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MELDUNG/421: Nachrichten aus Forschung und Lehre vom 20.09.11 (idw)


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilungen


→  Neue Bildgebungstechnik macht Krebszellen während OP sichtbar
→  "Live" beobachtet: Wasser ist aktiver Mitspieler von Enzymen


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Technische Universität München - 19.09.2011

Neue Bildgebungstechnik macht Krebszellen während OP sichtbar

Mit Laserlaserlicht und drei Kameras machen Wissenschaftler von TU München, Helmholtz Zentrum München und Universität Groningen auch kleine Krebszellherde sichtbar, die ein Chirurg bei einer Operation leicht übersehen kann. Die Technologie ist jetzt erstmals an neun Patientinnen getestet wurden, die an Eierstockkrebs erkrankt waren. Zukünftig soll die Technologie auch minimalinvasiv anwendbar sein und weitere Krebsarten detektieren können (Nature Medicine, doi:10.1038/nm.2472).

Eierstockkrebs gehört zu den häufigsten Krebsarten, an denen Frauen erkranken. Da die Geschwulst zunächst ungehindert im Bauchraum wachsen kann und kaum Beschwerden hervorruft, wird Eierstockkrebs meist erst spät diagnostiziert und dann mit einer Kombination von Operation und Chemotherapie behandelt. Bei der Operation versuchen die Chirurgen, möglichst alle Tumorherde zu entfernen, um die Heilungschancen für die Patientinnen zu erhöhen. Dabei müssen sie sich während der OP hauptsächlich auf ihr geschultes Auge und ihren Tastsinn verlassen, was besonders für die Entfernung kleiner Tumorinseln oder verbleibender Tumorreste nach der Entfernung des Primärtumors eine enorme Herausforderung ist.

Das neue "Multispektrale Fluoreszenz-Kamera-System", entwickelt von dem Team um den Münchener Professor für Biologische Bildgebung, Vasilis Ntziachristos, kann Krebszellen während der OP sichtbar machen und so die Ärzte unterstützen. Dies hat eine Studie an neun Patientinnen mit Eierstockkrebs jetzt gezeigt. Vor der OP erhielten die Patientinnen eine Spritze mit dem Stoff Folsäure, an den ein grüner Fluoreszenzfarbstoff chemisch gebunden war. Die meisten Eierstock-Tumore haben an ihrer Oberfläche ein Eiweißmolekül, das Folsäure bindet und dann ins Innere der Zelle transportiert, den so genannten alpha-Folsäure-Rezeptor. Öffnet der Chirurg während der OP die Bauchhöhle der Patientin und strahlt spezielles Laserlicht auf die Eierstöcke, beginnen die Krebszellen durch die grün markierte Folsäure im Innern der Zellen zu leuchten. Gesundes Gewebe bleibt dagegen dunkel.

Mit dem bloßen Auge ist die Fluoreszenz der Krebszellen allerdings nicht zu erkennen. Drei Kameras, die auf einem schwenkbaren Trägerarm über dem OP-Tisch montiert sind, detektieren das Leuchten in verschiedenen Spektralbändern und korrigieren dann Lichtschwankungen durch wechselnde Ausleuchtung der Wunde und Farbveränderungen des Gewebes. So kann ein präzises Fluoreszenzbild erzeugt werden, dass mit einem gewöhnlichen Farbbild auf einen Monitor des OPs überlagert werden kann. Der Chirurg kann so feststellen, wann keine grünen Fluoreszenzflecken und damit keine Krebszellen mehr vorhanden sind. Bei acht der neun operierten Patientinnen konnten die Ärzte auf diese Weise kleine Mengen an Tumorzellen herausschneiden, die sie ansonsten womöglich nicht hätten erkennen können. Damit war der erste Test im OP erfolgreich. Bevor das Multispektrale Fluoreszenz-Kamera-System auch in der chirurgischen Routine verwendet werden kann, muss es allerdings noch beweisen, dass es wirklich die Heilungschancen der Patientinnen verbessern kann.

Außerdem wollen die Forscher aus München und Groningen das Kamera-System noch weiterentwickeln, um damit auch andere Krebsarten während der OP detektieren zu können. Besonders wichtig ist es dabei, akkurate Fluoreszenzbilder zu liefern, die wirklich auch das Vorhandensein der Krankheit zeigen. Prof. Vasilis Ntziachristos erläutert: "Die Nutzung hochentwickelter Bildgebung in Echtzeit wird uns erlauben, Bilddaten weiter zu präzisieren, zu standardisieren und damit vergleichbar zu machen, damit Studien in verschiedenen klinischen Zentren durchgeführt werden können." So soll die Akzeptanz der neuen Technologie und die Zulassung durch die entsprechenden Gesundheitsbehörden vorbereitet werden. Auch eine System-Variante für schonende minimal-invasiven Operationen ist geplant.

Danksagung: Die Folsäure mit gekoppeltem grünen Fluoreszenzfarbstoff wurde im Rahmen einer Kooperation von Phil Low, Purdue University, zur Verfügung gestellt.


Wissenschaftliche Publikation:
Intraoperative tumor-specific fluorescence imaging in ovarian cancer by folate receptor-alpha targeting: first in-human results
Goolitzen M van Dam et al.
Nature Medicine, Sept 2011
DOI:10.1038/nm.2472

Kontakt:
Prof. Vasilis Ntziachristos
Institut für Biologische und Medizinische Bildgebung
Technische Universität München / Helmholtz Zentrum München
E-Mail: v.ntziachristos[at]tum.de

Weitere Informationen finden Sie unter
http://mediatum.ub.tum.de/?id=1084086
Bildmaterial

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution73

Quelle: Technische Universität München, Dr. Ulrich Marsch, 19.09.2011


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Ruhr-Universität Bochum - 19.09.2011

"Live" beobachtet: Wasser ist aktiver Mitspieler von Enzymen

- RUB-Forscher berichten in Nature Structural & Molecular Biology
- Wasser wirkt als "Kleber" in biologischen Enzym-Substrat-Verbindungen

In biologisch aktiven Enzym-Substrat-Kombinationen, wie sie beispielsweise in Medikamenten vorkommen, spielt Wasser eine entscheidendere Rolle als bisher gedacht. Wie ein "Kleber" wirkt das umgebende Wasser, um ein Substrat an der richtigen Stelle eines Enzyms festzuhalten. Dazu wird die Dynamik des Wassers verlangsamt. Wissenschaftler der RUB um Prof. Dr. Martina Havenith (Physikalische Chemie) konnten in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern um Prof. Dr. Irit Sagi vom israelischen Weizmann Institut erstmals "live" die Verlangsamung der Wasserdynamik beobachten und nachweisen. Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher in "Nature Structural & Molecular Biology".

Welche Rolle spielt das Lösungsmittel?

Enzyme sind natürliche Substanzen, die Stoffwechselvorgänge im Körper beschleunigen und steuern. Sie sind z.B. von zentraler Bedeutung für das Immunsystem, da sie das Gleichgewicht zwischen aktivierenden und hemmenden Abwehrreaktionen steuern und bei Entzündungsreaktionen eine große Rolle spielen. Es war seit langem bekannt, dass enzymatische Funktionen in unterschiedlichen Lösungsmitteln mit sehr verschiedener Geschwindigkeit ablaufen. Bisher ist aber der Beitrag des Lösungsmittels - bei biologischen Prozessen ist das Wasser - auf molekularer Ebene noch ungeklärt.

Zwei neue Techniken kombiniert

Die Gruppen von Prof. Havenith und von Prof. Sagi am Institut für Strukturbiologie des Weizmann Institutes haben zwei neu entwickelte experimentelle Techniken kombiniert, um die Bedeutung des Wassers für enzymatische Funktionen direkt nachzuweisen. Gegenstand der Untersuchung waren Matrix-Metalloproteasen (MMP). Sie befinden sich außerhalb unserer Zellen in der so genannten extrazellulären Matrix und erfüllen dort auf molekularer Ebene zentrale Aufgaben als Nachrichtenvermittler, Manager oder Wartungseinheiten. Durch den Abbau der extrazellulären Matrix sind die MMP aktiv und unmittelbar am Umbau unseres Gewebes beteiligt, etwa beim Embryo- oder Tumorwachstum und bei der Wundheilung. Die zahlreichen möglichen Einsatzgebiete machen diese Enzymfamilie zu einem Ansatzpunkt für die Medikamentenentwicklung. "Der Mechanismus zur Aktivierung der Matrix-Metalloproteasen ist allerdings auf molekularer Ebene bisher nur unzureichend bekannt, was einen synthetischen Nachbau erschwert", so Prof. Havenith.

Genaue Analyse aller "Mitspieler"

Für das genaue Verständnis des Aktivierungsprozesses haben sich die Forscher erstmals in einer umfassenden Analyse alle beteiligten "Mitspieler" vorgenommen: die Matrix-Metalloprotease als "Enzym-Vehikel", sein aktivierendes Substrat - das "Schlüsselmolekül" - und das Wasser als Lösungsmittel, das den Großteil der Reaktionsumgebung einnimmt. Im Experiment untersuchten die Wissenschaftler die Bindung des Substrats an das MMP. Mit Hilfe von zeitaufgelöster Röntgenspektroskopie konnten sie die strukturellen Änderungen in der Nähe des aktiven Enzymzentrums (hier: des Zink-Atoms) mit atomarer Auflösung charakterisieren. Mit Hilfe der kinetischen THz-Absorptionsspektroskopie (KITA) zeichneten sie parallel die zeitlichen Änderungen der schnellen Wasserbewegungen auf.

Wasser bei der Medikamentenentwicklung berücksichtigen

Bei unterschiedlichen MMP-Protein-Kombinationen zeigte sich eine eindeutige Korrelation zwischen den Fluktuationen des Wassernetzwerks, den strukturellen Änderungen und der Funktion. Molekular-Dynamik-Simulationen lieferten eine Erklärung für die Beobachtungen: Solange das Substrat noch nicht an der "richtigen Stelle" des Enzyms angekommen ist, ist die Wasserdynamik, d.h. der Partnerwechsel bei den Wassermolekülen (der "Terahertz-Tanz" des Wassers) noch schnell. Zeitgleich mit dem Andocken des Substrats an das aktive Zentrum wird die Wasserbewegung in der Umgebung deutlich verlangsamt. Das Wasser wirkt dort wie eine Art zähflüssiger Kleber, der das Substrat an dieser Stelle festhält. Diese Änderung des THz-Tanzes des Wassers mit der Ausbildung der Enzym-Substrat Bindung wird ausschließlich bei biologisch aktiven Enzym-Substrat-Kombinationen beobachtet. "Die erstmals untersuchte Verlangsamung der Wasserdynamik scheint daher ein essentieller Teil der Funktionssteuerung zu sein", so Prof. Havenith. "Es wird daher in Zukunft entscheidend sein, die Rolle des Wassers bei der Entwicklung von Medikamenten zum Beispiel für die Tumorbekämpfung mit zu berücksichtigen."

"Solvation Science@RUB"

Diese Arbeiten sind integriert in den Schwerpunkt "Solvation Science@RUB", der Thematik des vom Wissenschaftsrat zur Förderung empfohlenen Forschungsbaus ZEMOS, aus der auch der Exzellenzclusterantrag RESOLV der RUB hervorgeht. In der Chemie, Verfahrenstechnik und in der Biologie gibt es eine immense Anzahl von Publikationen, die Lösungsmittel als inerte (passive) Medien für molekulare Prozesse beschreiben. Jenseits dieser traditionellen Sichtweise wird aber die aktive Rolle des Lösungsmittels immer deutlicher sichtbar. Neue experimentelle und theoretische Methoden erlauben jetzt die Erforschung, Beschreibung und systematische Beeinflussung der Struktur, Dynamik und Kinetik komplexer Solvatationsphänomene auf molekularer Ebene. "Es ist daher an der Zeit, ein einheitliches Modell mit Vorhersagekraft für Solvatationsprozesse zu entwickeln", so Prof. Havenith. Genau das ist das Ziel von "Solvation Science@RUB".


Weitere Informationen

Prof. Dr. Martina Havenith
Fakultät für Chemie und Biochemie
Ruhr-Universität Bochum
Lehrstuhl Physikalische Chemie II
martina.havenith@rub.de

Titelaufnahme
M. Grossman, B. Born, M. Heyden, D. Tworowski, G. Fields, I. Sagi, M. Havenith
Correlated structural kinetics and retarded solvent dynamics at the metalloprotease active site.
Nature Structural & Molecular Biology
Advance Online Publication (AOP)
doi: 10.1038/nsmb.2120
http://www.nature.com/nsmb/journal/vaop/ncurrent/abs/nsmb.2120.html

Redaktion: Jens Wylkop

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:
http://idw-online.de/de/image151161
Schematischer experimenteller Aufbau der Kinetischen Terahertz Absorptionsspektroskopie (KITA): Die kurzen (fs) Pulse des THz-Laser liefern ein genaues Bild der zeitlichen Änderungen der Wasserfluktuation bei der Ausbildung des Enzym-Substrat-Komplexes

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution2

Quelle: Ruhr-Universität Bochum, Dr. Josef König, 19.09.2011


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2011