nischen, wie der Musikpsychologie. Er berichtet von skandinavischen Untersuchungen, in denen beobachtet wurde, dass Musik bei Angstzuständen besser helfe als Psychopharmaka. Er führt Gerontologie-Studien ins Feld, die sich mit Tanzkursen bei Demenz beschäftigt haben und zeigen, dass sich die Lebensqualität der Probanden mittelfristig steigerte. "Musik und auch Tanz sind eine einzigartige Ressource, die Menschen helfen kann, ihren Alltag oder besondere Lebenssituationen besser zu bewältigen. Man braucht dafür aber Zeit. Es gibt keine schnellen Schüsse. Projektkulturen, die keine stetige Finanzierung von Interventionen zulassen, zerstören Potenziale anstatt sie konsequent zu nutzen. Der Abbau des Musikunterrichts an den allgemeinbildenden Schulen ist nicht mehr und nicht weniger ein Diebstahl an potenzieller Lebensqualität ganzer Generationen", so Kreutz.

"Reserven an positiver Gestimmtheit auffüllen"

Vor allem im Chorsingen sieht der Musikwissenschaftler ein großes Potenzial - weshalb er auch im vergangen Jahr das Buch "Warum singen glücklich macht" veröffentlichte - eine Zusammenschau wissenschaftlicher Forschung für Sänger und vor allem für potenzielle Sänger. "Was macht unsere Gesundheit aus? Soziale Kontakte, positive Emotionen und Bewegung". Das Singen im Chor stärke diese drei Elemente. "Es scheint, dass wir durch das Singen widerstandsfähiger werden. Singen kann unsere Reserven an positiver Gestimmtheit auffüllen. Und wenn es darum geht, dann gebe ich mit meiner Forschung gerne dem Singen eine Lobby."

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Quelle:
Einblicke Nr. 60, 30. Jahrgang, Seite 32-33
Herausgeber:
Präsidium der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2016

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