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ERNÄHRUNG/986: Immer mehr Klinikpatienten sind zu leicht (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2009

Immer mehr Klinikpatienten sind zu leicht

Von Dirk Schnack


Der Anteil der Übergewichtigen in Deutschland nimmt zu. Weniger Beachtung als Adipositas findet das Problem des Untergewichts von Klinikpatienten. Die Ernährungsmediziner am UK S-H beobachten, dass dieser Anteil an den Krankenhäusern zunimmt.

Das Team der Kieler Ernährungsambulanz schätzt jeden vierten Patienten als Risikopatient für eine Mangelernährung oder bereits mangelernährt ein. Gastroenterologin Dr. Diana Rubin, Weiterbildungsassistentin Dr. Ulrike Johanns und Krankenschwester Gundula Schura sehen täglich solche Patienten in den verschiedenen Kliniken auf dem Kieler Campus. Neben ihrer normalen Stationstätigkeit versuchen die Ärzte des Ernährungsteams, diesen oft älteren oder schwerkranken Patienten zu helfen.

Vorrangiges Ziel ist es, den Gewichtsverlust zu stoppen. Das klingt einfach, doch die drei Angestellten der Ambulanz für enterale und parenterale Ernährung arbeiten unter schwierigeren Bedingungen als etwa niedergelassene Ernährungsmediziner. Denn das Ernährungsteam hat oft nur ein schmales Zeitfenster. Deutlich kürzere Liegezeiten als in der Vergangenheit lassen bei vielen Patienten nur noch ein oder zwei Kontakte zu, bevor sie aus dem Krankenhaus entlassen werden. Damit die Ernährungsmediziner überhaupt von den Patienten erfahren, müssen deren Kollegen auf den Stationen den Bedarf erkennen und die Ambulanz einschalten. Das passiert derzeit rund 400 Mal im Jahr. Das Team ist aber sicher, dass der Bedarf größer ist. Oftmals fehlt im angespannten Klinikalltag der Blick für dieses Problem. "Es geht nicht nur um 40-Kilo-Patienten. Viele mangelernährte Patienten sehen normal aus und sind nicht auf den ersten Blick zu erkennen", sagt Ulrike Johanns. Gundula Schura als Dienstälteste im Team kennt dieses Problem schon seit 1993. Sie würde gerne auf jeder Station feste Ansprechpartner schulen, die bei jedem neuen Patienten prüfen, ob eine Ernährungsberatung angezeigt ist.

Nach dem Erstkontakt mit einem Patienten erhebt ein Mitglied des Teams den Status eines Patienten, indem insgesamt sechs Parameter überprüft werden. Dazu gehört etwa der BMI, aber auch der Oberarmumfang, die Muskelmasse am Arm und die subkutane Fettmasse in der Oberarmfalte. Die verschiedenen Parameter hat das Team gewählt, um sich ein möglichst umfassendes Urteil bilden zu können. "Es gibt keinen Goldstandard für die Beurteilung, ob eine Mangelernährung vorliegt", sagt Rubin. Bei ihren Erhebungen haben die Mitglieder des Ernährungsteams festgestellt, dass eine frühere Untersuchung in der eigenen Klinik mit einem Anteil von rund 20-25 Prozent an Mangelernährten oder Risikopatienten für eine Mangelernährung eher nach oben korrigiert werden muss. Die Patienten, zu denen das Team gerufen wird, sind zu mindestens 90 Prozent mangelernährt. Sie leiden unter dem Kurzdarmsyndrom oder müssen wegen schwerer onkologischer oder anderer Erkrankungen künstlich ernährt werden. Die Ernährungsmediziner kümmern sich um den Kostaufbau nach einer Operation, erstellen ein Therapiekonzept und kontaktieren den Hausarzt und den Pflegedienst für die Nachbetreuung, damit die Patienten nach der Entlassung nicht in alte Fehler zurückfallen.

Vielen fällt es schwer, die eingeschliffenen Verhaltensweisen und Vorurteile zu korrigieren. Die Ernährungsmediziner haben beobachtet, dass sich viele Menschen mit fettarmer Kost quälen und sich zu viele Verbote auferlegen. Damit schränken sie ihr Lebensmittelrepertoire ein und ernähren sich zu einseitig. "Es gibt Patienten, die Kartoffeln für schädlich halten", berichtet Gundula Schura. Andere halten sich zu strikt an pauschale Empfehlungen, ohne Rücksicht auf ihre individuellen Spielräume. Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen etwa glauben häufig, dass Tomaten und Bananen für sie grundsätzlich tabu seien. Das Kieler Team versucht sie dann zu überzeugen, dass sie wenigstens ein paar Happen dieser Lebensmittel probieren sollten. Besonders chronisch kranke Patienten sind nach ihren Erfahrungen sehr wissbegierig. Das kann den Nachteil haben, dass sie schon mit angelesenen, aber auf die persönliche Situation nicht richtig passenden Kenntnissen in die Klinik kommen. "Manche Informationen müssen wir ins rechte Licht rücken", sagt Diana Rubin.

Sie ist sicher, dass auch ambulant ein höherer Beratungsbedarf besteht, als die derzeit noch geringe Nachfrage in ihrer Sprechstunde vermuten lässt. Die Kommunikation zwischen der Ambulanz und den Praxen könnte nach ihrer Ansicht intensiviert werden. So wünschen sich die drei Frauen etwa mehr Resonanz aus den Praxen über Patienten, die sie aus der Klinik mit entsprechenden Empfehlungen für die Nachsorge entlassen konnten.

Die Ermächtigung ist nicht der einzige Wunsch des Teams. Um die Beratung verbessern zu können, müsste diese in den Fallpauschalen der Kliniken stärker berücksichtigt werden. "Die DRG‹s belohnen unsere Tätigkeit nicht", sagt Diana Rubin. Mit einer angemessenen Bezahlung wären nach ihrer Einschätzung auch mehr Kliniken bereit, Ernährungsteams aufzubauen oder zu verstärken. Kiel hat das Glück, dass der Studiengang Ökotrophologie ihnen seit zwei Jahren künftige diplomierte Ernährungsberater für Hospitationen beschert und so auch die Studenten die Möglichkeit haben, den Klinikalltag kennen zu lernen. Eine feste Stelle für eine solche Kraft und für eine Diätassistentin hielten die drei dennoch für angebracht. Wünschenswert wäre aus ihrer Sicht auch ein höheres Budget für die Küche, damit diese ihr Angebot abwechslungsreicher und frischer gestalten kann. Auch regelmäßige Fortbildungen für das Krankenhauspersonal, damit das Thema Ernährung stärker im Bewusstsein der Kollegen verankert wird, stehen auf ihrer Wunschliste.


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200906/h090604a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- "Patienten sind oft falsch informiert": Gundula Schura, Krankenschwester in der Ernährungsambulanz.
- "Die DRG‹s belohnen unsere Tätigkeit nicht": Dr. Diana Rubin
- Dr. Ulrike Johanns bei der Ernährungsberatung in der Kieler Ambulanz.


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2009
62. Jahrgang, Seite 16 - 17
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2009