Stiftung Kindergesundheit - 17.04.2023
Wie schützt man ein Baby vor Allergien?
Stiftung Kindergesundheit informiert über die aktuellen Empfehlungen zur Allergieprävention.
Mehr als zwei Millionen Kinder in Deutschland leiden unter Heuschnupfen, allergischem Asthma, Neurodermitis oder einer Allergie gegen Nahrungsmittel. Wie können wir unserem Kind diese allergischen Erkrankungen ersparen? - so fragen sich viele werdende Mütter und frischgebackene Elternpaare. Die Antworten der Medizin auf diese Frage haben sich in den letzten Jahren grundlegend geändert, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.
Auch in der Vorbeugung gegen Allergien ereignet sich nämlich eine Art Zeitenwende. Der Leitsatz heißt heute: Weniger Karenz, dafür mehr Toleranz.
Lange ging man davon aus, dass die wirkungsvollste Maßnahme, Allergien zu verhindern, die Karenz, also Vermeidung sei: In Familien, in denen ein Allergierisiko besteht, sollten potenzielle Allergene wie Hausstaub und Pollen, Eier, Fisch, Nüsse und Tierhaare während der Schwangerschaft und der Stillzeit und auch im frühen Kindesalter möglichst gemieden werden. Im Babyhaushalt sollte unnachgiebig auf Hygiene geachtet, nicht voll gestillte Babys aus Allergikerfamilien mit einer hypoallergenen (HA) Nahrung gefüttert werden.
Die Kinder sollten außerdem möglichst spät Beikost wie Gemüse, Obst, Getreide und Nudeln zugefüttert bekommen und es wurde gewarnt: Allergenreiche Nahrungsmittel wie Milch, Eier und Fisch sollte das Kind frühestens im Alter von neun bis zwölf Monaten bekommen. Das Kinderzimmer sollte mit einer neuen Matratze und eventuell mit einem milbendichten, allergenfilternden Matratzenbezug (Encasing) milbenfrei gehalten, Haustiere unbedingt abgeschafft werden.
Dieses zentrale Prinzip der Allergenmeidung erwies sich zunehmend als eine Sackgasse, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. So habe es mittlerweile einen Paradigmenwechsel gegeben, der einen kompletten Abgesang auf die früher vertretenen Überzeugungen bedeute.
"Es wurde immer deutlicher, dass Verzögern und Vermeiden von Lebensmitteln mit allergenem Potential das Immunsystem von Kindern in eine falsche Richtung programmieren kann", erläutert Professor Dr. Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselexperte der Universitätskinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung Gesundheit. "Ein früher Kontakt zu den vielfältigen Mikroben und Allergenen der Umwelt dagegen mobilisiert die Abwehrkräfte und führt so zu einer normalen Immunantwort und zum Aufbau einer Toleranz gegen Umweltantigene. Fehlen solche Reize, dann ist das Immunsystem gewissermaßen 'unterbeschäftigt' und sucht sich seine Feinde selbst, um sie dann mit unerwünschten, allergischen Immunantworten zu bekämpfen".
Und so kommt es, dass die heutigen Empfehlungen zur Verhütung von Allergien immer mehr zu regelrechten Auflistungen werden, was alles von den bisherigen Ratschlägen ein Kind nicht vor Allergien schützen kann.
Statt Vermeidung wird heute eher zur Gewöhnung geraten, mit dem Fachwort "Toleranzinduktion": Je früher und vielfältiger ein Kontakt mit potenziell Allergie auslösenden Stoffen entsteht, desto leichter lernt das Immunsystem den Umgang mit ihnen.
Aktuelle Studien und Leitlinien zur Allergieprävention zeigen
exemplarisch den Meinungsumschwung der Wissenschaft. Die Stiftung
Kindergesundheit nennt einige wichtige Beispiele:
• Muss die Mutter in der Schwangerschaft und in der Stillzeit
auf bestimmte Nahrungsmittel verzichten?
Ganz und gar nicht. Für den Nutzen von Essenseinschränkungen während
der Schwangerschaft und in der Stillzeit gibt es keine Belege:
"Schwangere sollten sich nach Lust und Laune, freilich möglichst
ausgewogen und abwechslungsreich ernähren", empfiehlt Professor Dr.
Berthold Koletzko. "Spezielle Lebensmittel sind in aller Regel nicht
notwendig. Schwangere sollten stattdessen auf eine mannigfaltige und
nährstoffdeckende Ernährung in Schwangerschaft, Stillzeit und im
ersten Lebensjahr achten. Auch Fischmahlzeiten sind empfehlenswert".
• Braucht das Baby eine hypoallergene Flaschennahrung?
In den ersten sechs Monaten sollte das Kind gestillt werden - für die
Dauer von mindesten vier Monaten ausschließlich. Das gilt für Kinder
mit erhöhtem Allergierisiko ebenso wie für alle anderen Babys. Auch
nach der Einführung von Beikost sollte weitergestillt werden, betont
Professor Koletzko. Kann nicht mehr oder nicht ausreichend gestillt
werden, kann das Kind eine handelsübliche Säuglingsanfangsnahrung
bekommen. Säuglingsnahrungen mit aufgespaltenem oder hydrolysierten
Milcheiweiß (sogenannte HA-Nahrung) werden als sicher bewertet und von
der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin als eine
mögliche Option bewertet. Sojanahrung, Ziegenmilch oder Getreidedrinks
sind zur Allergievorbeugung nicht geeignet.
• Beeinflusst der Beginn der Beikostfütterung das Allergierisiko?
Ein Beginn der Beikostfütterung auch mit Gabe von Lebensmitteln mit
hohem allergenen Potential im Alterszeitraum zwischen etwa vier und
sechs Monaten reduziert das Allergierisiko im Vergleich zu einem
späteren Beikostbeginn mit sechs Monaten. Die neue europäische
Leitline zur Allergieprävention bezeichnet das Alterszeitfenster von
vier bis sechs Monaten für die Beikosteeinführung als den
effektivesten Zeitraum für die Senkung des Allergierisikos.
• Müssen Kinder aus Allergikerfamilien hochallergene Nahrungsmittel meiden?
Auch für diese Kinder gelten die gleichen Empfehlungen wie für alle
anderen Kinder ohne Allergiebelastung. Sie sollten ab dem vollendeten
vierten Lebensmonat möglichst zügig eine vielseitige Kost
kennenlernen, am besten alles, was in ihrer Familie gegessen wird.
Eine Einschränkung gibt es allerdings bei Eiern: Zur Pravention einer
Allergie gegen Huhnereiweiss wird die regelmassige Gabe von
durcherhitztem Huhnerei ab dem fünften Lebensmonat (also im Alter von
vier abgeschlossenen Monaten) mit der Einfuhrung der Beikost
empfohlen. Das heißt: Eier für das Kind nur in verbackener Form oder
hart gekocht, aber kein rohes Ei und auch kein Ruhrei.
• Ist ein Haustier schädlich für das Baby?
Haustiere gelten nicht mehr als Allergierisiko. Kinder, die in den
ersten drei Lebensjahren mit Hunden aufwachsen, entwickeln sogar
seltener Allergien und Asthma als Kinder ohne Hunde. Für die
Abschaffung bereits vorhandener Hunde und Katzen aus Gründen der
Allergievermeidung besteht also kein Grund. Eine Einschränkung ist
allerdings auch bei dieser Frage geblieben: Wenn in einer Familie
hohes Allergierisiko besteht oder das Kind bereits unter einem
atopischen Ekzem (Neurodermitis) leidet, sollte keine Katze neu
angeschafft werden.
• Muss man Staub im Haushalt und Milben im den Betten bekämpfen?
Die Verwendung milbenallergendichter Matratzenüberzüge (Encasings) ist
nur dann nützlich, wenn jemand in der Familie bereits unter einer
nachgewiesenen Allergie gegen Hausstaubmilben leidet.
Kinder gehören nicht unter die Käseglocke, betont die Stiftung Kindergesundheit. Mehrere Studien unterstützen die sogenannte Hygienehypothese, auch Bauernhof- oder Urwaldhypothese genannt. Sie beruht auf der Beobachtung, dass Allergien vor allem unter Stadtbewohnern zunehmen. Zudem hat sich herausgestellt, dass Bauernkinder mit Zugang zum Stall und zu Tieren deutlich seltener an Asthma, Heuschnupfen oder anderen Allergien erkranken als Kinder, die nicht auf einem Bauernhof leben.
Der vermutliche Grund: Sie haben von Anfang an mehr Kontakt zu Kühen und anderen Tieren und den sie besiedelnden Bakterien und anderen Mikroorganismen.
Eine frühe Einführung von Beikost schadet nicht, sondern bringt sogar einen Nutzen. Empfehlenswert ist die zügige Einführung einer vielfältigen Kost ab dem vollendeten vierten Lebensmonat. "Die Einführung von Beikost bedeutet aber nicht Abstillen, sondern das weitere Stillen mit der Beikostgabe", so Professor Koletzko: "Auch Babys, die schon Brei- und Löffelkost bekommen, sollten so lange weiter gestillt werden, wie Mutter und Kind es möchten".
Es gibt Hinweise darauf, dass Kinder, die durch Kaiserschnitt zur Welt kommen, ein erhöhtes Allergierisiko haben, weil ihnen der Kontakt zu den Keimen der Mutter fehlt. Dies ist weiteres Argument, einen Kaiserschnitt nur dann durchzuführen, wenn wirklich eine medizinische Notwendigkeit dazu besteht. Auch bei Babys, die schon früh mit Antibiotika behandelt werden müssen, ist das Risiko erhöht, so dass Kinder- und Jugendärzt*innen heute genau abwägen, wann wirklich Antibiotika notwendig sind. Ob unter bestimmten Bedingungen die prophylaktische Einnahme von sogenannten Probiotika oder Präbiotika sinnvoll sein könnte, wird zurzeit intensiv untersucht und diskutiert. Für generelle Empfehlungen ist es jedoch noch zu früh, betont die Stiftung Kindergesundheit.
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
https://idw-online.de/de/institution1021
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Stiftung Kindergesundheit, 17.04.2023
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 21. April 2023
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