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NACHSORGE/090: "Die Seele wieder unter dem Schrank hervorholen" - Gynäkologische Reha in Schleswig-Holstein (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 9, September 2022

"Die Seele wieder unter dem Schrank hervorholen"

von Astrid Schock


REHA. Gynäkologische Reha hilft Patientinnen auf dem Weg zurück in den Alltag. Wichtig ist dabei, die Angst vor der Krebserkrankung und ihren Folgen zu verarbeiten. Wie das gelingen kann, zeigt das Beispiel der Reha im Ratzeburger Ameos Reha Klinikum.


Diagnose Krebs: Die Welt scheint stillzustehen, der erste Gedanke ist häufig Angst - vor dem Ungewissen, vor Schmerzen, vor dem Tod. Der Satz "Alles wird gut" wird in dieser Situation wenigen in den Sinn kommen. Doch genau mit diesen Worten verabschiedet sich Patientin Heike Timme von den Teilnehmenden eines Pressegespräches im Ameos Reha Klinikum Ratzeburg. Timme erhielt die Diagnose Ovarialkarzinom und befindet sich in der Anschlussheilbehandlung (AHB), auf die jeder Krebserkrankte innerhalb der ersten sechs Wochen nach Abschluss der Behandlung Anspruch hat.

"Während der akuten Behandlung hat die Seele oft keinen Platz, die Devise lautet bei vielen Frauen Durchhalten. Während der AHB und/oder einer Reha haben die Frauen die Chance, die Seele wieder unter dem Schrank hervorzuholen", berichtet Angelika von Aufseß, Leitende Psychologin in der Ratzeburger Klinik. Die Krankheit anzunehmen, neuen Lebensmut zu finden und positiv in die Zukunft zu blicken, hat Timme hier gelernt. Es ist der Austausch mit anderen Betroffenen und das Gefühl, nicht allein zu sein, die vielen Patienten während der AHB helfen, das Erlebte zu verarbeiten. "Hier musst du niemandem erklären, wie das Gefühl ist, über der Kloschüssel zu hängen oder die Haare zu verlieren", so Timme.

Die Angebote der gynäkologischen Reha sind vielfältig und unterstützen die Patientinnen physisch und psychisch. In Ratzeburg ist es ein multiprofessionelles Team aus den Fachbereichen Medizin, Psychologie, Sozialberatung, Physiotherapie, Ergotherapie und Diätetik, das die Patientinnen während der drei Wochen der AHB begleitet. In psychologischen Einzel- oder Gruppengesprächen, beim therapeutischen Schreiben, der progressiven Muskelentspannung, dem autogenen Training u. v. m. setzen sich die Patientinnen mit ihrer Krankheit, ihren Gefühlen und Empfindungen auseinander und erlernen den Umgang mit ihrer Erkrankung in ihrem Alltag. "Unser Ziel ist es, dass unsere Rehabilitandinnen langsam den Weg zurück in ihr Leben finden und die Angst vor der Krebserkrankung hinter sich lassen", sagt Dr. Kerstin Knauth, Chefärztin für Gynäkologie im Ameos Reha Klinikum Ratzeburg und im Endometriosezentrum.

Nach einer Krebsbehandlung hat aber nicht nur die Seele gelitten, auch der Körper ist stark belastet und benötigt Unterstützung. Zwar wird jedes Rehaprogramm individuell auf die Patientin zugeschnitten, ein sportlicher Anteil von 150 Minuten in der Woche ist jedoch bei jedem Therapieplan enthalten. "Bei Ankunft einer Patientin wird die körperliche Belastbarkeit von den behandelnden Ärzten eingestuft: einfach, mittel, stark. Wir Physiotherapeuten erarbeiten dann gemeinsam mit der Patientin ein passendes Sportprogramm", so Stephan Froh, Physiotherapeut in der Ratzeburger Klinik. Yoga, Tai-Chi, Beckenbodengymnastik, Lymphdrainage, Kraft-Ausdauer-Training sind Beispiele aus dem Angebot. "Unser Ziel ist es, dass die Patientinnen Spaß an Bewegung entwickeln und diese Begeisterung auch in ihren Alltag mit nach Hause nehmen", sagt Froh.

Thematisiert wird in der AHB auch der Wiedereinstieg in den Beruf. Wann ist ein Wiedereinstieg sinnvoll und in welchem Umfang? Ist ein Arbeitsplatzwechsel denkbar? "Vielen Arbeitgebern fällt der Umgang mit erkrankten Mitarbeitern schwer. Für sie gibt es oft nur zwei Stadien: die Mitarbeiterin ist krank oder zu 100 % wieder einsatzfähig. So leicht ist es aber meistens nicht.", sagt von Aufseß. Tina Manicki, nach Erkrankung mit einem Mammakarzinom zur Reha in Ratzeburg, bestätigt diese Aussage. Ihre Behandlung und AHB liegen ein Jahr zurück, Manicki ist im Anschluss zeitnah an den Arbeitsplatz zurückgekehrt. "Ich habe schnell gemerkt, dass ich noch nicht wieder zu 100 % belastbar bin und Unterstützung brauche, um wieder mobil zu werden", so Manicki. Der Besuch einer Reha ist nach Abschluss einer AHB grundsätzlich möglich und wird von der Deutschen Rentenversicherung übernommen. Manicki spricht eine klare Empfehlung aus und ist dankbar für die Möglichkeit, sich in der Therapie ein Jahr nach der Erkrankung noch einmal neu finden zu können und Wege zu erlernen, sich selbst zu entspannen.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 9, September 2022
75. Jahrgang, Seite 25
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-0, Fax: 04551/803-101
E-Mail: info@aeksh.de
Internet: www.aeksh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 1. Oktober 2022

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